Zu groß geplant, was macht man da? Man kann die Kosten für zu groß geratetene Mülldeponien einfach auf die Kunden umlegen. Dann steigen die Müllgebühren kräftig. Oder man kann eifrig Müll von anderswo importieren. Dann landet so Manches auf Sachsens Deponien, was eigentlich keiner vor seiner Haustür haben möchte. Sachsen ist in den letzten Jahren zum Müll-Importland geworden.

24.436.307 Tonnen Abfall wurden zwischen Anfang 2010 und Ende 2014 in den Freistaat Sachsen importiert. Das geht aus der Antwort von Umweltminister Thomas Schmidt (CDU) auf die Anfrage des Grünen-Fraktionsvorsitzenden Volkmar Zschocke hervor.

“Der Freistaat hat sich zu einem ‘Müllmagnet’ entwickelt. Die hohe Zahl der Müllimporte nach Sachsen sind Folge der verfehlten Abfallpolitik der CDU-Staatsregierung seit Anfang der neunziger Jahre”, kritisiert Zschocke den Zustand. “Sachsens Deponien und Abfallanlagen sind überdimensioniert und brauchen Müll aus aller Herren Länder, um möglichst profitabel zu arbeiten. Wir müssen uns im Landtag darüber verständigen, wie Sachsen den Ruf als Müllimportland loswerden kann.”

Dabei ging die sächsische Regierung beim Thema Deponien genauso von schierer Größe und Menge besessen vor wie bei Straßenbauten und Flughäfen. Während man in den letzten zehn Jahren das Jammerlied vom Bevölkerungsschwund trällerte und damit jegliche Verbindung mit der Wirklichkeit verlor und die Staatsverwaltung auf Verschleiß kartete, sang man in den 1990er Jahren, als tatsächlich Hunderttausende Sachsen jährlich ihre Koffer packten, das ebenso realitätsferne Lied vom Wachstum. Miliarden an Fördermitteln wurden in überdimensionierte Kläranlagen, Gewerbeparks, Büroparks und eben auch Mülldeponien versenkt. Die Planer gingen – auch bei der Deponie Cröbern im Südraum Leipzigs – von einem immer weiter wachsenden Müllaufkommen der Bewohner Leipzigs und der angrenzenden Kreise aus, obwohl die Themen Mülltrennung und Recycling längst auf der Tagesordnung standen.

Und weil sich diese zumeist doppelt so groß wie gebraucht konzipierten Deponien einfach nicht rechneten, war spätens ab 2005 überall ein reger Mülltourismus zu beobachten. Im Fall Cröbern auch noch mit einem seltsamen Beigeschmack, der einige der Verantwortlichen dann vor Gericht führte. Denn woher stammten die enormen Mengen italienischen Mülls? Und waren sie tatsächlich kontrolliert worden, bevor sie auf Halde gingen?

Zwischen 2010 und 2014 wurden insgesamt 5.120.040 Tonnen gefährliche Abfälle nach Sachsen importiert – etwas deutlicher formuliert: 5 Millionen Tonnen, pro Jahr also 1 Million Tonnen. Nur zum Vergleich: Das Abfallaufkommen der sächsischen Haushalte liegt bei 1,3 Millionen Tonnen. Das heißt: Um diese völlig überdimensionierten Deponien wirtschaftlich betreiben zu können, musste fast das 3,5-fache an Müll noch zusätzlich importiert werden. Die Verantwortlichen, die in den 1990er Jahren diese gigantischen Deponien planten, waren tatsächlich von jeder realistischen Vernunft äonenweit entfernt.

Dass die Menge des importierten gefährlichen Mülls fast so hoch ist wie das eigene Müllaufkommen der sächsischen Haushalte, spricht Bände. Es ist, als hätte da ein zentraler Entscheider der sächsischen Regierung vor 20 Jahren die Devise ausgegeben, Sachsen solle binnen weniger Jahre zum Müllspezialisten Europas werden. Das Zeug kommt ja nicht nur aus Italien, sondern auch aus Frankreich, Brasilien, der Schweiz, Norwegen. 300.000 Tonnen aus Luxemburg – das klingt fast so, als habe Sachsen die komplette Müllentsorgung für Luxemburg übernommen.

19,76 Prozent des importierten Mülls stammt aus Italien. Die weiteren Hauptherkunftsregionen sind die Nachbarbundesländer Sachsen-Anhalt (17,96 Prozent), Bayern (9,96 Prozent), Thüringen (9,19 Prozent) und Brandenburg (8,50 Prozent).

Aber Zschocke hatte ja nicht nur nach der gesamten Importmenge (24,4 Millionen Tonnen) gefragt, sondern insbesondere auch zu den gefährlichen Teilen des Müllimports. Die machten mit 5,1 Millionen Tonnen mehr als ein Fünftel der Gesamtmenge aus.

“Der Import gefährlicher Stoffe sollte perspektivisch möglichst vollständig ausgeschlossen werden”, findet der Grünen-Fraktionsvorsitzende. “Sachsen kann den Import von Abfall beschränken bzw. genehmigungspflichtig machen.”

Ein Vorschlag, der bei den Deponiebetreibern bestimmt auf einige Widerstände stoßen wird. Denn auch mit den gefährlichen Müllbestandteilen betreiben sie ihr Geschäft. Es sind ja nicht alles lokale Zweckverbände, die hier die Müllentsorgung ohne Gewinnerwartung betreiben. Auch die Deponie Cröbern wird von einer Betreibergesellschaft namens Westsächsische Entsorgungs- und Verwertungsgesellschaft mbH unterhalten, in der der regionale Zweckverband ZAW 51 Prozent der Anteile hält, die private SITA 49 Prozent.

Ohne Müllimport würden die überdimensionierten Anlagen allesamt in finanzielle Schieflagen geraten. Doch als die Planungen für diese Anlagen in den 1990er Jahren begannen, hatten die großen und kleinen Genehmigungsfürsten im Freistaat lauter Golddukaten vor den Augen und haben die Kritik der Opposition und der betroffenen Kommunen schlicht ignoriert. Zur Erinnerung: Auch Leipzig wollte damals keineswegs die Riesendeponie in Cröbern beschicken. Die zugrunde gelegten Planzahlen hielt man damals schon für unglaubwürdig. Am Ende wurde die Stadt mehr genötigt als gebeten, das Riesenprojekt zu retten. Denn ohne den Leipziger Müll wäre Cröbern schon vor der Teilprivatisierung von 2005 pleite gegangen.

Aber die Müllimporte belasten ja nicht nur die eigene Landschaft, wie Zschocke feststellt.

“Durch Abfall-Transporte über weite Entfernungen hinweg entstehen für die Anwohnerinnen und Anwohner unnötige zusätzliche Belastungen durch Verkehr, Lärm, Dreck und Gestank. Die Nutzung von Entsorgungskapazitäten am Entstehungsort ist auch aus ökologischen Gründen anzustreben”, sagt er etwas, was die kompetenten Kritiker genau so auch vor 20 Jahren äußerten.

Aber wenn es um gigantische Investitionen geht, verlieren viele, leider viel zu viele Politiker jegliches Maß. Dass sie die Folgen auf Jahre und Jahrzehnte nicht bedenken, das gehört in dieser Tragik leider dazu. Es sind am Ende ja immer die anonymen Steuer- und Gebührenzahler, die für solche Folgen gerade stehen.

Zschocke verlangt nun zumindest eine verstärkte staatliche Aufsicht aller Abfallaktivitäten. “Der Schutz der Gesundheit der Anwohnerinnen und Anwohner der Anlagen und der Schutz der Umwelt muss von den Behörden ernst genommen werden. Es muss verhindert werden, dass etwaige Folgekosten der Abfallanlagen bei der öffentlichen Hand hängen bleiben.”

Denn ein großer Teil der importierten gefährlichen Stoffe lässt sich nicht recyclen, sondern landet – so weit wie möglich stabilisiert – dann doch auf den Deponien. Ob das Zeug da wirklich sicher liegt, werden wohl erst künftige Generationen wirklich sagen können.

Kleine Anfrage des Abgeordneten Volkmar Zschocke “Müllimporte Sachsen zwischen 2010 und 2014” (Drs 6/1023).

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