Es gibt Dinge, die lagern in sächsischen Depots, und erinnern an Aufregungen längst vergangener Jahre. Etwa an die medial geschürte Hysterie um den Vogelgrippeerreger H5N1. Die sorgte 2006 für regelrechten Katastrophenalarm in Deutschland. Und obwohl damals schon klar war, dass die auf dem Markt verfügbaren Medikamente wie Tamiflu da wohl nicht viel ausrichten würden, wenn es tatsächlich zu einer Epidemie käme. Bekanntlich kam es zu keiner Epidemie. Aber auch Sachsen hatte das Medikament gehortet.

Danach hatten die Grünen sich im Herbst mal wieder erkundigt. Denn wenn man ein Medikament nicht verbraucht, dann läuft irgendwann das Haltbarkeitsdatum ab. Dann kann man es entsorgen und spart eine Menge Geld bei der Lagerung. Doch Sachsen will die 2006 erworbenen 69.000 Therapieeinheiten Tamiflu und 200.000 Therapieeinheiten Relenza weiter lagern, teilt im Oktober die damalige Sozialministerin Christine Clauß mit. Obwohl auch die verlängerte Aufbewahrungsfrist bald ausläuft.

Volkmar Zschocke, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Landtag, hat extra nochmal nachgefragt. Und ist einfach verblüfft.

Auch nach Ablauf des Verfalldatums will die Staatsregierung die beiden Grippemittel aufbewahren und sogar einsetzen. Das geht aus der Antwort von Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) auf eine Kleine Anfrage von Volkmar Zschocke hervor (Drs 6/353). Die Ministerin beruft sich dabei auf Stabilitätstest, die eine weitere Verwendung von Tamiflu bis 2016 und von Relenza bis 2015 belegen.

“Im Falle einer Pandemie auf eine Ausnahmeregelung zu hoffen, um abgelaufene Arzneimittel in Verkehr bringen zu können ist keine Lösung, sondern eine Notlösung”, kritisiert Volkmar Zschocke. “Ministerin Klepsch muss sich der Frage stellen, ob ein Einsatz überlagerter Medikamente in Sachsen im Krisenfall tatsächlich vertretbar und verantwortungsvoll ist. Statt darauf zu hoffen, dass der Ernstfall nicht eintritt, muss die neue Ministerin selbst die Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung übernehmen, indem sie sich für eine schnelle Überarbeitung des Pandemieplans auf Bundesebene einsetzt.”

Laut Paragraf 79, Abs. 5 des Arzneimittelgesetzes dürfen antivirale Arzneimittel nach Ablauf des Verfalldatums durch eine Ausnahmeermächtigung verabreicht werden, wenn “ein Versorgungsmangel der Bevölkerung mit Arzneimitteln vorliegt, die zur Vorbeugung oder Behandlung lebensbedrohlicher Erkrankungen benötigt werden, oder im Fall einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht”. Doch bei gesundheitlichen Schäden “haftet die zuständige Behörde, die ein Abweichen vom Verbot des Inverkehrbringens dieser Arzneimittel, deren Verfalldatum abgelaufen ist, gestattet hat” und nicht mehr der Hersteller, wie der Antwort zu entnehmen ist.

“Wir fordern von der Staatsregierung die sofortige Verstärkung der öffentlichen Forschung zur Prävention und zu Therapiemöglichkeiten pandemischer Grippeinfektionen, um heute – und nicht erst wieder im Pandemiefall – angemessene Vorkehrungen treffen zu können und Verunsicherungen in der Bevölkerung wirksam entgegentreten zu können.” Bisher unterstützt der Freistaat “keine Forschungsvorhaben zur Prävention und zu Therapiemöglichkeiten pandemischer Influenzainfektionen”, wie aus der Antwort der Kleinen Anfrage hervorgeht.

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