Wird er es packen? Wird Geert Mackenroth irgendwann einmal in die großen Fußstapfen seines Vorgängers im Amt des sächsischen Ausländerbeauftragten, Martin Gillo, hineinwachsen? Die Opposition im Landtag ist mehr als skeptisch. Zum Jahresbericht des Ausländerbeauftragten 2014 hat er zwar das kurze Vorwort geschrieben. Die Analyse aber stammt von Martin Gillo. Und die hat es in sich.
Denn in den fünf Jahren von 2009 bis 2014 hat Gillo gezeigt, was es heißen kann, so ein Amt auszufüllen. Ganz undogmatisch, eher pragmatisch, wohl wissend, was da auf den Freistaat Sachsen eigentlich zukommt. Und damit meinte er erst in zweiter Linie die notwendige Integrationsarbeit, um all die Menschen, die in Sachsen eine neue Heimat suchen, in Bildung, Lebenswelt und Arbeit zu integrieren. Letzteres übrigens ein Punkt, den Gillo extra betont: Die sächsische Gesellschaft sollte alle Willkommen heißen, die bereit sind, sich in unsere Gesellschaft einzubringen und sich mit ihrer Hände (oder Köpfe) Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Nicht nur Hochschulabsolventen und Ingenieure.
Denn Sachsen hat – wie die gesamte Bundesrepublik – ein Problem: Die alarmierend niedrige Geburtenrate, die dafür sorgt, dass sich die hier geborene Bevölkerung nicht mehr selbst regenerieren kann. Jede folgende Generation ist um ein Drittel kleiner als ihre Elterngeneration. Sachsen geht damit nicht nur die Bevölkerung verloren, auch die Arbeitskräfte fehlen immer mehr. Ohne Zuwanderung geht es also nicht. Der am 13. August vorgelegte Bericht zeigt noch einmal, wie Gillo sein Amt verstand. Und daran muss sich nun Mackenroth messen.
Und nicht nur er. Der zuständige Innenminister ebenfalls, denn er muss umsetzen, was von der aktuellen Regierung gewollt ist. Da wirkte zwar Gillo oft genug wie ein Rufer in der Wüste. Aber gerade dem hilflos agierenden Innenminister Markus Ulbig muss ein unermüdlicher Mahner in der Wüste immer wieder zeigen, wo die menschlichen und – man ist ja in der CDU – christlichen Werte zu finden sind.
Selbst Die Linke ist Martin Gillo dankbar für sein fünfjähriges Wirken. Und für seinen letzten Jahresbericht, in dem er noch einmal richtig deutlich wird.
“Dem Dank an Amtsvorgänger Martin Gillo, dessen Bilanz sich in diesem Bericht widerspiegelt, schließen wir uns an. Er hat Meilensteine gesetzt, ob beispielsweise mit dem ‘Heim-TÜV’, der zumindest gänzlich unzumutbaren, dauerhaften Asyl-Unterkünften den Garaus gemacht hat, oder mit seinem grundsätzlichen Eintreten für ein weltoffenes Sachsen”, sagt Juliane Nagel, Sprecherin für Migrations- und Flüchtlingspolitik der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag. “Wir begrüßen es, dass Herr Mackenroth rückwärtsgewandten Vorstößen aus seiner Partei, wie nach Wiedererrichtung der Grenzen oder einem unterschiedlichen Umgang mit verschiedenen Flüchtlingsgruppen, eine klare Absage erteilt hat. Auch freuen wir uns, dass seine Forderung nach einem vorausschauenden ‘Plan C’ beim Thema Asyl unserem Anliegen eines langfristig tragfähigen Aufnahmekonzepts entspricht. Auch sein Plädoyer für strikte ‘Einzelfallgerechtigkeit’ weist pauschale Diskriminierung von Geflüchteten aufgrund von Herkunft in die Schranken.”
Und dass Mackenroth dem Innenminister durchaus ein bisschen moralisch die Richtung zeigen kann, honoriert die Linke-Abgeordnete auch: “Wichtig und notwendig ist seine klare Feststellung, dass das Land über genügend Liegenschaften für die Aufnahme von Geflüchteten verfüge und sich die ‘Versäumnisse des letzten Jahres’ nicht fortsetzen dürften. Das straft einen Innenminister Lügen, der immer so tut, als befinde man sich im unverschuldeten Ausnahmezustand, wenn man Menschen in Zelte nötigt.”
Sie ist nur skeptisch, ob es der Amtsinhaber wagt, wirklich deutlich zu werden. “Bei seiner Rolle als Lobby für diejenigen, die er im Amtstitel führt, hat Mackenroth aber im Unterschied zu Gillo weiterhin Reserven. Wir glauben nicht, dass sich ein Ausländerbeauftragter in ordnungspolitische Fragen der ‘Anreizminimierung’ verstricken sollte, wie er es leider heute wieder nicht ganz lassen konnte. Aber insgesamt hat sich Mackenroth bewegt. Auch mit seinem Engagement für psychosoziale Zentren für traumatisierte Geflüchtete, die in Sachsen im Unterschied zu anderen Bundesländern noch fehlen, geht er in die richtige Richtung.”
Und auch Petra Zais, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Sächsischen Landtag, sieht bei Geert Mackenroth noch Reserven: “Der Bericht spiegelt vor allem die Projekte des ehemaligen Ausländerbeauftragten Martin Gillo (CDU) wieder, der mit der Einführung und Verstetigung des Heim-TÜVs bundesweit positiv Beachtung fand. Bei Herrn Mackenroth kann ich dagegen noch keinen eigenen Gestaltungswillen für sein Amt erkennen. Seine Formulierungen wie ‘Hilfe für wirklich Schutzbedürftige’ (S. 92 Jahresbericht 2014) senden dagegen falsche Signale. Skeptikern und Rassisten wird damit Futter geliefert. Das gleiche gilt für seinen Appell, die Anreize für Asylsuchende zu minimieren, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen.”
Also doch ein Mann, der in die großen Schuhe seines Vorgängers nicht passt?
“Was Mackenroths Forderungen nach einem Plan B und C für die Erstaufnahme von Asylsuchenden betrifft, kann ich nur sagen: wir haben nicht einmal einen umsetzbaren Plan A. Im Moment begegnet mir auf der Seite der Staatsregierung das absolute Totalversagen bei der Organisation der Erstaufnahme. Sachsens Staatsregierung hat ein logistisches Problem. Das kann auch dem Ausländerbeauftragten nicht verborgen geblieben sein”, stellt Zais fest. “Taschengeldkürzungen hält Mackenroth zwar angesichts der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zur menschenwürdigen Versorgung von Asylsuchenden für rechtlich nicht umsetzbar. Grundsätzlich abgeneigt gegenüber derartigen Maßnahmen schien er jedoch nicht zu sein. – Kurzum: mir fehlt nach wie vor das klare Bekenntnis des Sächsischen Ausländerbeauftragten zu Asylsuchenden ohne Wenn und Aber.”
Und Juliane Nagel: “Wir werden seine Arbeit weiterhin kritisch begleiten und sind gespannt auf den ersten Bericht im nächsten Jahr, der dann die Arbeit von Geert Mackenroth bilanzieren wird. Noch ein bisschen mehr ‘Gillo’ würde dabei nicht schaden.”
Eigentlich in der ganzen Regierung. Denn in seiner Bilanz “Wer wird Deutschland?” gleich am Anfang des Berichts benennt Martin Gillo die Dinge, wie sie kein Mitglied der aktuellen Regierung bislang benannt hat – am ehesten noch Petra Köpping in ihrem Integrations-Ministerium.
Denn Gillo war immer ein genauer Beobachter und weiß, dass es auch in Sachsen keinen Grund gibt, sich einer laut tönenden Minderheit anzudienen, bloß weil die auf den Straßen marschiert, vor Asylunterkünften randaliert, im Internet herumpöbelt oder Flüchtlingsunterkünfte ansteckt. Es muss schon weit gekommen sein, wenn sich eine Mehrheitsgesellschaft von solchen Nichtsmehrmerkern terrorisieren lässt.
“An der Spitze gehen die Wegbereiter voran. Das sind oft nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung, die neue Wege suchen und finden. Ihnen folgen in einigem Abstand die frühen ‘Trendaufgreifer’, die etwa zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen”, schreibt Gillo in seiner Analyse. “Sie sind an neuen Entwicklungen interessiert und wollen von Anfang an dabei sein. Die Zwei-Drittel-Mehrheit der Bevölkerung ist bereit, sich den Veränderungen in der Gesellschaft zu öffnen und sie zu unterstützen. Sie will allerdings verstehen, dass die Richtung sinnvoll ist. Wir alle wollen erkennen, wie eine Veränderung auch für uns Vorteile bringt. Wo das der Fall ist, ist die Mehrheit dabei – wenn auch mit einigem Abstand zu den frühen ‘Trendaufgreifern’. – Ganz am Ende kommen mit großem Abstand die Nachzügler. Das sind die Ewiggestrigen, denen jede Veränderung suspekt ist und die sich oft eine gute alte Zeit zurückwünschen, die jedoch niemals so ‘gut’ war, wie es ihnen scheint. Das können bis zu 15 Prozent der Bevölkerung sein. Ich rate dazu, sich auf die ersten 85 Prozent dieser Karawane zu konzentrieren. Ewiggestrige zu überzeugen ist vergebliche Liebesmüh, wie das Beispiel eifernder Sarrazin-Verteidiger zeigte.”
Ein wichtiger Verweis. Denn in die Jahre seiner Amtszeit fiel ja auch der zeitweilig sehr deutliche Versuch der Neuen Rechten, wirklich rassistisches und nationalistisches Gedankengut in der Bundesrepublik wieder salonfähig zu machen. Und der Möchtegern-Experte Thilo Sarrazin hat mit seinem Buch “Deutschland schafft sich ab” eine Menge dazu beizutragen, die fremdenfeindlichen Ressentiments im Land zu schüren.
In Sachen Sarrazin wird Gillo ganz deutlich: “Thilo Sarrazin beispielsweise erregte mit seinem Buch ‘Deutschland schafft sich ab’ gerade in Sachsen sehr viel Aufmerksamkeit. Seine Buchvorstellung in der Messe in Dresden war mit 2.500 Zuhörern ausgebucht. Vom Veranstalter hörte ich, dass er in einem größeren Saal das Doppelte an Tickets hätte verkaufen können. Auch eine zeitgleiche Veranstaltung im Ökumenischen Zentrum Dresdens zu den Thesen des Buches war überfüllt – dabei waren auch viele Anhänger Sarrazins, die mit dem Buch in der Hand und markierten Zitaten eine kritische Auseinandersetzung mit seinen Thesen aushebeln wollten. Viele Leserinnen und Leser fühlten sich offensichtlich berufen, die ‘Wahrheit nach Sarrazin’ mit fast religiösem Eifer zu verteidigen. Erst das beherzte Einschreiten der Hausherrin machte einen Dialog wieder möglich.”
Sogar die alte Nationalhymne der DDR zitiert Gillo – und interpretiert die Becher-Zeile “Deutschland, einig Vaterland” völlig neu. Denn für ihn kann das Modell Deutschland, das immer wieder kreativ auf die Veränderungen in der Welt reagiert hat, auch Vorbild werden für die jetzt anstehenden Veränderungen. Das Grundgesetz gibt den ganzen Kanon gemeinsamer Werte vor, der auch für Zuwanderer in die Bundesrepublik seit über 50 Jahren attraktiv ist. Nur gestaltet werden muss das. Und das Drucksen, Schweigen und Wegducken der verantwortlichen Behörden gerade in der zweiten Jahreshälfte 2014 hat mit den Boden bereitet für die Proteste auf den Straßen, wo sich die Populisten und Rechtsextemisten dann pudelwohl fühlten.
Wer gesellschaftliche Integration will, der muss die Betroffenen informieren, und zwar umfassend und frühzeitig.
Martin Gillo: “Wenn wir mit offenem Herzen und wachen Augen um uns schauen, dann erkennen wir, auf welchen Wegen wir diese ‘Einheit in Vielfalt’ erreichen. Einige dieser Wege sind nicht wirklich neu. Im Gegenteil: Es gehört zu den wesentlichen Stärken unserer Gesellschaft, dass wir sie gehen können. Wenn wir sie bewusst nutzen, können wir die anstehenden Veränderungen gut gestalten. Vielleicht entdecken wir auch neue Wege hin zu einer ‘Einheit in Vielfalt’.”
Und dabei sagt er so selbstverständliche Sätze wie diesen. Einfach so. Mitten im Text: “Wir alle sind Menschen. Was uns eint, ist der Wunsch, ein gutes Leben zu führen. Was uns eint, ist der Wunsch, unsere Kinder gesund und erfolgreich zu sehen. Was uns eint, ist der Wunsch nach Frieden. Nach Gesundheit. Nach Anerkennung. Wir wollen in Freiheit und mit guten Nachbarn leben.”
Da kann auch Geert Mackenroth eine Menge lernen. Hoffen darf man ja.
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