Der Grünen-Politiker Johannes Lichdi (51) ist wegen der Teilnahme an einer Sitzblockade, die sich am 19. Februar 2011 gegen einen Neonazi-Aufmarsch richtete, zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der frühere Landtagsabgeordnete hat gegen die Verurteilung im November 2014 Verfassungsbeschwerde erhoben. Im Interview mit L-IZ.de äußert sich der Dresdner Stadtrat zu seinen Beweggründen, möglichen Konsequenzen aus dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Erstarken der Pegida-Bewegung.

Sie haben gegen Ihre Verurteilung wegen der Teilnahme an einer friedlichen Sitzblockade Verfassungsbeschwerde eingelegt. Der Antrag liegt dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof seit vergangenem November vor. Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung des Gerichts?

Mein Anwalt Ulf Israel hat für mich beim Bundesverfassungsgericht und dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof Anfang November 2014 Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung meines Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nach Art.8 GG gegen die Entscheidung des OLG Dresden eingelegt, die meine Verurteilung wegen “grober Störung” einer Versammlung durch das Amtsgericht Dresden für rechtmäßig erklärt hatte. Verfassungsgerichte können sich alle Zeit der Welt nehmen, daher ist völlig unklar, wann eines der Gerichte entscheiden wird.

Warum halten Sie das Urteil gegen Ihre Person und damit auch die in Sachsen offenbar vorherrschende Rechtsauffassung, eine friedliche Sitzblockade sei per se eine grobe Beeinträchtigung des geplanten Ablaufs einer genehmigten Versammlung, für verfassungswidrig?

Schon der Begriff der “Sitzblockade” ist unzutreffend. Er stammt aus der Zeit der achtziger Jahre aus Westdeutschland, als sich Menschen vor Raketenstandorte der Amerikaner setzten, um die Ein- und Ausfahrt von Fahrzeugen zu verhindern, um so gegen die sogenannte “Nachrüstung” zu demonstrieren. Im Falle der Antinaziproteste am 19. Februar 2011 in Dresden entspricht es den Tatsachen besser, von einer “Platzbesetzung” zu sprechen. Diese liegt vor, wenn sich Menschen an einem Ort versammeln, von dem sie es für möglich halten, dass dort eine Versammlung, deren Inhalte sie ablehnen, vorbeilaufen könnte.

Damals hatte die Polizei versucht, die gesamte Dresdner Südvorstadt abzusperren und zum exklusiven Nazigebiet zu machen. Natürlich gelangten dennoch Menschen in dieses Gebiet – und zwar, wie ich auch, ohne gewalttätigen Durchbruch durch eine Polizeikette, auch wenn die Polizei und Staatsregierung offiziell anderes behauptet. Tatsächlich versammelten sich ab etwa 13 Uhr auf der Kreuzung Löfflerstraße / Reichenbachstraße etwa 1.000 Menschen. Dies war eine ganz normale und legale Versammlung. Polizei und sächsische Gerichte negieren diesen Sachverhalt und behaupten, diese Versammlung hätte die Versammlung der Nazis verhindert.

Dabei haben führende Polizeibeamte in meinem Prozess eingeräumt, dass es schon am Vormittag des 19. Februar klar gewesen sei, dass die Nazis nicht würden laufen können. Da die Polizei und Staatsanwaltschaft bis heute die eigentlichen Gewalttäter nicht fassen konnten, machen sie die friedlichen Demonstrierenden von der Kreuzung Löfflerstraße zu Sündenböcken, um das schon im Ansatz völlig verfehlte und gescheiterte Polizeikonzept zu verdecken.

Die Bestrafung wegen grober Störung einer Versammlung beruht auf einem uralten, in sich missglückten Paragraphen des Nebenstrafrechts, den die sächsische Justiz nach jahrzehntelangem Dornröschenschlaft seit 2010 wiederentdeckt und reaktiviert hat, um die friedlichen Platzbesetzer und den Widerstand gegen Nazidemos zu kriminalisieren.

Angenommen, der Verfassungsgerichtshof gibt Ihrem Antrag statt. Welche Rechtsfolgen ergäben sich für die Verfahren gegen andere Sitzblockierer vom 19. Februar 2011, die rechtskräftig verurteilt worden sind? Müsste die Justiz diese Urteile dann gezwungenermaßen wieder aufheben?

Nein. Urteile wirken immer nur zwischen den Beteiligten. Die Justiz wäre nicht verpflichtet, die Urteile wieder aufzuheben, Allerdings wäre dann verfassungsgerichtlich klargestellt, dass die politisch veranlasste Massenverfolgung friedlicher Platzbesetzer von Anfang an rechtswidrig war.

Am 13. Februar ist in diesem Jahr in Dresden erneut mit keinem größeren Naziaufmarsch zu rechnen. Dafür beschäftigt die Pegida-Bewegung seit Ende Oktober Kommunal- und Landespolitik. Warum sind Teile der Dresdner Stadtgesellschaft so anfällig für rechtsradikales Gedankengut?

Der Ehrlichkeit halber sollte man anerkennen, dass durchaus ein großer Teil der Pegidisten keine Dresdner sind, sondern aus dem Umland und ganz Sachsen kommen, ja aus ganz Deutschland anreisen. Leider wird auch in der Regel übersehen, dass sich seit dem Herbst 2014 regelmäßig tausende Dresdnerinnen und Dresdner gegen die Pegidisten und für konkrete Flüchtlingshilfe engagieren.

Aber es stimmt, dass die rassistisch-autoritäre Pegidabewegung nur in Dresden Zehntausende mobilisieren konnte. Einen erheblichen Anteil stellt dabei auch die gewaltbereite und breite Dynamo-Hooliganszene. Es gab und gibt in Dresden und Sachsen immer schon ein breites rechtes bis rechtsextremistisches Spektrum zwischen 10 und 15 Prozent, das seit 1990 bei Wahlen zwischen CDU, FDP und NPD schwankte. Das heißt: die Staatspartei CDU hat die heute bei Pegida geäußerten Meinungen nicht etwa widersprochen und bekämpft, sondern stets um diese Wählerstimmen geworben und so latent rassistisch-autoritäre Stimmungen anerkannt und befördert.

Mit dem politischen Untergang der NPD ist auch die Stigmatisierung dieser Ansichten als nazistisch entfallen. Der Erfolg der vermeintlich “bürgerlichen” AfD hat diese Stimmungslagen salonfähig gemacht, so dass sie jetzt im Gewande “besorgter Bürger” öffentlich vorgetragen werden können. Hinzu kommt, dass der Innenminister Ulbig als CDU-Kandidat für die Dresdner OB-Wahl im Juni offenbar auf die Unterstützung der AfD und des “gemäßigten” Pegida-Flügel um Kathrin Oertel setzt.

Vielen Dank für das Gespräch.

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