Fünf Jahre lang durfte die FDP gemeinsam mit der CDU in Sachsen ausprobieren, wie man ein Land "verschlankt" und "entbürokratisiert". Es ist zwar Manches dazu beschlossen worden - gut getan hat es dem Freistaat nicht. Im Gegenteil: Das zentrale Projekt, die Zahl der Landesbediensteten mit Gewalt von 86.000 auf 70.000 einzudampfen, hat schon auf der ersten Etappe zu dramatischen Entwicklungen in Schule, Polizei, Gerichten und anderen Teilen des Landesapparates geführt.

Es war klar, dass die SPD dieses Spiel ohne eine zugrunde liegende Personalkonzeption und ohne sinnvolle Bedarfserfassung nicht mitspielen würde. So ist im Koalitionsvertrag einiges von dem, was 2010 vollmundig in “Konzepte” gegossen worden ist, jetzt zurückgenommen. Und auch wenn der Linke-Vorsitzende Rico Gebhardt glaubt, vor allem in Ministerpräsident Stanislaw Tillich und Finanzminister Georg Unland (beide CDU) die eigentlichen Verlierer des Vertrags sehen zu können, hat der eigentliche Verlierer einen anderen Namen: Markus Ulbig, der Innenminister. Denn seine sogenannte “Polizeireform 2020” ist als allererstes und komplett vom Tisch gefegt worden.

Schluss mit der “Polizeireform 2020”

Das steht freilich erst weiter hinten im 110-Seiten-Papier – ab Seite 95 zu finden. Die wesentlichen Kernaussagen dazu lauten:

“Wir werden in den nächsten Jahren die Zahl der Neueinstellungen in der Polizei auf mindestens 400 Polizeianwärter erhöhen und diesen Einstellungskorridor langfristig sichern. Zur Unterstützung und Entlastung des Polizeivollzugsdienstes werden zudem in den nächsten zwei Jahren 100 Spezialisten eingestellt. Diese sollen insbesondere in den Bereichen Cyber crime, IT-Forensik sowie zur Sicherstellung der polizeilichen IuK eingesetzt werden. Wir werden auf diese Weise die Leistungsfähigkeit der bestehenden Strukturen stärken und diese punktuell neuen Herausforderungen anpassen.”

Zwischenkommentar: IuK ist Informations- und Kommunikationstechnik. Und die Größe von 400 Polizeianwärtern ist durchaus diskutabel. Einige sächsische Kritiker gehen davon aus, dass es mindestens 600 sein müssten. Die zweite wichtige Stelle:

“Die zum 01.01.2013 eingenommene Polizeiorganisation ist hinsichtlich der Aufgaben sowie der Personal- und Sachausstattung umfassend zu evaluieren. Die personelle und technische Ausstattung der sächsischen Polizei muss sich an ihren Aufgaben orientieren. Die Koalitionspartner setzen dazu eine Fachkommission ein, die aus Vertretern des SMI, der Polizeidienststellen, der Personalvertretung und externen Sachverständigen besteht und diesen Prozess begleitet. Die Fachkommission bewertet anhand der Aufgaben unter Berücksichtigung der Kriterien Fläche, Bevölkerung und Kriminalitätsbelastung den Personalbedarf der sächsischen Polizei. Sie prüft dabei u.a., ob und inwieweit die derzeitige Stellenausstattung der Polizei dem Personalbedarf entspricht. Die Fachkommission legt ihre Ergebnisse zum Ende des Jahres 2016 vor und zeigt Handlungsbedarfe auf. Der seit dem Jahr 2010 zusätzlich beschlossene Stellenabbau bei der Polizei wird zurückgenommen.”

Kommentar: Damit wird einer Forderung entsprochen, wie sie Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz in letzter Zeit auch öffentlich geäußert hat, seit die “Polizeireform 2020” inkraft trat und die Personalfehlstellen auch in Leipzig spürbar wurden. Vom Tisch ist damit auch die von Georg Unland gern gebrauche Formel, die sächsische Polizeistärke an einem nie verifizierten “westlichen Bundesland” auszurichten. Jedes Land, jede Region hat andere Strukturen, die auch andere Polizeibesetzungen erfordern.

Mehr Lehrer in die Schulen

Ab Seite 9 beschäftigt sich der Koalitionsvertrag ausgiebig mit dem sächsischen Bildungssystem, das in den letzten fünf Jahren ebenfalls einem Sparverdikt unterworfen war. Einiges davon wird jetzt zurückgenommen. Und für die Schulen soll es endlich – wie von der SPD gefordert – eine belastbare Personalplanung geben. Aber die neue Regierung bekennt sich auch – anders als die vorherige – zum Einsatz von Schulsozialarbeitern in den Schulen. Die wesentlichen Stellen:

“Schulsozialarbeit ist für uns ein wichtiges Hilfs- und Unterstützungsinstrument an Schulen. Sie soll den Schulalltag für alle Beteiligten unterstützen und helfen, Benachteiligungen abzubauen.”

“Wir werden im Rahmen eines im Jahr 2015 vorzulegenden ‘Lehrerpersonalentwicklungskonzeptes 2020’ die genauen Bedarfe ermitteln und für einen reibungslosen Generationswechsel in den Schulen sorgen. Wir werden dazu auch die Effizienz im System erhöhen. Wir ersetzen jede Lehrerin und jeden Lehrer, die aus dem Schuldienst ausscheiden, 1:1 und tragen dem Anstieg der Schülerzahlen, den deutlich gestiegenen Ausbildungsverpflichtungen der Schulen und dem erhöhten Bedarf für die schulische Inklusion angemessen Rechnung. In dieser Legislaturperiode werden wir mindestens 6.100 neue Lehrerinnen und Lehrer unbefristet einstellen.”

“Jeder Jugendliche in Sachsen soll die Chance haben, eine qualitativ gute Ausbildung in einem anerkannten Beruf zu erhalten. Wir werden geeignete Maßnahmen ergreifen, damit immer mehr junge Menschen die Schule mit einem qualifizierten Abschluss verlassen können. Dazu bedarf es einer Verbesserung der individuellen Förderung und des Übergangsmanagements Schule-Ausbildung-Beruf sowie einer qualitativ hochwertigen und bedarfsgerechten Berufsberatung.”

“Wir bekennen uns zu Schulen in freier Trägerschaft. Sie sind eine Bereicherung des Angebots. Wir werden das Gesetz für Schulen in freier Trägerschaft novellieren. Dabei setzen wir die Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs vom 15.11.2013 um.”

Kommentar: Es wird zwar auch von Inklusion, Förderung und Berufsberatung gesprochen – wirklich untersetzt ist das Ziel, die Schulabbrecherquote von heute 10 Prozent deutlich zu senken, mit Maßnahmen noch nicht.
Kindertagesstätten

Immerhin wird die frühkindliche Bildung und damit die Betreuung in Kindertagesstätten im Koalitionsvertrag explizit erwähnt. Sachsen will auch mehr Geld bereitstellen, um die Betreuung zu verbessern. Die entscheidende Stelle:

“Wir werden in dieser Legislaturperiode den Betreuungsschlüssel in Kindertagesstätten und Kinderkrippen schrittweise senken. Am 01.09.2015 wird der Betreuungsschlüssel in Kindertagesstätten auf 1:12,5 verbessert, am 01.09.2016 auf 1:12. Für die Kinderkrippen verbessert sich das Betreuungsverhältnis am 01.09.2017 auf 1:5,5 und am 01.09.2018 auf 1:5. Die Kosten, die mit dieser Qualitätsverbesserung verbunden sind, trägt der Freistaat Sachsen. Damit sorgen wir für Planbarkeit und Verlässlichkeit in der frühkindlichen Bildung.”

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“Die Koalitionspartner werden in Zusammenarbeit mit Kommunen und den Trägern die Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Eltern-Kind-bzw. Familienzentren anregen.”

Kommentar: Nicht erwähnt ist die Kita-Pauschale, die der Freistaat 2005 eingefroren hatte und zum 1. Januar 2015 erstmals seit zehn Jahren wieder erhöht. Um den Kommunen Luft zur Kita-Finanzierung zu verschaffen, müssten auch in den nächsten Jahren weitere Erhöhungen folgen. Auch die Verbesserung des Betreuungsschlüssels wird erst einmal in kleinen Schritten angepackt. Und die Anregung von Familienzentren ist zwar eine Absichtserklärung – wird aber ohne (auch finanzielle) Begleitung des Freistaats für die Kommunen nicht zu stemmen sein.

Der saure Apfel: Die Hochschulen

Geradezu irreal nimmt sich die Vereinbarung zu den Hochschulen im Koalitionsvertrag aus. Die entscheidenden Stellen:

“Zur Umsetzung dieser standortspezifischen Ausdifferenzierung und Schwerpunktbildungen werden wir mit den Hochschulen entsprechende Zielvereinbarungen abschließen. Unser Ziel ist, die Qualität in Forschung und Lehre weiter zu verbessern. Für die Gewährleistung des dazu notwendigen Ausstattungsniveaus der Hochschulen werden wir bis zum Auslaufen des Hochschulpaktes III auch die zur Verfügung stehenden Bundesmittel nutzen. Mit einer langfristigen Perspektive wird es aber zur Aufrechterhaltung des Qualitätsanspruchs erforderlich sein, die Entwicklung der Studierendenzahlen im Jahr 2025 an einer Zielgröße von 95.000 Studierenden (einschließlich Humanmedizin) zu orientieren.

Unter der Voraussetzung, dass sich die staatlichen Hochschulen mit dem Freistaat Sachsen auf eine entsprechende ‘Hochschulentwicklungsplanung 2025’ bis zum Ende des Jahres 2016 verständigen, ist die Koalition zum Abschluss einer langfristigen Zuschussvereinbarung mit einer Laufzeit bis 2025 bereit und wird auf den geplanten Stellenabbau von 754 Stellen ab 2017 verzichten. Sollte es zu keiner Verständigung mit den Hochschulen auf die genannte ‘Hochschulentwicklungsplanung 2025’ kommen und dadurch der Stellenabbau bei allen oder einzelnen Hochschulen notwendig werden, so wird dieser Abbau schrittweise nach den jeweiligen Studierendenzahlen auf die Hochschule bzw. die Hochschulen verteilt, die sich nicht an der genannten Vereinbarung beteiligen.”

“Studentenwerke sind das Rückgrat der sozialen Infrastruktur an den Hochschulstandorten und geben wichtige Impulse für das studentische Leben. Wir bekennen uns zu den notwendigen Investitionen in die Infrastruktur und werden den Landeszuschuss deutlich erhöhen sowie durch mehrjährige Vereinbarungen Planungssicherheit schaffen.

Kommentar: Damit ist es der SPD nur gelungen, einen Teil der von Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer angewiesenen 1.042 zu streichenden Stellen aus der Schusslinie zu nehmen – und vor allem jene Stellen, die von den Hochschulen bislang nicht mit konkreten Schließungen untersetzt sind. Die jetzt schon für Protest sorgenden Streichungen – etwa an der Uni Leipzig – bleiben augenscheinlich bestehen, obwohl es in den nächsten fünf Jahren absehbar keinen Rückgang der Studierendenzahlen (von aktuell 113.000 in Sachsen) geben wird. Auch die genannten 95.000 Studierenden für 2025 sind erst einmal nur eine virtuelle Zahl, die durch keine belastbare Prognose untersetzt ist.

Die Verbesserung der Finanzausstattung der Studentenwerke ist nach Jahren der Kürzungen überfällig.

Zum Artikel vom 23. Oktober 2014 auf L-IZ.de

Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD analysiert (2): Medien, Verkehrsprojekte, ÖPNV, Energiepolitik

Der Koalitionsvertrag:

www.epenportal.de/web/datapool/storage/files100474/LTW_2014/Koav_CDU_SPD_2014-2019_20141023.pdf

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