Seit einigen Tagen kreiseln nun von Hackern erlangte Papiere, sogenannte Leaks, im Internet, welche in ihrer Echtheit durch die AfD bestätigt wurden. Bei den "Ideensammlungen" von AfD-Mitgliedern zum Parteiprogramm der Rechtspopulisten im Vorfeld der Landtagswahl in Sachsen handelt es sich um einen durchaus tiefen Einblick in die Denkrichtungen der AfD-Anhänger. Nachdem im Anschluss an die Wahl darüber hinaus mehrere rechtsextreme Kandidaten der Partei aufflogen, zeigen sie den geistigen Nährboden der politischen Newcomer. Jetzt hat sich der "Leipziger Strafverteidiger e.V." zu den seltsamen Vorstellungen der "Positionspapiere" geäußert. Und die Ideen mal via Strafrecht mit dem Grundgesetz abgeglichen.

Es geht um rund 80 Mitglieder, welche bei der Programmarbeit mitgeholfen haben sollen, Positionspapiere gingen hin und her und nach der Wahl machten sich Hacker ans Werk. Ab 2. September veröffentlichten Anonymous Österreich auf Twitter Auszüge der Vorschläge – die Berichterstattung der Medien begann. Mit diesen als Rohdarstellungen zu sehenden Forderungen befasste sich bis dahin die AfD intern und schrieb an ihrem Programm. Meist mit polierten Formulierungen durch die AfD-Führung, welche so manches aussparte, hinzunahm, was aus der Bundesführung kam, anderes glattstrich. Wie Wahlprogramme eben so sind, doch einige Mitglieder haben offenbar weit mehr vor, als den Rechtsstaat zu stärken.

Die Grunddaten, welche das Strafrecht tangieren, nahm nun der “Leipziger Strafverteidigerverein e.V.” unter die Lupe und kommt zu einem klaren Fazit: Die Forderungen “in den Positionspapieren stellen einen massiven Angriff auf den Rechtsstaat und die grundgesetzlich garantierten Rechte jedes Bürgers dar. Sie stehen im eklatanten Widerspruch zu den Grundprinzipien des deutschen Strafrechts, denn sie verlangen im Ergebnis eine Abkehr von der grundgesetzlich verbrieften Unschuldsvermutung sowie dem im deutschen Strafrecht vorherrschenden Schuld­prin­zip.”
So ließe unter Anderem die Forderung “nach einer stärkeren, insbesondere verdachtsunabhängigen und prä­ven­tiven Überwachung (…) das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes (Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz) nur noch als reine Makulatur erscheinen und stellt quasi dessen Abschaffung dar.” Was der AfD beim Thema Moscheebau und einem Volksentscheid bereits vollkommen zu fehlen schien, ist auch hier die Kenntnis über Bürgerrechte, welche offenbar wohlfeil in populistischen Kreisen ist.

Die Forderung, so die Strafverteidigervereinigung um die Vorstände RA Stefan Costabel, RA Christian Mühler und RAin Doreen Blasig-Vonderlin, nach “Harter Bestrafung” sei überdies ein Angriff auf die richterliche Unab­hängig­keit. “Jedes deutsche Strafgericht hat im Rahmen einer Verurteilung eine schuldan­ge­messene Strafe für die begangene Verfehlung zu finden. Populistische Forderungen, wie formuliert, haben hierbei außen vor zu bleiben”, schreiben die Strafverteidiger.

Auch das bei allen “Law and Order”-Freunden, Rechtsradikalen und ausländerfeindlichen Kreisen beliebte Thema “Flüchtlinge” hatten die Programmarbeiter auf der Liste. Diese sollen nach Einschätzung der Leipziger Rechtsanwälte “… nach den veröffentlichten Positionen diffamiert und das ohnehin schwach ausgeprägte Grundrecht auf Asyl weiter ausgehöhlt werden. Ein “Asylverfahren mit einspruchslosem Ergebnis”, wie gefordert, ist unvereinbar mit den Prinzipien eines Rechtsstaates. Grundprinzip des Rechtsstaates ist, dass alles staatliche Handeln, das in die Rechte eines Einzelnen eingreift, auch dem Rechtsschutz unterliegt, also durch ein Gericht überprüft werden kann, ob die getroffene Entscheidung dem Recht entspricht.”

Auch hier, wie schon in Fragen zur Gleichbehandlung von Religionen und Bildungschancen (dazu später mehr) wird eines deutlich: Gleiches Recht für alle Menschen wird bei der AfD rasch zur Mangelware, schaut man mal ein wenig unter den demokratischen Lack und an den fröhlichen Gesichtern der Spitzenkräfte wie Frauke Petry (Sachsen) und Parteichef Bernd Lucke vorbei in den Hintergrund.

Gänzlich Schluss mit der Gleichbehandlung vor dem Gesetz ist es dann, wenn in den Papieren vorsorgliche Ausnahmetatbestände gefordert werden. So sieht der Leipziger Verein in der “Erfassung eines statistischen Migrationshintergrundes sowie die Einführung des Kriteriums “deutschenfeindliche Straftat” in einem strafrechtlichen Zusammenhang (…) eine nicht begründbare Stigmatisierung, Kriminalisierung und Diskriminierung der Betroffenen dar, die letztlich auf eine unzulässige Vorverurteilung hinausläuft. Ebenso die weiteren Forderungen, namentlich insbesondere, dass Datenschutz vor “Täterschutz” und “Opfer- und Zeugenschutz” vor “Täterschutz” gehen soll, erschüttern die Grundfesten des deutschen Strafrechts.”

Denn auch Beschuldigte in Ermitt­lungs­verfahren hätten ein Recht auf Datenschutz und Achtung ihrer Menschenwürde. Sie dürfen nicht als Subjekt der Strafverfolgung angesehen und rechtlos gestellt werden.

Apropos Menschenwürde. In kleinen trockenen Forderungen kann man vielleicht auf diesen Grundsätzen mal kurz herumtrampeln. Die eigentlichen Wurzeln in einem demokratischen Rechtssystem trifft man damit kaum, sie liegen tiefer und geben allen Bürgern ein gemeinsames Gerüst – auch im Fall von begangenen Straftaten.

Das Fazit des Leipziger Strafverteidiger e.V. zu den Ideen der AfD-Mitglieder: “Eine wesentliche Errungenschaft der Demokratie stellt die in Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 und in Art. 6 Abs. 2 der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie die als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz verbriefte Unschuldsvermutung dar.” In dieser ist festgelegt: “dass jeder einer Straftat Verdächtigte/Beschuldigte während der gesamten Dauer des Strafverfahrens – also bis zum rechtkräftigen Abschluss dessen – als unschuldig zu behandeln ist, bis dessen Schuld in einem rechtstaatlich geführten Verfahren durch unabhängige Gerichte festgestellt wurde.”

Mancher Bürger, der schon einmal – egal ob verschuldet oder nicht – in den Strudel der Justiz geraten ist oder noch geraten könnte, sollte sich also genau überlegen, ob er anderen Bürgern nicht doch besser die gleichen Grundrechte zugesteht, wie er sie wahrnehmen durfte oder noch möchte. Es könnte sonst böse enden, denn Gleichbehandlungen existieren in demokratischen Gesellschaften nur im Guten und im Bösen. Weshalb sich der Strafverteidigerverein deutlich positioniert: “Der Leipziger Strafverteidigerverein e.V. tritt dem Ansinnen und Bestrebungen der durch die veröffentlichten Positionen vermittelten Forderungen auf Aushöhlung der Grundrechte und der Einschränkung der Rechte der Beschuldigten entschieden entgegen.”

Leipziger Strafverteidiger e.V. mit der vollständigen Stellungnahme

www.leipziger-strafverteidiger.de

MDR über Nazis in der AfD

www.mdr.de/exakt/afd140.html

Die Papiere der AfD bei Twitter

twitter.com/AnonAustria/

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