Womit anfangen? - Mit der völlig sinnfreien Debatte über eine Aussage in einer Telefonkonferenz der deutschen Innenminister, in der augenscheinlich Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) Kritik einstecken musste? Mit einer noch sinnfreieren Äußerung der Polizeigewerkschaft zum heutigen Legida- und Nolegida-Demonstrationsgeschehen in Leipzig? Und wie bitte war das mit dem Versammlungsrecht? - In Sachsen wird über die eigentlichen Ursachen schon lange nicht mehr diskutiert.

Auch nicht bei den Leuten, die da mit Schildern und Sprüchen “Lügenpresse” auf die Straßen gehen. Sie sind genauso eingelullt vom sächsischen Eiapopeia wie die Leute, die immer wieder den selben König wählen und hoffen, er würde endlich seine Arbeit tun. Tut er aber nicht.

Markus Ulbig als Innenminister ist das exemplarische Beispiel dafür. Er hat die legendäre “Polizeireform 2020” durchgesetzt, obwohl schon 2010, als er dieses große Sparprogramm bei der Polizei anschob, klar war, dass die Zahlen hinten und vorne nicht stimmen und Sachsen gar keine Spielräume hat, Polizisten zu reduzieren. Schon gar nicht im Angesicht der kommenden Altersabgänge und der Sorge, überhaupt noch fitten Nachwuchs zu bekommen.

Die Debatte um die Reform hat tatsächlich die Sicht auf die tatsächliche Personalsituation bei der sächsischen Polizei verstellt. Und von Anfang an fehlte in der Reform eine belastbare Aufgabendiskussion. Erst wenn man weiß, welche Aufgaben die Polizei tatsächlich abzusichern hat, kann man über notwendige Personalstärken reden.

Doch es ist wie in allen anderen Politikfeldern auch, in denen die sächsische Regierung glaubte, einfach sparen zu können, weil bis 2025 vielleicht mutmaßlicherweise die Bevölkerungszahl im Ländchen noch einmal drastisch zurückgehen könnte. Sozusagen ein “Sparen auf Vorrat”. Könnte ja sein.

Dumm nur, dass die Gegenwart ihre Tribute fordert. Dumm, dass die Bevölkerungszahl keineswegs so sinkt wie geplant. Dumm nur, dass die Kriminalitätszahlen gar nicht sinken. Im Gegenteil. Wenn ein Land auf sozialer Sparflamme fährt, wie es die Bundesrepublik tut, dann gerät zwangsläufig der Faktor “Beschaffungskriminalität” in Bewegung. Der Faktor Drogendelikte kommt noch oben drauf.

Die sächsische Polizei hat keineswegs weniger zu tun, sondern eher mehr.

Und sie hat mit einer zum Teil deutlich überalterten Beamtenschaft zu tun. Wer nicht mehr jung und fit ist, der kommt schnell an seine Leistungsgrenzen.

Wenn weiter nichts ist, hört man zwar ein Murren. Aber damit könnte man umgehen. Hätte der sächsische Innenminister seine Polizisten nicht auch finanziell immer wieder an die Kandare genommen. Ein Thema, das die Linksfraktion im Landtag 2012 mal kurz und knackig auf den Punkt gebracht hat. Manchmal muss man auch die Linken an das erinnern, was sie mal gesagt haben. Und natürlich hatten sie Recht, als sie formulierten: “Es geht ja nicht nur um die Wiedereinführung der Sonderzahlung und damit die Herstellung von einem Stück Gerechtigkeit. Es geht darum, dass in diesem Land seit vielen Jahren ständig an irgendwelchen Strukturveränderungen gebastelt wird, die immer zu Lasten der Beschäftigten im Polizeidienst und damit auch im Sicherheitsgefühl der Bevölkerung gehen. Immer weniger Polizeibeamte sollen für immer weniger Geld mehr Sicherheit im Freistaat leisten. Das kann, das wird kein gutes Ende nehmen.”

Das erklärte der Fraktionsvorsitzende der Linken, Rico Gebhardt, am 27. November 2012 anlässlich einer Protestkundgebung: damals waren es die Polizisten, die in Dresden auf die Straße gingen.

Dieselben Polizisten, die jetzt Woche für Woche Pegida- und Nopegida-, Legida- und Nolegida-Demonstrationen in Dresden und Leipzig absichern sollen. Und die jetzt so langsam nicht nur an ihrer Leistungsgrenze sind, sondern die auch so langsam die Schnauze voll davon haben, für all die politisch so eifrigen Bürger ihr Fell hinhalten zu müssen.

Anders kann man die Stellungnahme der Gewerkschaft der Polizei zum Legida/Nolegida-Geschehen am 21. Januar in Leipzig nicht lesen, die diese am 18. Januar veröffentlicht hat. Man kann sie auch anders lesen – und der Ton darin ist mehr als bedenklich. Denn damit positioniert sich die Gewerkschaft auch politisch und kritisiert vor allem Oberbürgermeister Jung, Ordnungsbürgermeister Rosenthal und Pfarrer a.D. Wolff, “Herren in weißen Hemden und mit Krawatte”, die sie für einen “aufgeputschten Lagerkampf” mitverantwortlich macht, weil sich im Schatten des “Aufstands der Anständigen” die “Allianz der Scheinheiligen“ an den Demonstrationen beteiligt und auch gewalttätig wird.

"Griechische Verhältnisse" bei der Polizei? Foto: Marcus Fischer
Foto: Marcus Fischer

Und damit meinen die Polizeigewerkschafter vor allem die Gewalttätigen aus dem linken Spektrum, die es bei der ersten Nolegida-Demo am 12. Januar leider genauso gab wie die Übergriffe aus dem Legida-Lager, wo sich – wie in Dresden – die üblichen Krawallos aus der Leipziger Hooligan-Szene eingefunden hatten. Nur berichtete die Polizei davon gerade nicht. Man ließ diesen Teil der gewalttätigen Vorfälle lieber weg.

Woran die Krawalltouristen von links nicht ganz unschuldig sind, denn in ihrer Klugheit hatten sie ja vier Tage vorher nichts Besseres zu tun, als mit allerlei Wurfgeschossen die Polizeiwache in der Connewitzer Wiedebach-Passage anzugreifen und Polizeiautos anzuzünden.

Auch dieser Vorfall hatte ja bekanntlich einen Schlenker, denn tags drauf fand die Leipziger CDU-Fraktion ja kraft flotten Überlegens ebenfalls ihre Schuldigen. In der LVZ war zu lesen: “Die CDU-Stadtratsfraktion gab der Rathausspitze und besonders dem von Bürgermeister Heiko Rosenthal (Linke) geführten Ordnungsdezernat eine Mitschuld an der Gewalteskalation und verlangte Konzepte zur Verbesserung der Sicherheit.”

Den Schlenker hatte die CDU-Fraktion schon bei früheren Vorfällen drauf – da war es dann auch mal der Sozialbürgermeister, der an der Drogenproblematik in Leipzig Schuld sein sollte.

Aus der Erklärung der Gewerkschaft der Polizei ist der ganze Frust herauszulesen. Und das Erstaunliche: Die Polizeigewerkschafter suchen die Verantwortlichen für die Malaise genauso wenig wie die Stars der Pegida- und der Legida-Szene da, wo sie sitzen: nämlich in den verantwortlichen Ämtern. Sondern sie machen nun just die, die gegen den rechten Populismus auf die Straße gehen, für die Gewalteskalation verantwortlich.

Und das, obwohl sie es selbst von ihren Dresdner Einsätzen wissen, dass die Pegida-Spaziergänge längst auch zum Tummelplatz von 500 bis 800 gewalttätigen Hooligans geworden sind, die beim letzten Spaziergang nur noch gerade so an einem Durchbruch in die Innenstadt gehindert werden konnten. Und da ist man so langsam bei den Hintergründen für die nur scheinbar überraschende Absage aller Demonstrationen am Montag in Dresden.

Eine per Twitter verbreitete Drohung gegen die Pegida-Verantwortlichen soll der Anlass gewesen sein für die Absage.

Da wunderte sich auch Rico Gebhardt am Montag, 19. Januar. Zu Recht: “Ein pauschales Rund-um-die-Uhr-Verbot aller Veranstaltungen unter freiem Himmel in einer Großstadt unseres Landes ist ein beispiellos schwerwiegender Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Versammlungsfreiheit. Unsere Bedenken konnten auch auf der heutigen Innenausschuss-Sitzung nicht gänzlich ausgeräumt werden. – Insbesondere die Untersagung auch sämtlicher Versammlungen, bei denen die mutmaßlich Bedrohten gar nicht zugegen sind, entzieht sich unserem Verständnis. Umso mehr, als ein drohender polizeilicher Notstand verneint worden ist. Geradezu paradox ist es, dass die angeblich am meisten gefährdete Person bei der heutigen öffentlichen Pressekonferenz kaum geschützt wurde. Das passt alles nicht zusammen.”

Die Absage hat zwar für Montag eine mögliche Gewalteskalation verhindert. Aber der Weg ist fragwürdig, wie Gebhardt betont: “Wir haben gleichwohl Verständnis dafür, dass sich niemand der Verantwortlichen dem Vorwurf ausgesetzt sehen wollte, leichtfertig Menschenleben dadurch aufs Spiel zu setzen, dass man bestimmte Bedrohungsszenarien nicht genug ernst genommen habe. Dennoch steht für uns fest: Die Allgemeinverfügung der Polizeidirektion Dresden und die dazu von der Staatsregierung abgegebenen Erklärungen führen in eine Sackgasse – auf dem Weg in eine Demokratie auf Abruf, die durch äußere Terror- und innere Eskalationsszenarien jederzeit außer Kraft gesetzt werden kann.”

Fakt ist aber auch: Eine Polizei, die an den Grenzen ihrer Belastbarkeit ist, kann ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen. Fakt ist auch: Seit Legida dazugekommen ist, hat die Polizei doppelt so viel zu leisten. Zusätzlich.

Es ist höchste Zeit, darüber zu diskutieren, wohin sich eine Polizei verändert, die permanent unterbesetzt und überlastet ist, nun aber dafür sorgen soll, dass die auf die Straße getragene politische Ratlosigkeit abgesichert wird.

Dass man in Dresden eine nicht weiter verifizierte Drohung aus dem Internet nutzte, um sich erst mal für einen Montag den ganzen Aufwand vom Hals zu schaffen, spricht eigentlich Bände. Da wurde etwas “hochgejazzt”, weil man etwas anderes als eigentlich Grund nicht zu nennen wagte.

Und das ist eine auf Grundeis gesparte Polizei, die noch ein paar Wochen Pegida und Legida nicht verkraften würde. Die Stellungnahme von Rico Gebhardt von 2012 ist heute so aktuell wie damals. “Griechische Verhältnisse” nannte er es damals. Das gilt noch immer.

Die Stellungnahme Rico Gebhardts von 2012 als PDF zum download.

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