Sie wollten es unbedingt wissen und fuhren am Donnerstag, 4. November, gemeinsam nach Schweden: Dietmar Woidke (SPD) und Stanislaw Tillich (CDU), die Ministerpräsidenten von Brandenburg und Sachsen. Irgendwie glaubten sie fest daran, dass man Entwicklungen in der Energiewirtschaft einfach nur bereden muss, dann bleibt schon alles beim Alten. Aber zumindest in Schweden weiß man, dass gar nichts beim Alten bleibt. Schon gar nicht bei der Kohleverbrennung.
Auch wenn die beiden Ministerpräsidenten verkündeten, dass sie sich bei der (noch regierenden) schwedischen Regierung und der Unternehmensführung von Vattenfall für den Erhalt der Arbeitsplätze in der Lausitzer Braunkohleindustrie einsetzen wollten. Als wenn Arbeitsplätze zu retten wären, wenn man so verkrampft an veralteten Technologien festhält. Und Kohleverbrennung ist eine alte Technologie.
In den Gesprächen mit Mikael Damberg, Minister für Wirtschaft und Innovation, Vertretern des Wirtschaftsausschusses des schwedischen Parlamentes sowie dem Präsidenten und CEO der Vattenfall AB, Magnus Hall, und dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Vattenfall GmbH Deutschland, Tuomo Hatakka, forderten die beiden Dienstreisenden schnellstmögliche Klarheit über die Zukunft der Braunkohlesparte von Vattenfall in der Lausitz.
Dabei haben sie selbst keine Klarheit, weil sie sich mit Händen und Füßen dagegen sträuben, den Ausstieg aus der Kohle lang- und mittelfristig zu gestalten.
In den Gesprächen hat Schwedens Wirtschaftsminister Damberg dann recht deutlich darauf hingewiesen, dass trotz der aktuellen politischen Situation in Schweden die Prüfungen zur Zukunft der Braunkohlesparte in der Lausitz bei Vattenfall unmittelbar weitergeführt werden. Sie sollen bis Frühjahr 2015 abgeschlossen sein. Vor diesem Hintergrund sicherte Vattenfall zwar zu, beide Bundesländer eng in diesen Prozess einzubinden. Aber es sichert nicht zu, die Kohlekraftwerke in der Lausitz und im Leipziger Südraum behalten oder am Netz lassen zu wollen. Das ist völlig offen und hängt nicht nur von der schwedischen Politik ab, die den schnellen Ausstieg aus der Kohle will. Auch Vattenfall hat mehrfach bekräftigt, dass es seinen CO2-Austoß deutlich senken will. Das funktioniert nur, wenn es (schrittweise) aus der ostdeutschen Braunkohleverstromung aussteigt.
Aber um die beiden besorgten Herren zu beruhigen, wurde vereinbart, einen “kontinuierlichen und regelmäßigen Informationsaustausch zu gewährleisten”.
“Seit dem Einstieg Vattenfalls in der Lausitz hat sich das Unternehmen stets als verlässlicher und fairer Partner erwiesen. Beide Seiten – Vattenfall und die Region – haben davon wirtschaftlich stark profitiert”, betonte Stanislaw Tillich dazu. Aber so langsam scheint er so eine Ahnung zu bekommen, dass es der schwedische Staatskonzern aus simplen wirtschaftlichen Gründen ernst meint mit dem Ausstieg aus der Kohle. Nur vertraut er immer noch fest darauf, dass sich ein Hasardspieler findet, der jetzt die Kohlekraftwerke in der Lausitz kauft. Tillich: “Ich erwarte daher, dass Vattenfall auch jetzt seiner wirtschaftlichen, sozialen und energiepolitischen Verantwortung gerecht wird. Das heißt, dass ein Übergang zu einem neuen Eigentümer so erfolgen muss, dass auch weiterhin Braunkohle in der Lausitz gefördert wird, um Arbeitsplätze und eine verlässliche, stabile und kostengünstige Energieversorgung bis 2050 zu sichern.”
Etwas grimmiger klang dann die Stellungnahme von Dietmar Woidke (SPD) nach den Gesprächen: “Wir haben gegenüber der schwedischen Regierung und auch gegenüber Vattenfall vor einer Zerschlagung der Geschäftseinheit Bergbau und Kraftwerke gewarnt. Förderung und Verstromung von Kohle gehören in eine Hand. Wenn es zum Verkauf kommen sollte, müssen die Rahmenbedingungen auch zukünftig den dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens sichern. Die vorliegenden Beschlüsse der brandenburgischen und sächsischen Landesregierung gewährleisten den Weiterbetrieb der Kraftwerke in der Lausitz. Das haben wir deutlich gemacht. Wir haben zudem darauf gedrungen, dass Vattenfall seinen Verpflichtungen bis zum Verkauf voll und ganz gerecht werden und geplante Investitionen durchführen muss. Klar ist auch: Jeder neue Investor muss wirtschaftlich stark sein und ein langfristiges Engagement im Braunkohlegeschäft der Lausitz gewährleisten.”
Er hat zumindest begriffen, dass die Suche nach einem Käufer sehr schwer wird. Selbst der potente deutsche Energiekonzern e.on hat ja mittlerweile angekündigt, sich aus den alten Kraftwerkparks zu verabschieden. Die Chance aber, den Ausstieg aus der Kohle gemeinsam zu gestalten, die haben weder Tillich noch Woidke begriffen. Sie fahren in ihrer Energiepolitik hohes Risiko und sind gerade dabei, den Steuerzahlern in Sachsen und Brandenburg eine teures Desaster beim Traum von “billigem Strom” zuzumuten. Billig ist der nur in den politischen Statements der Parteien. In der Praxis wird Kohle immer mehr zum Zuschussgeschäft.Beide Ministerpräsidenten luden den Wirtschaftsausschuss des schwedischen Reichstages zu einem Besuch in die Lausitz ein, damit dieser sich selbst vor Ort ein umfassendes Bild zu allen relevanten Fragen machen kann. Vielleicht sagt der Ausschuss ja dann den schönen Gorbatschow-Spruch auf Schwedisch.
Der Kommentar der sächsischen Grünen zu so viel Glauben an die Kohle fällt entsprechend bildhaft aus.
“‘Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, dann steig’ ab!’ – Über diese alte Dakota-Weisheit sollte der Ministerpräsident nach seiner Reise mal in aller Ruhe nachdenken”, meint Dr. Gerd Lippold, energiepolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. “Im Energiegeschäft haben das all jene, die sich gut auskennen müssen, verstanden. EON sattelt um, Vattenfall sattelt um. Die Stadtwerke satteln um. Die Energiewirtschaft ist im Aufbruch in die Zeit nach den fossilen Energieträgern. Der sächsische Ministerpräsident scheint all das mit seinem SPD-Kollegen Woidke aus Brandenburg völlig zu ignorieren. Frei nach dem Motto: Das eigene tote Pferd ist noch schöner, besser und billiger tot als andere tote Pferde.”
Sachsen droht – nachdem es technologisch nun fünf Jahre Stillstand hinter sich hat, auch die nächsten Jahre der technologischen Entwicklung in der Energiewirtschaft zu verschlafen. Das Koalitionspapier von SPD und CDU war entsprechend dünn. Eine Strategie, wie Sachsen eine nachhaltige Energiezukunft sichern kann, haben auch CDU und SPD noch nicht fertiggebracht. Wahrscheinlich werden sie erst munter, wenn der Vattenfall-Versuch fehl schlägt, die Kraftwerkparks noch kostendeckend zu verkaufen.
Gerd Lippold: “Sachsen setzt auf ein Braunkohle-Geschäftsmodell, das sich nur rechnet, so lange immense volkswirtschaftliche Kosten dieses Tuns ignoriert werden und wirksamer Klimaschutz nicht funktioniert. So verwundert es nicht, dass Tillich auch das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung ‘skeptisch’ sieht. Unser innovatives Sachsen ist unter der Regierung von Ministerpräsident Tillich und – jetzt auch unter der Verantwortung des neuen Wirtschaftsministers Martin Dulig (SPD) – ein besonders hartnäckiger Bremser im Klimaschutz. Das liegt nicht an mangelnder Erkenntnis, das liegt an deren Vorfestlegung auf das Braunkohlengeschäft.”
Wahrscheinlich wirkt das fünf Jahre eingeübte Mantra noch fort: Kohle ist billig. Kohle ist sicher.
Die Börsenpreise für Strom scheint man weder in Potsdam noch in Dresden zu lesen.
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“Der immer noch weit über dem deutschen Durchschnitt liegende CO2-Pro-Kopf-Ausstoß in Sachsen wird durch das energiewirtschaftlich nicht zu rechtfertigende Festhalten an Braunkohlenstrom-Überkapazitäten dauerhaft zementiert. Es geht überhaupt nicht um die Frage, welches Braunkohlekraftwerk ein paar Prozent mehr oder weniger Effizienz hat. Jedes Kohlekraftwerk vergeudet mehr als die Hälfte der eingesetzten Energie aus der Kohle, die es nicht in Strom umwandelt, sondern unter CO2-Ausstoß verheizt. Es gibt klimafreundlichere Alternativen zu den ganz besonders klimaschädlichen Kohlekraftwerken”, so Lippold. “Tillichs Aussage, Sachsen habe seinen CO2-Ausstoß gegenüber 1990 bereits um 47 Prozent reduziert, verschleiert das heutige Problem, denn diese Reduzierung war größtenteils auf den Zusammenbruch der veralteten DDR-Energiewirtschaft zurückzuführen.”
Es ist höchste Zeit, dass auch Brandenburg und Sachsen einen Prozess beginnen, der in Berlin schon lange läuft. Berlin hat extra eine Enquete-Kommission “Neue Energie für Berlin” gegründet – und im November hatte man auch den Vattenfall-Vorsitzenden Tuomo Hatakka eingeladen, an der mittlerweile neunten Sitzung teilzunehmen.
“Je früher Sachsen sich darum kümmert, wie man in Zukunft vorwärts kommt, desto besser ist das für uns alle. Auch für die Menschen in den Kohleregionen, weil dann endlich alle Kräfte gebündelt werden können, um genau dort den notwendigen Strukturwandel voranzubringen und echte Zukunftsperspektiven zu öffnen”, sagt Gerd Lippold. “Die Welt ist im Aufbruch, um wirksamen Klimaschutz zu organisieren. Die bisherigen Bremser China und USA einigen sich auf ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen. Große Fonds und Banken ziehen sich aus dem Kohlegeschäft zurück. Die Bundesregierung plant zusätzliche CO2-Reduktion, indem Kohlekraftwerkskapazitäten aus dem Markt genommen werden. Der weitaus größte Teil der noch vorhandenen fossilen Kohlenstoff-Ressourcen steht für die Verbrennung nicht mehr zur Verfügung und muss in der Erde bleiben. Die weltwirtschaftlichen Auswirkungen dieser Erkenntnis treiben Unternehmen und Kapitalanleger weltweit zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen.”
Die Entwicklung bei e.on – hier in einem Beitrag des “Manager Magazins”: www.manager-magazin.de/unternehmen/energie/e-on-will-geschaeft-mit-atom-gas-und-kohle-loswerden-a-1005877.html
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