Es ist nicht neu, was die LVZ am 18. Oktober als Thema aufgriff. Aber es ist neu, dass es die LVZ so prominent aufgriff. Immerhin hatte man bislang keinen besonders großen Dissens zur Hardliner-Politik des sächsischen Innenministers Markus Ulbig (CDU). Doch mittlerweile sorgt ein Brief, den ein sächsischer Polizeiseelsorger geschrieben hat, im Landtag für Aufsehen. Landesbischof Jochen Bohl hat ihn dorthin weitergeleitet. Denn die sächsische Abschiebepraxis ist auch für die betroffenen Polizisten traumatisch.

Wenn Asylanträge abschlägig beschieden werden, werden die Polizisten gerufen, die die betroffenen Familien zum Flughafen bringen sollen, auch gern in der Nacht. Egal ob alleinerziehende Frauen oder Kinder – die Abschiebepraxis wird in Sachsen noch gnadenloser praktiziert als in anderen Bundesländern. Noch mitten im Wahlkampf positionierte sich Markus Ulbig als echter Hardliner und zeigte sogar per Pressemitteilung, dass in seinem Verfügungsbereich noch härter zugriffen wird als im eh schon rabiaten Bayern.

Am 24. August verkündete er sogar voller Stolz: “585 Abschiebungen bislang in 2014”. Da begann die Flüchtlingswelle aus den Bürgerkriegsgebieten in Irak, Syrien und Nordafrika gerade erst mit aller Wucht nach Sachsen hereinzubranden. Eigentlich ein Zeitpunkt, an dem ein verantwortungsbewusster Innenminister sofort reagiert und mehr Geld und Ressourcen zur Aufnahme der Flüchtlinge bereitstellt. Aber Markus Ulbig nutzte den Zeitpunkt lieber, um auf eine Beschleunigung der Asylverfahren zu drängen.

“Wir brauchen jetzt sehr schnell Klarheit, wer Schutz verdient und wer Deutschland wieder verlassen muss”, formulierte es der Innenminister und suggerierte damit auch gleich mal wieder dem nervösen Volk, dass es Asylsuchende gibt, die “Schutz verdienen – und solche, denen keiner zusteht. “Ich fordere vom Bund, dass die Verfahren in drei Monaten entschieden sind – wie im Koalitionsvertrag festgelegt. Sonst läuft das Asylrecht leer für diejenigen, die auf Schutz angewiesen sind und Hilfe brauchen. Auch die Klassifizierung der Balkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten muss in der jetzigen Situation spürbar Entlastung bringen.”

Bei der Gelegenheit verkündete er: “Bis zum 30. Juni 2014 wurden aus Sachsen 585 Personen abgeschoben. Damit steht der Freistaat im Bundesvergleich an oberer Stelle. In Sachsen wurden bis Ende Juni 2014 bisher ca. 3.900 Asylbewerber ins Verfahren aufgenommen. Die Hauptherkunftsländer waren dabei Syrien und Tunesien. Auch Serbien gehört dazu.”In der von seinem Ministerium ausgereichten Tabelle zeigte er dann auch stolz auf, wie der kleine Freistaat Sachsen schon 2013 den großen Freistaat Bayern bei den Abschiebezahlen überbot. Schaffte Bayern – aus dieser seltsamen Sicht des sächsischen Innenministeriums – nur 942 Abschiebungen, kam Sachsen auf 1.230. Und 2014 war man auf dem besten Weg, genauso “erfolgreich” zuzugreifen, bis Juni waren schon 584 Abschiebungen aus Sachsen erfolgt. Nicht aufgegliedert hatte das Innenministerium die Zahl nach Frauen und Kindern.

Im Brief des Polizeiseelsorgers, der jetzt den Landtag – und möglicherweise auch den künftigen Innenminister – beschäftigt, wird vom Leidensdruck der Polizisten erzählt, die oft zu nächtlichen Einsätzen ausrücken, um Frauen und Kinder – auch mit Gewalt – zum Flughafen zu schaffen. Das sei “ultima ratio” – das letzte Mittel – , zitiert die LVZ das Innenministerium.

Dieses gefühllose Vorgehen kritisiert Petra Zais, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag: “Die sächsische Abschiebepraxis zeichnet sich durch eine besondere Härte aus, die selbst Kinder nicht verschont. Der amtierende Innenminister Markus Ulbig (CDU) hat offenbar kein Problem damit, Kinder in der Nacht brutal aus dem Schlaf reißen zu lassen. Dass Mütter versuchen, durch Selbstverletzung Abschiebungen zu verhindern, zeugt von deren äußerster Not. Die Abschiebepolitik des Innenministers ist inhuman, völlig unangemessen und inakzeptabel”, kritisiert Zais. “Ich finde es gut, wenn Polizeibeamte die Courage haben, gegenüber ihrem obersten Dienstherren die Realität der Abschiebepraxis zu verdeutlichen.”

Christlich ist das, was der Innenminister aus der Partei mit dem C praktiziert, auf keinen Fall, stellt Zais fest: “Die sächsische Abschiebepraxis wurde wiederholt von Flüchtlingshilfsorganisationen angeprangert. Dass jetzt sogar Polizeibeamte an der Rechtsstaatlichkeit derartigen Handelns zweifeln, macht eins deutlich: Wir brauchen ein Umdenken und Umsteuern in der sächsischen Flüchtlingspolitik. Law and Order sind in Zeiten von Bürgerkriegen und existenziellen Nöten nicht die richtige Antwort. Vor allem ist sie alles andere als christlich.”

Und dann wird sie selber christlich und erwartet, dass ein hartherziger Minister auf einmal christliche Milde entdeckt: “Ich fordere Herrn Ulbig auf, diese menschenverachtende Abschiebepraxis sofort zu beenden.”

Die Abschiebezahlen vom August als PDF zum Download.

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