Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung war bannig stolz, als er vor drei Jahren nicht nur den Start in die doppische Haushaltsführung feiern konnte, sondern auch eine erste Steigerung der Investitionshöhe. Als dann auch noch die Eröffnungsbilanz vorlag, sah es ganz so aus, als würde Leipzig gerade genug investieren, um einen Substanzverzehr zu beenden. Aber hat es das wirklich geschafft? Ein Neugieriger hat mal nachgefragt.

Diese Linken, die sind ja so schrecklich nervig und glauben der Regierung einfach kein Wort, wenn die sich Jahr für Jahr dafür feiert, dass sie eine der höchsten Investitionsquoten im Land habe. Da wird mächtig investiert – in Häfen, Flughäfen und Straßen, neue Regierungsgebäude (weil diese ganzen Behörden ja mal wieder umziehen müssen), in Krankenhäuser und Universitätsbauten. Das summiert sich. Ist aber schlicht keine Vergleichsgröße, wenn man immer nur den (künstlich schmal gerechneten) Haushalt des Landes zu Rate zieht. Denn das Land selbst besitzt nur einen Teil der Infrastrukturen, der größere Teil befindet sich in kommunalem Besitz und kommunaler Verantwortung.

Die ganze Zahl bekommt man also erst, wenn man auch die Investitionsquoten von Kreisen und kreisfreien Städten daneben legt.

Zwar ist das dann noch immer nicht die ganze Zahl, denn man bräuchte auch den Wert der Infrastrukturen im Landesbesitz. Aber diesen Wert gibt es nicht. Der Freistaat hat zwar alle Kommunen verdonnert, die doppische Haushaltsführung zu übernehmen, die Landesregierung aber hängt noch im kameralistischen Zeitalter. Womit die Eröffnungsbilanz für den Freistaat (die einige sehr erhellende Werte aufbringen müsste) genauso fehlt wie der Vergleich von Investitionen und Abschreibungen.

Denn darum geht es am Ende: Wird mindestens genauso viel in Neubau und Werterhaltung investiert, wie gleichzeitig in den Büchern abgeschrieben werden muss? Wenn ja, ist die Investitionsquote tatsächlich hoch genug? Was noch nicht heißt, dass auch an der richtigen Stelle investiert wird. Eine weitere Ortsumgehung macht keinen Sinn, wenn gleichzeitig eine wichtige Verbindungsstraße kaputt geht. Wenn nein, ist sie auch dann noch zu gering, wenn sie im Bundesvergleich scheinbar hoch ist.

Das weiß aber niemand, weil die Kameralistik diese Zahlen nicht ausspuckt.

Für Landkreise und kreisfreie Städte aber liegen diese Zahlen vor. Und André Schollbach, der kommunalpolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag, hat sie mal alle abgefragt. Nicht direkt in dieser Form, sondern als Nettoinvestitionsrate. Innenminister Markus Ulbig (CDU), der in Sachsen auch für den Stadtumbau zuständig ist, lässt seine Mitarbeiter in der Antwort zwar noch höchst bürokratisch darüber schwatzen, dass man statt des eh schon technischen Wortes Nettoinvestitionsrate im “Frühwarnsystem Kommunale Haushalte” das ebenso störrische Wort Nettoinvestitionsmittel verwendet. Es läuft aber auf dasselbe hinaus, was man bei Wikipedia unter “Nettoinvestition” findet.

Es ist und bleibt ein trockener Buchhalter-Begriff, der schlicht die Differenz zwischen den jährlich getätigten Investitionen und den gleichzeitig notwendigen Abschreibungen beschreibt. Wenn mehr investiert wird als abgeschrieben, wächst der Wert der Anlagen und Infrastrukturen, ist es weniger, kommt es zu Substanzverzehr.

Und das “Frühwarnsystem” soll davor warnen, wenn Sachsens Kommunen beginnen, ihre Substanz zu verbrennen und nicht mehr genug investieren.

Tatsächlich blinken in fast ganz Sachsen die roten Lampen. Denn die meisten Kreise haben ein Minuszeichen vor der Nettoinvestition stehen. Außer jene wenigen Kreise, die vom Land besonders viele Fördergelder zugewiesen bekommen. Das sind von 2010 bis 2013 nur zwei gewesen – und das wurde (etwa bei der Zuweisung von Fördergeldern für Schulneubau) auch immer wieder mal Teil der politischen Debatte. Die Kritiker, die damals in der Opposition saßen, heute auch teilweise in der Regierung, hatten natürlich Recht. Die Tabelle, die Ulbig vorlegt, macht sichtbar, dass es vor allem die höheren Fördersummen des Landes sind, die Kommunen in Sachsen helfen, überhaupt eine ausreichende Investitionsquote zu schaffen. Und die Tabelle zeigt, welche Kreise es sind. Und ganz vorne ist es der Landkreis Bautzen, der seine guten Beziehungen bis in die Spitze der CDU-Fraktion augenscheinlich gut genutzt hat, um seine Investitionen zu puschen. Für alle vier Jahre steht ein Plus im Millionenbereich in der Statistik.

Ebenso profitierte bis 2012 auch der Landkreis Meißen von seinen guten Beziehungen in die Landesspitze. Bis 2011 war auch die Sächsische Schweiz/Osterzgebirge dabei. Womit die Tabelle auch sichtbar macht, wie der sächsische Osten von den Gaben der Landesregierung besonders bevorzugt wurde, während der Süden (Regierungsbezirk Chemnitz) und der Westen (Regierungsbezirk Leipzig) deutlich benachteiligt wurden. Man kann es auch summieren. Dann wird noch deutlicher, wie die Verankerung der Regierungspartei sich in einzelnen Regionen über die Jahre auch in einer Bevorzugung bei den zugewiesenen Fördergeldern bemerkbar macht.

Und die in Sachsen regierende CDU hat ihre Wurzeln traditionell nun einmal in Ostsachsen. Nicht nur der Landkreis Bautzen profitiert von den guten Beziehungen, sondern in der Summe der komplette Regierungsbezirk Dresden. Es gibt zwar für einzelne Jahre keine Angaben. Das Innenministerium gibt dafür als Begründung eine “vorläufige Haushaltsführung” an. Wenn man diese Jahre einfach nicht berücksichtigt, kommt man für den Regierungsbezirk Dresden für die Jahre 2010 bis 2013 auf eine Nettoinvestition von 14 Millionen Euro. Im Klartext: Die dortigen Landkreise konnten 14 Millionen Euro mehr investieren als sie gleichzeitig in den Büchern abschreiben mussten. Sie hatten einen echten Wertzuwachs von 14 Millionen Euro.

Völlig anders sieht es in den von Dresden fernen Landesteilen aus.

Für die Landkreise im Regierungsbezirk Chemnitz steht am Ende dieser vier Jahre ein fettes Minus im Buch: Die Nettoinvestition lag bei minus 40 Millionen Euro. Was im Klartext heißt: Diese Landkreise hatten 40 Millionen Euro weniger investiert, als gleichzeitig an ihren Infrastrukturen verschlissen ist. Sie hatten einen realen Wertverlust von 40 Millionen Euro.

Und dasselbe Ergebnis bekommt man für die beiden Landkreise des Regierungsbezirks Leipzig: Nordsachsen und Leipzig. Beide erlebten in diesen vier Jahren einen permanenten Wertverlust, der sich 2013 dann auf 26 Millionen Euro summierte. Allein 2013 hat Nordsachsen einen Wertverlust von 12,4 Millionen Euro hinnehmen müssen.

Die Gründe dafür, dass nicht genug investiert wurde, führt das Innenministerium nicht auf. Aber sie liegen natürlich in der Finanzkraft der Kommunen, ihrem Schuldendienst und den am Ende verfügbaren Investitionsmitteln. Und oft genug reichen diese nicht ansatzweise, um die vom Land bereitgestellten Fördermittel in Anspruch nehmen zu können. Oft aber kommen beantragte Projekte auch nicht in die Förderung, weil der Fördertopf schon von anderen Antragstellern geleert wurde.

Dabei geht es von der Finanzkraft her den sächsischen Landkreisen überall recht ähnlich. Normalerweise unterscheiden sich da auch die ostsächsischen nicht von denen im Erzgebirge. Die gewaltige Diskrepanz zwischen Ost-, West- und Südsachsen dürfte also gar nicht auftreten, wenn die Mittelverteilung in Dresden tatsächlich für alle gleich wäre.

Die Tabelle aber zeigt deutlich, dass sie das nicht ist.

Und sie zeigt auch, dass die Kommunen in Sachsen tatsächlich völlig unterfinanziert sind. Denn das 14-Millionen-Plus in Ostsachsen steht ja einem 66-Millionen-Minus im Rest des Landes gegenüber. Der Freistaat stellt seinen Kommunen also rechnerisch mindestens 13 Millionen Euro pro Jahr zu wenig zur Verfügung, um den Substanzverlust in den Landkreisen zu stoppen.

Was ebenfalls ein Grund dafür ist, dass die Abwanderung aus den Landkreisen in die Großstädte sich beschleunigt hat. Das könnte man also auch als Teil einer völlig verfehlten Demografie-Politik bezeichen.

Aber wie steht es um die Großstädte? Werden wenigstens die aufgepäppelt?

Kleine Anfrage von André Schollbach zu Nettoinvestitionen in den sächsischen Landkreisen als pdf zum Download.

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“Der Freistaat hat zwar alle Kommunen verdonnert, die doppische Haushaltsführung zu übernehmen, die Landesregierung aber hängt noch im kameralistischen Zeitalter. Womit die Eröffnungsbilanz für den Freistaat (die einige sehr erhellende Werte aufbringen müsste) genauso fehlt wie der Vergleich von Investitionen und Abschreibungen.”

Kleiner Hinweis. Der Freistaat hängt deshalb noch im kameralistischen Zeitalter, weil dort die Einführung der doppischen kommunalen Haushaltsführung auf Landesebene gegenwärtig nicht vorgesehen ist. Daran wird sich in nächster Zeit kaum etwas ändern. Das ist lediglich ein Hinweis und keine Bewertung, welche Buchführung günstiger ist. Es gibt darüber seht unterschiedliche Auffassungen. Diese reichen bis zur Forderung zur Kameralistik zurückzukehren. Nicht nur in Sachsen. Es sollte nicht verschwiegen werden, dass die Vertreter in den kommunalen Parlamenten sehr große fachliche Problem im Umgang mit der neuen Buchführung haben. Enorme Probleme, wie auch in Leipzig öfters sichtbar wird. Deutlicher ausgedrückt; Die meisten sind damit überfordert, was aber keinen Schande ist.

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