Ob das Papier, auf welchem Koalitionsverträge geschrieben stehen, in Sachsen geduldig ist, werden die kommenden Monate und Jahre zeigen müssen. Dennoch bewerten und kommentieren derzeit natürlich alle, was da nun nach vier Wochen aus den Verhandlungen zwischen CDU und SPD als Koalitionsvertrag herausgepurzelt kam. Natürlich auch die Grünen, selbst kurzzeitig im Rahmen von Sondierungen im Gespräch mit der CDU. Erster Punkt der ausführlichen Kritik: Die Mitbestimmung in Sachsen, gefolgt von Energiepolitik und Umweltthemen bis Agrarwirtschaft. Zu allem anderen: schaun mer mal.

Die Liste ist lang, die grüne Opposition offenbar wach und jeder der einzelnen Oberpunkte des frisch erschienen Vertrages wird seziert. Durchaus wohlwollend, in einigen Punkten hat sich die CDU offensichtlich von harten Linien verabschiedet, neue Ideen haben Eingang in die möglichen Handlungsrichtlinien der kommenden Jahre gefunden. Doch ihre Sicht machen die Grünen gleich zu Beginn deutlich: zu langsam und zu zögerlich.

Auch wenn man bei den Grünen dem Frieden nicht so recht trauen möchten – versteckte Komplimente und Ankündigungen zum scharfen Beobachten der Umsetzungen wechseln sich fröhlich ab. Vor allem das Wort “prüfen” wimmelt durch den Koalitionsvertrag wie ein Ameisenstamm. Ganze 56 Mal nehmen sich die Koalitionäre in spe vor dieses oder jenes zu versuchen. Denn mehr heißt prüfen dann eben auch – kann klappen, muss aber nicht. Gern genutzt, wenn die Richtung noch nicht klar, die Ideen viele und teils konkurrierende sind.

Der Landesvorsitzender der Grünen, Volkmar Zschocke deshalb zu einem der Punkte, wo man hätte statt zu prüfen, einfach auch den Schalter umlegen könnte: “Nichts wäre einfacher, als den Oppositionsparteien bei der Senkung der Hürden bei Volks- und Bürgerentscheiden auf Landes- und kommunaler Ebene die Zusammenarbeit anzubieten. Sich hier hinter einem Prüfauftrag zu verstecken, bedeutet, dass die Forderung nach mehr Demokratie in Sachsen an der unbeugsamen Haltung der CDU gescheitert ist.”

Irgendwie hat man es vor, doch das muss man prüfen. “Ich sehe keinen Mut, kaum Weitsicht und nur wenig Miteinander. Ich habe erhofft, dass die SPD mehr aus ihrem Wahlergebnis macht”, so Zschocke in einem ersten Fazit nach der heutigen Lektüre der Vorhaben. Wichtig seien dabei auch die Zeitachsen, in welchen sich neue Ziele erreichen lassen sollen. Als Beispiel dafür gilt für Zschocke der Betreuungsschlüssel in sächsischen Kitas. So sei es richtig, dass der Betreuungsschlüssel in den Kitas von 1:13 auf 1:12 bei den ab 3-Jährigen und von 1:6 auf 1:5 abgesenkt und damit verbessert werden sollen.

Nur lassen sich SPD und CDU für dieses Vorhaben Zeit, man möchte es im Verlauf der kommenden fünf Jahre anpacken.

Es gibt also genug Streit- und Beobachtungspotential für die Opposition im sächsischen Landtag. Worauf sich die Grünen konzentrieren werden, deuten die Bewertungen von Volkmar Zschocke für seine Partei bereits an.

Energiepolitik

“Die schwarz-rote Koalition drückt sich davor, beim Thema Braunkohle den schrittweisen Ausstieg zu gestalten und hofft auf ein ‘Weiter so!’. Die SPD unterschreibt das von Schwarz-Gelb vorbereitete politische Todesurteil für mehrere Dörfer in der Lausitz. Die Verbesserungen zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zur Energieeffizienz sind nur die Rückkehr zur Realpolitik. Was sie wert sind, wird sich erst im Regierungshandeln zeigen. Positiv ist, dass man das Energie- und Klimaprogramm in Anlehnung an die gesetzlichen Ausbauziele auf Bundesebene anpassen möchte. Eine konkrete Untersetzung fehlt auch hier.”

Bildungspolitik

“Gut, dass auch CDU und SPD sehen, dass ein erster Schritt zur Verbesserung des Betreuungsschlüssels in Krippen und Kitas auf 1:5 bzw. 1:12 finanzierbar ist. Schade ist, dass sie sich dafür eine ganze Wahlperiode Zeit lassen wollen. Statt angezogener Handbremse wäre hier ein beherztes Vorgehen nötig.

Forderte die SPD im Mai noch die Einstellung von zusätzlichen 500 Lehrkräften im Jahr über den Ersatzbedarf hinaus, decken die nun versprochenen 6.100 Lehrerstellen bis 2019 kaum den Bedarf durch ausscheidende Lehrkräfte – steigende Schülerzahlen oder mehr Lehrkräfte zur Umsetzung der Inklusion noch nicht eingerechnet.

Offenkundig war die Gemeinschaftsschule das bildungspolitische Opfer, das die SPD für die Regierungsbeteiligung erbringen musste. Die Möglichkeit für Oberschulen, eigenverantwortlich von der ‘Bildungsgangsdifferenzierung’ abzuweichen, hat wenig mit längerem gemeinsamen Lernen zu tun. Auch von einem Landesprogramm zur Schulsozialarbeit fehlt jede Spur.

Schulen in freier Trägerschaft gelten weiterhin nur als ‘Bereicherung des Angebots’ und werden wohl auch mit der Novelle des Gesetzes für freie Schulen nicht die Gleichstellung mit staatlichen Einrichtungen erfahren, die ihnen verfassungsmäßig gebührt.”

Hochschulpolitik

“Im Hochschulbereich sind CDU und SPD nur bei geplanten Einsparungen und Regulierungswünschen deutlich: Die Reduzierung der Studierendenzahlen auf 95.000 würde für Sachsen den Verlust von fast 20.000 jungen Menschen bedeuten. Der versprochene Verzicht auf den Stellenabbau an Hochschulen bis 2020 ist ein Hohn, denn die knapp 300 bis 2015 zu kürzenden Stellen fallen weiterhin weg. Zudem werden nur die Hochschulen, die sich mit der Staatsregierung auf eine ‘Hochschulentwicklungsplanung 2025’ verständigen, ab 2017 geschont – eine Erpressungssituation, wie man sie schon aus den Regelungen zu Zielvereinbarungen kennt.

Die Verbesserungen bei Lehrqualität, Masterplätzen und Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses werden nur angedeutet, ebenso ein Bemühen um ein modernes BAföG. Die von den chronisch unterfinanzierten Hochschulen dringend benötigte Aufstockung der Grundfinanzierung wird mit überhaupt keinem Wort erwähnt. Den Studentenwerken verspricht man trotz der seit Langem bekannten Finanzierungslücke von 4 Mio. Euro lediglich eine ‘deutliche Verbesserung’.”

Personalpolitik, Polizei, Inneres

“Positive Zeichen setzt die Koalition für eine bessere Personalpolitik, die langfristig die Leistungsfähigkeit der Verwaltung in Sachsen sichert. So wird der beschlossene Stellenabbau 2010 bei der Polizei aufgehoben, es sollen neue Stellen für Richter und Staatsanwälte geschaffen und mehr Personal für den Sächsischen Datenschutzbeauftragten geprüft werden. Die angekündigte Beschwerdestelle für die Polizei im Innenministerium ist nicht unabhängig, aber ein Schritt in die richtige Richtung.

Initiativen zur Stärkung der Bürgerrechte sind kaum zu erwarten. Zu befürchten ist, dass der Instrumentenkoffer der Polizei unter dem Stichwort ‘Effektivierung der Polizeiarbeit’ durch die Nutzung moderner Technik weiter erweitert wird. Zu einer weiteren Erosion des Datenschutzes darf es aber nicht kommen.

Die Schaffung eines Informationsfreiheitsgesetzes ist ein Fortschritt, da Sachsen eines der letzten Bundesländer ohne ein solches Gesetz ist. Wir werden im Gesetzgebungsverfahren auf die Formulierung von Anspruchsvoraussetzungen oder Ausnahmetatbeständen der ‘besonderen öffentlichen Belange’ achten.”

Umweltpolitik

“Umweltpolitik scheint der CDU/SPD-Koalition ebenso wie CDU/FDP fast egal zu sein. Baumschutz und Flächenversiegelung sind kein Thema. Die Aussagen zu Biodiversität und Naturschutz sind nicht mehr als warme Worte. Das Bekenntnis zu Deichrückverlegungen beim Hochwasserschutz und zu einem Auenprogramm entsprechen jahrelangen grünen Forderung. Hier werden wir kritisch beobachten, ob den Worten Taten folgen.”

Verkehrspolitik

“Dass die Koalition unsere Verkehrsprojekte Integraler Taktfahrplan und Sachsentarif umsetzen will, begrüßen wir. Das setzt aber eine Umverteilung der Mittel und Investitionsprioritäten in der Verkehrspolitik voraus. Hier bleibt der Koalitionsvertrag vage. Denn auch die angekündigte Verbesserung der ÖPNV-Finanzierung garantiert angesichts voraussichtlich knapperer Mittel von der Bundesebene keine bessere Mittelzuweisung. Die Neuansätze bei Rad- und Nahverkehrsmobilität gehen in die richtige Richtung, es fehlen allerdings klare Zielstellungen und Umsetzungshorizonte.”

Landwirtschaftspolitik

“Eine Landwirtschaftspolitik, die sich am Tierwohl und mehr Ökologie orientiert, war von CDU und der sächsischen SPD von vornherein nicht zu erwarten. Hier hat die SPD komplett versagt. Die Zementierung der bestehenden Agrarstruktur wird die Entwicklung des ländlichen Raumes weiter nachhaltig ausbremsen.”

Sozial- und Jugendpolitik

“Die Erhöhung der Jugendpauschale um zwei Euro auf 12,40 Euro wirkt den massiven Kürzungen der letzten Jahre im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit entgegen. Wir GRÜNE verbinden damit die Hoffnung, dass zukünftig tatsächlich mehr präventive Angebote für Kinder und Jugendliche entstehen. Die Forderung der SPD nach mehr Kinder- und Jugendbeteiligung findet sich im Koalitionsvertrag jedoch nicht wieder.

Mit der Abschaffung des Schulgeldes für Pflegeschülerinnen und Pflegeschüler in der Altenpflege mit Beginn des Schuljahres 2015/2016 wird ein erster wichtiger Schritt gegangen, um Fachkräfte zu gewinnen. Statt eines Landespflegegesetzes soll es nur eine Gesamtstrategie geben. Inwiefern damit ein Gesamtkonzept vorgelegt wird, das die vielfältigen Probleme in der Pflege anpackt, bleibt fraglich.

Die geplante Fortführung des Landeserziehungsgeldes kritisieren wir scharf. Der Landesrechnungshof hat jüngst die Wirksamkeit dieser familienpolitischen Leistung in Sachsen in Frage gestellt, auch weil sie sich nicht in das System anderer Sozialleistungen einfügt.”

Gleichstellungspolitik

“Die Erarbeitung eines modernen Gleichstellungsgesetzes entspricht unseren Forderungen. Eine bedarfsgerechte Finanzierung von Frauen? und Kinderschutzhäuser, Interventionsstellen sowie Täterberatungsstellen ist dringend notwendig. Es bleibt abzuwarten, ob etwa der Aktionsplan gegen Diskriminierung umgesetzt wird oder nur ein ‘Papiertiger’ bleibt.”

Migrations- und Integrationspolitik

“Die Herausforderungen, die im Zusammenhang mit Asyl und Flucht entstehen, kommen zu kurz. Es fehlen Mindeststandards zur Unterbringung, sozialer Betreuung und medizinischer Versorgung von Flüchtlingen. Wir begrüßen aber den Anspruch auf einen kostenlosen Sprachkurs mit mindestens Sprachniveau A2.”

Wirtschaftspolitik

“Auf dem ökologischen Auge bleiben SPD und CDU in ihrem Wirtschaftsprogramm völlig blind. Es ist es kein großer Wurf, das Vergabegesetz lediglich an europarechtliche Vorgaben anzupassen. Die angekündigte Prüfung von Maßnahmen zur Erhöhung der Tarifbindung sowie soziale und ökologische Kriterien für das neue Vergabegesetz werden wir konstruktiv und, wenn nötig, mit eigenen Vorschlägen begleiten.”

Obwohl Sachsen beim Breitband-Ausbau im Ländervergleich weit zurückliegt, bleibt der Koalitionsvertrag in diesem Punkt vage und verwässert sogar das 50-Mbit/s-Ziel der Bundesregierung: CDU und SPD nennen weder einen klaren Zeithorizont, noch beschreiben sie, wie sie dieses Ziel erreichen und dabei vor allem auch die Situation im ländlichen Raum verbessern wollen. Die zentrale Frage nach der Schlüsseltechnologie blendet der Koalitionsvertrag gleich ganz aus. Dabei wäre das Bekenntnis zu Glasfaser-Internet ein wichtiges Zeichen dafür, dass die Staatsregierung es mit der digitalen Zukunftsfähigkeit Sachsens ernst meint.”

Kulturpolitik

“Das Bekenntnis zur stärkeren Finanzierung der Kulturräume ist schön und gut. Es bleibt aber völlig unklar, ob es nur ein einmaliges Trostpflaster geben soll oder eine echte Dynamisierung, also eine regelmäßige Überprüfung und Anpassung. Wir Grüne fordern ein Plus von 8 Millionen Euro sowie eine vollständige Rücknahme der Belastungen durch die Landesbühnen, also mindestens 12 Millionen mehr als momentan bei den Kulturräumen ankommt.”

Finanzierung und Haushaltspolitik

“Die Finanzierung der Pläne von CDU und SPD wird eine schwierige Herausforderung sein. Bei den Personalkosten erwarten wir von der neuen Koalition, dass sie den notwendigen Personalaufstockungen bei Polizei und Lehrerinnen und Lehrern insbesondere Einsparungen bei den Ministerien gegenüberstellt.

Wir befürworten die Ankündigung, die Haushaltsklarheit sowohl im Kernhaushalt als auch bei den Nebenhaushalten zu stärken und die Haushaltsordnung zu überarbeiten. Die von uns lange geforderte und nun angekündigte Optimierung der Beteiligungsverwaltung halten wir für überfällig. Dass seit 2009 nun endlich wieder jährliche Beteiligungsberichte veröffentlicht werden sollen, ist eine überfällige Rückkehr zu bundesdeutschen Standards.

Im Bereich der Kommunalfinanzen begrüßen wir die Absicht, am Gleichmäßigkeitsgrundsatz festzuhalten und bestehende Ungerechtigkeiten in der innersächsischen Finanzverteilung zu überprüfen. So besteht für die kreisfreien Städte die Aussicht, dass ab 2017 bei der Verteilung der Hartz-IV-Sonderbundesergänzungszuweisungen ihre tatsächlichen Berücksichtigung finden.”

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