Den Weg in die Medien fand der Parteikonvent der SPD, der am Samstag, 20. September, in Berlin stattfand, vor allem durch einen kleinen Wutanfall. "TTIP-Zoff in der SPD: Gabriel haut auf die Pauke", titelte zum Beispiel "Spiegel Online", ganz so, als würde die SPD derzeit ausgerechnet durch das viel diskutierte Freihandelsabkommen mit den USA zerrissen. Und die ersten Absätze des Beitrags klingen auch genau so. Nur das Ergebnis verblüfft ganz am Ende: Die 200 Delegierten des Konvents haben Gabriels Kurs fast komplett zugestimmt.

Das Problem dieser Art Berichterstattung ist: Sie bestärkt das hilflose Gefühl, dass es eigentlich nur zwei Positionen zu TTIP geben kann: Das Hosianna, das von neoliberalen Befürwortern gesungen wird und die davon mal wieder die Beglückung der Menschheit erwarten, – und das strikte “Nein!” der Kritiker, die durch das Abkommen die Zerstörung der sozialen Standards in der EU befürchten.

Man muss schon ein bisschen mehr lesen, um überhaupt wahrzunehmen, dass Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel für Position 3 steht: verhandeln, aber mit eigenen Forderungen. Und die sind sogar nachlesbar. Die hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) im September gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium erarbeitet.

Das Papier nimmt im Grunde die meisten Kritikpunkte auf, die in der TTIP-Debatte eine Rolle spielen. Einige Punkte stellen gegenüber den aktuellen Standards der EU sogar eine Verbesserung dar. Etwa Punkt 10: “Die Erfahrungen mit der jüngsten Weltwirtschaftskrise zeigen, dass statt einer völligen Freigabe des Kapitalverkehrs und einer weiteren Liberalisierung von Finanzdienstleistungen eine strikte Regulierung der Finanzmärkte notwendig ist.”

Oder Punkt 11: “Im Bereich der öffentlichen Vergabe und Beschaffung dürfen soziale und ökologische Vergabekriterien und ihre mögliche Erweiterung nicht in Frage gestellt werden.”

Kritik gab es schon am Freitag von der Linkspartei. Rico Gebhardt, Landesvorsitzender der sächsischen Linken, hält das Papier für eine “Beruhigungspille”.

“Anscheinend soll dem SPD-Parteikonvent ein Beruhigungsmittel in Sachen TTIP verabreicht werden. Das von SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister Gabriel und dem DGB vorgelegte Positionspapier ist jedoch enttäuschend. Die schwammigen Formulierungen, dass ‘Geheimhaltungsvorschriften […] eine angemessene öffentliche Debatte’ nicht verhindern dürfen und das man sich ‘energisch’ für die Offenlegung aller Verhandlungsdokumente einsetzen werde, lassen mehr als nur Hintertüren offen, um letztlich geheim ausverhandelten Verträgen zustimmen zu können”, benennt er die Punkte, die ihm Bauchschmerzen machen. Denn Tatsache ist, dass die EU-Kommission die Verhandlungen zu TTIP bislang hinter verschlossenen Türen geführt hat.

Die Gespräche werden von einer sich mittlerweile sehr autark gebenden EU-Bürokratie geführt. Die Frage ist also tatsächlich: Wie groß ist die Möglichkeit der Bundesrepublik Deutschland, den Forderungskatalog aus dem DGB-Papier durchzusetzen? Und zwar komplett. Nichts anderes macht Sinn. Dazu sind aus den bisherigen TTIP-Verhandlungen zu viele Hebel bekannt, mit denen die Rechte internationaler Konzerne über die geltenden Standards in den EU-Staaten gestellt werden sollen. Es ist ein Machtpoker. Und es geht um die Frage, ob die Bundesrepublik tatsächlich das letzte Wort hat im Reigen der EU-Staaten und ihre Haltung – in diesem Fall also die des Bundeswirtschaftsministers – durchdrücken kann.Aus dieser Warte ist der kleine – wohl klug inszenierte – Ärger von Sigmar Gabriel zu verstehen. In so einer Position braucht er zumindest eine SPD hinter sich, die ihn dabei unterstützt.

Wenn er nur einen Teil der Forderungen umsetzt, ist es zu wenig. Wenn er scheitert, ist es eine Katastrophe, denn dann hat die Bundesrepublik die Tür geöffnet, die die Linkspartei und alle anderen Kritiker des TTIP-Abkommens auf keinen Fall geöffnet sehen möchten.

Rico Gebhardt: “Auch wenn es zu begrüßen ist, dass eine ganze Reihe von Forderungen insbesondere im Bereich der Arbeits-, Sozial-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards formuliert werden, sind die Fehlstellen in diesem Positionspapier auffällig. Insbesondere, dass ausdrücklich nur die Gewerkschaften erwähnt werden, nicht aber das BMWi, wenn es um ‘die Einhaltung der ILO Kernarbeitsnormen und der OECD-Leitsätze’ sowie deren Umsetzung und Einhaltung geht, macht Sorgen. Hier verschafft sich SPD-Chef und Wirtschaftsminister Gabriel ein Schlupfloch von erheblicher Größe.”

Das Misstrauen der Linken gegen den Weggefährten SPD ist mittlerweile unübersehbar. Da befindet sich selbst der sächsische Vorsitzende der Linkspartei im Zwiespalt: “Darüber hinaus ist es einerseits begrüßenswert, wenn sich zu diversen Standards bekannt wird und sich gegen deren direkte Senkung ausgesprochen wird. Jedoch findet das bekannte Problem der indirekten Senkung von Standards, welche sich durch das Zusammenwirken eines Freihandelsabkommens mit anderen Gesetzen und Abkommen ergeben können, keine Beachtung. Der mit TTIP zu erwartende erhöhte Konkurrenzdruck zwischen Unternehmen wird damit unmittelbar auf die Arbeitnehmer weitergeleitet. Wie der geforderte Ausgleich der Einnahmeverluste der EU in Milliardenhöhe stattfinden soll, ist ebenso nicht im Ansatz erwähnt. Damit liegt nahe, dass dies aus Steuermitteln erfolgen soll.”

Womit er tatsächlich einen echten Hinkefuß des DGB/BMWi-Papiers anspricht. Der ist in Punkt 4 formuliert: “Die Beseitigung der verbliebenen tarifären Hindernisse (Zölle) fördert den Handel, auch wenn die Zölle nicht hoch sind – sie bewegen sich für Industriegüter im Durchschnitt bei etwa 4 %. Aber das Handelsvolumen ist groß. Täglich gehen Waren im Wert von ca. 2 Mrd. Euro über den Atlantik. Wegen des großen Handelsvolumens können Zölle im großen Umfang eingespart werden. Wenn die Zölle aber beseitigt werden, so soll der Einnahmenverlust der EU ausgeglichen werden.”

Es handelt sich immerhin um die Größenordnung von 30 Milliarden Euro an Zolleinnahmen, die den EU-Staaten mit Einführung von TTIP verloren gehen. Was ja für die Befürworter des Abkommens der Hauptgrund ist, den Freihandel zu begrüßen – das Geld sparen sich die großen exportierenden Unternehmen.

Für Gebhardt ist die Sache recht einfach: “Insgesamt zeugt der grundsätzlich positive Ton der Bewertung der TTIP-Verhandlungen im Positionspapier von BMWi und DGB wenigstens von politischer Naivität. Dieses und ähnliche Freihandelsabkommen atmen den Geist des Neoliberalismus und damit der Arbeitnehmerfeindlichkeit, der Entsolidarisierung und der Verhinderung eines sozial-ökologischen Wandels. Im Interesse der sächsischen Unternehmen und deren Beschäftigte erwarte ich von der zukünftigen Regierung im Freistaat Sachsen, dass sie Schaden vom Freistaat abwendet. Deshalb bleiben wir Linken in Sachsen bei unserer Forderung: ?Stoppt TTIP!'”

Im DGB-Papier und damit auch im Beschluss des SPD-Konvents steht übrigens auch die notwendige Ratifizierung des Abkommens durch das EU-Parlament.

Der SPD-Konvent stimmte am Samstag mit nur sieben Gegenstimmen für den Gabriel-Kurs, TTIP eben doch unter den Prämissen des DGB-Papiers zu verhandeln.

Die SPD zum DGB/Gabriel-Papier: www.spd.de/aktuelles/123686/20140918_ttip_dgb_gabriel_papier.html

Der Beschluss des SPD-Konvents: www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920_beschluss_parteikonvent_ttip.html

Das DGB-Papier als PDF zum Download.

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