Ein paar Stunden Luftholen an allen Fronten, die Pressemitteilungen der Parteien am Tag nach der Wahl gingen gegen Null. Der Wahlkampf 2014 ist vorbei, die letzte von vier Wahlen binnen eines Jahres vorüber und eine mögliche neue Koalition zeichnet sich in Sachsen ab. Als die Vertreter der Leipziger SPD am gestrigen Abend im Neuen Rathaus die ersten Hochrechnungen vor Augen hatten, waren bereits ein kleines Plus, eine mögliche Regierungsbeteiligung, das Ausscheiden der FDP und schwache Grüne absehbar.

Während seit heute die SPD also zur Koalitionsverhandlung mit der CDU und einen begleitenden Mitgliederentscheid rüstet, wenden sich die sächsischen Grünen nach einem kuriosen Wahlkampf nach innen. Und eine Frage beschäftigt alle demokratischen Parteien: Wohin ist der Wähler entschwunden?

Es hat bereits im Bund funktioniert, der wesentlich stärkeren CDU die Koalitionsverhandlungen zu erschweren, indem man sich bei der SPD an die Basis wandte und so versuchte, mehr aus den Verhandlungen herauszuholen. Ein Mittel zum Druckaufbau gegenüber den wesentlich stärkeren Christdemokraten, welches man gemeinsam mit den rund 4.600 Mitgliedern der sächsischen SPD nun wiederholen möchte. So jedenfalls bereits am gestrigen Abend die Haltung von Holger Mann, erneutes Leipziger SPD-Mitglied im kommenden Landtag. Kurz darauf bestätigt durch seinen Spitzenkandidaten und Parteikollegen Martin Dulig. Erhoffter Nebeneffekt immer auch – es könnten neue Mitglieder mit dieser Möglichkeit der Mitbestimmung über den Koalitionsvertrag via SPD geworben werden.

Bei den Grünen sieht die Lage bereits etwas anders aus und diese Gemütslage könnte es dem alten und neuen Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) deutlich schwerer machen, als er gestern Abend noch dachte. Würde die “grüne Option” nach seiner gestrigen Absage an die AfD nämlich wegfallen, hätte er nur noch eine SPD-Karte in der Hand. Während Tillich am Wahlabend noch andeutete, mit SPD und Grünen in Koalitionsverhandlungen eintreten zu können, brodelt es bereits an der Basis der Grünen. Rein rechnerisch würde es zu einer Regierungsbeteiligung knapp reichen, doch zu welchem Preis? Und ein alter Konflikt ist längst erneut entbrannt.
Seit der Landesdelegiertenkonferenz am 7. und 8. März 2014 und der Nominierung der Landesliste für den Wahlkampf stand eine Frage immer im Raum: Wie stark ist das Mandat für die Fraktionsführerin und Spitzenkandidatin Antje Hermenau und ihren teils verdeckten, treils offenen Kurs Richtung CDU wirklich? Wo einige bei den Grünen Anfang 2014 durchaus hinter vorgehaltener Hand die Zeit gekommen sahen, einen ausgewachsenen Lagerwahlkampf gemeinsam mit Linken und SPD wenigstens zu versuchen, zeigten die Nominierungen auf der Parteiliste zur Wahl in eine andere Richtung.

Der Kreisverband Leipzig hat heute bereits reagiert und wird genau dies schon am Dienstag, den 9. September 2014 in Form einer Mitgliederversammlung beraten. Eine Landesdelegiertenkonferenz wird am 20. September 2014 folgen. Dass es rau werden könnte, ist dabei mindestens aus Leipziger Sicht seit gestern Abend zu ahnen. Die Leipziger Grünen haben sich auf den sachsenweiten Spitzenwert von rund 10 Prozent hinaufgekämpft, während die Grünen gesamt mit 5,7 Prozent hinter den Erwartungen zurückblieben. Die Leipziger und weitere Grüne werden also die Antworten, woran es gelegen haben könnte, nunmehr vom Spitzenduo Hermenau und Zschocke verlangen, welche sich in den letzten Tagen vor der Wahl in einer beständigen medialen Schleife um die Koalitionsfrage mit der CDU wiederfanden. Die Frage, ob die Basis der Grünen nicht nur angesichts des eher bescheidenen, knappen Wiedereinzuges in den Landtag überhaupt mit der CDU will, wird wohl also noch im September entschieden. Das hinter einer schwachen Position immer auch der Untergang lauert, haben gestern neben dem Bundestrend auch die sächsischen FDP-Wahlkämpfer deutlich erfahren dürfen.

Was hingegen alle Parteien offenbar überraschte, war der nochmals gestiegene Anteil der Nichtwähler in Sachsen. Mit 52 Prozent sachsenweit und 55,7 Prozent in Leipzig ein “Spitzenergebnis” seit 1990, welches zwei Dinge nach sich ziehen müsste. Innerhalb der mit 39,4 Prozent weiterhin dominanten CDU sollte allmählich die Frage lauter werden, ob es wirklich auch weiterhin genügt, mit oft wenig bekannten Köpfen auf der “CDU-Welle” nahezu alle wirklichen Sachdebatten im Wahlkampf zu umsegeln. Und ob Wahltermine am Ende der Sommerferien nicht letztlich für die gesamte parlamentarische Demokratie ein Armutszeugnis sind.

Denn auch diese Frage wird sich nicht mehr zudecken lassen, ganz gleich, ob die AfD ernsthaft glaubt, das Wort Bürgerbeteiligung und Volksentscheide wirklich als Erste entdeckt zu haben: Ohne mehr Bürger- oder Volksentscheide sowie weitere direkte Demokratieformen mit niedrigeren Beteiligungsschwellen, wird die parlamentarische Demokratie allein im Zweifel nicht stabil genug sein. Denn 52 Prozent der Sachsen haben offenbar längst das Gefühl, dass es nicht mehr um sie oder ihre direkten Belange dabei geht und blieben der Wahlurne 2014 fern.

Ein Anfang könnte sein, sich neben irgendwelchen Machtoptionen gründlich und parteiübergreifend damit zu befassen, wie nahezu unmöglich es für die Sachsen ist, bei einer notwendigen Unterschriftenanzahl von rund 450.000 Unterstützern, einen sachsenweiten Volksentscheid zu Sachfragen einzufordern. Um nur ein Beispiel von demokratischer Teilhabe an Sachauseinandersetzungen außerhalb der Parteistrukturen zu nennen.

Eines der Themen, mit welchen man sich bereits seit Jahren beim Mehr Demokratie Sachsen e.V. befasst.

sachsen.mehr-demokratie.de

Die Ergebnisse aller angetretenen Parteien
http://www.statistik.sachsen.de/wahlen/lw/lw2014/atlas/flash/Gesamtergebnis/atlas.html

Die Ergebnisse aus allen Wahlkreisen liegen hier in Rohdaten vor (unter Download): http://www.statistik.sachsen.de/wpr_neu/pkg_s10_nav.prc_index?p_anw_kz=LW14

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