Am Abend des 9. September saßen die Grünen zu ihrer Leipziger Stadtversammlung zusammen. Den Wahlkampf hinter sich, eine Sondierungseinladung der CDU vor sich. Themen, die natürlich nicht ohne Debatten über die Bühne gingen. Der Schritt, über Sondierungen und möglichen Koalitionsgesprächen in einer Regierung mit der sächsischen CDU zu landen, ist für die Grünen kein kleiner. Erst recht nicht in Sachsen, wo neben den Größenverhältnissen so manche Position wie Feuer und Wasser ist. Und so kamen einige sehr grundsätzliche Fragen auf den Tisch, welche im Beschluss mündeten, einen Mitgliederentscheid über einen eventuellen Koalitionsvertrag einzufordern.
Die etwa 40 Grünen in der “Alten Schlosserei” nahmen die Frage der Einladung der CDU zu ersten Gesprächen sehr ernst. Das scheint auch geraten, im Laufe des Abends fielen nicht grundlos im Angesicht der tot darniederliegenden Landes-FDP Worte wie “Schwarze Witwe CDU” und “Mitgliederaustritte” im Falle eines Falles. Dennoch – und darin war man sich ebenfalls weitgehend einig – das Gespräch unter Demokraten ist immer möglich. Nur unter welchen Vorzeichen?
Vorzeichen Nummer eins kam vom Wähler am 31. August ins Haus. Mit seinem Votum von 5,7 Prozent hat er die sächsischen Grünen erneut zur kleinsten Landtagsfraktion der kommenden fünf Jahre gemacht, die durchaus fleißige Oppositionsarbeit nicht honoriert und statt neun noch acht Grüne in den Landtag geschickt. Für die Leipziger Wahlkämpfer vor allem ein Grund, mal tief in die eigene Parteiseele zu schauen.
Dabei gingen die Leipziger dorthin, wo es weh tut, denn die Themen kreisten von mangelnder Teamarbeit im Landes- und Stadtverband, sommerlicher Wählermobilisierung in Urlaubszeiten, über Wahlkampfgelder – inklusive der Frage, ob sich zukünftig nur noch Reiche Wahlkampf werden leisten können – bis hinauf zur sächsischen Spitzenkandidatin Antje Hermenau. Diese hätte sich nach Meinung einiger Anwesender mit ihren frühen Koalitionsaussagen nicht an Beschlüsse der grünen Wahlkampfkommission gehalten.
Auch die Unmenge an Themen, welche man als wichtig ansah, waren wohl ein Problem, für Stadtvorstandssprecher Jürgen Kasek unter anderem, weil “Sachsen eine nahezu diskussionsbefreite Zone” ist, so wie die CDU bislang mit Sachpolitik umgehe. Die Inhaltsleere sei eben auch ein Grund, warum die personell wie inhaltlich weitgehend unbekannte AfD so aus dem Wahlkampf hervorgehen konnte. In der Tat hatten Inhalte im sächsischen Wahlkampf 2014 erneut eine kleinere Rolle gespielt – wichtiger waren Plakatgrößen, Sprüche und die Gesichter der Spitzenkandidaten. Für L-IZ-Leser längst ein bekanntes Phänomen: Wo der Wähler oft über den Gesichterwahlkampf schimpft und mehr politische Sachdebatten anmahnt, scheinen andererseits Themensetzungen weniger zu interessieren – am Ende bleibt allzu oft die Affektwahl oder das Ankreuzen bekannter Konstellationen. Nur das Protestpotenzial wanderte auch 2014 erneut, als sei man auf der Reise nach Jerusalem. Aktive Gespräche mit den Bürgern seien dennoch zu wenige geführt worden – so ein weiterer Einwurf am Abend bei den Grünen.
Harter Tobak also, doch sehr viel anders sollte eine Partei wohl mit einem allseits als unbefriedigend eingeschätzten Wahlkampfergebnis auch nicht umgehen. Erwartet habe er letztlich nicht viel mehr, so Stadtgeschäftsführer Jens Reichmann am Mikrofon: “Ich war froh, dass wir wieder drin sind im Landtag. Vor allem die Verluste in Leipzig und Dresden haben mich geärgert.” Und klar sei eben auch, die Grünen seien eine Stadtpartei in Sachsen – nach wie vor schwach in den ländlichen Regionen, weshalb auch in der Landesversammlung die kleineren Gemeindeverbände bewusst mehr Stimmen haben, als zahlenmäßig nötig. Ab und zu soll auch die Stimmung zwischen Dresdner und Leipziger Grünen nicht ganz störungsfrei gewesen sein – eine Sache, die man dringend ändern wolle.
Vorzeichen Nummer zwei: eine Steilvorlage aus dem Leipziger Stadtvorstand. Ein Papier, welches so frisch aus dem Ofen kam, dass es manchem an diesem Abend erstmalig unter der Nase lag. Der erste Beschlussvorschlag ein Wunschzettel für die Sondierungen und dennoch ein früher Gradmesser für Sinn und Unsinn, mit der CDU ernsthaft über eine Koalition zu sprechen – so konnte man sich letztlich rasch einigen. Aufgelistet haben die Leipziger Grünen damit neben der Liste, welche im grünen Parteirat entstand, nochmals die Leipziger Vorstellungen zu einer möglichen Koalitionsausrichtung in den kommenden fünf Jahren. Und man traf auf das gleiche Problem wie das oberste Beratungsgremium der grünen Sachsen: zu viele Themen, die wichtig sind, und noch keine Möglichkeit, Prioritäten zu finden. Es seien eben eher “Zielvorgaben, die zum Ausloten der Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit der CDU” dienen sollen, so die Leipziger Grüne Stefanie Gruner.
Die Ergebnisse der Sondierungen kämen vor Beginn der Koalitionsverhandlungen am 20. September bei der Landesdelegiertenkonferenz zur Sprache und Abstimmung.
Doch die Leipziger Liste (am Ende vollständig) hat es in sich, so dass schon mancher am Abend fragte, ob das nicht vermessen sei angesichts des Wahlergebnisses der beiden Parteien. Was Grünen-Stadtrat Norman Volger zu einem deutlichen Statement ans Mikro trieb: “Wir werden uns hier nicht billig verkaufen. Das ist die Messlatte für die Themen, welche in den Sondierungen klar angesprochen werden müssen, ohne dass wir uns hier vorher selbst beschränken.” Im Übrigen sei man hier nicht der Steigbügelhalter der CDU, es gehe um Kernpunkte, Sachthemen und Inhalte.
Nach zwei Änderungsvorschlägen, die mehrheitlich angenommen wurden, war der Fall vom Leipziger Tisch und liegt mit Vorstellungen zu allen wichtigen Politikfeldern auf dem der Sondierungsgruppe um Antje Hermenau, Volkmar Zschocke, Claudia Maicher, Stephan Kuhn und Eva Jähnigen.
Und diese Verhandlungsgruppe wird wahrscheinlich den Atem der Basis ab diesem Abend nicht mehr los. Es sei, so Stadträtin Katharina Krefft, der entscheidenden Situation einer solchen Koalitionsidee geschuldet, dass es einen Regierungsvertrag ohne eine Urabstimmung der Mitglieder mit den Leipzigern nicht geben wird. Neben der thematischen Zerreißprobe sei dies ein Moment, “in welchem die ersten Grünen in Sachsen wegen dieser Verhandlungen mit der CDU austreten wollen”, so Krefft.
Auf einem biergeschwängerten Schützenfest im schönen Sachsental hätte man an dieser Stelle wohl gesagt: Nu gommd Schdümmung in de Bude.
Denn, so die neue Landtagsabgeordnete Claudia Maicher, man habe schließlich auf der letzten Landesdelegiertenkonferenz beschlossen, diese Entscheidung auf einer weiteren Delegiertenkonferenz zu fällen. Ob es diesen Vorschlag auch gäbe, wenn es hier um Rot-Rot-Grün ginge. Sie sähe in dieser Umentscheidung ein Problem mit der Glaubwürdigkeit der Grünen.
Ob der Wähler je solche parteiinternen Beschlüsse wirklich wahrnimmt, fiel unter den Tisch, stattdessen kamen umgehende Antworten zum basisdemokratischen Kern der Partei. Erneut stand Norman Volger parat und es rauchte etwas unterm Gebälk der “Alten Schlosserei”. Dieser Antrag, auf der Landesdelegiertenkonferenz am 20.September einen Beschluss über einen Mitgliederentscheid zu den Ergebnissen der eventuellen Koalitionsverhandlungen zu stellen, “ist eine Selbstverständlichkeit für uns Grüne.” Bei einer Urabstimmung zähle jede Stimme und diese wichtige Situation mache eben eine notwendig. Davor und danach sprachen sich weitere Redner für eine Urabstimmung auf hoher See, also nach Vorlage eines Koalitionsvertrages und vor einer Unterschrift aus.
Am Ende kam es, wie sich der für die anstehenden Verhandlungen mit der CDU wegweisende Abend bei den Grünen entwickelt hatte. Große Mehrheit für den Gesamtfahrplan sowie fünf Enthaltungen und zwei Gegenstimmen zum Thema Urabstimmung über einen eventuellen Koalitionsvertrag. Eine Nein-Stimme dabei von Claudia Maicher.
Die Fortsetzung folgt am 20. September, wenn die Sondierungsgruppe erste Ergebnisse hat und die Grünen über die Durchführung eines Mitgliederentscheides abstimmen werden. Es könnte knapp werden – doch es haben bereits weitere Verbände der Grünen erste Unterstützungssignale für eine Urabstimmung nach Leipzig gesandt.
“Sachsen ändern”: In den Sondierungsgesprächen werden alle Teile des Programms beleuchtet. Indikator für Erfolg oder Misserfolg und damit für Koalitionsverhandlungen sind für uns folgende Punkte:
1. Für mehr Umweltschutz und eine echte Energiewende in Sachsen. Ein Braunkohleausstieg bis 2030 ist für uns das A und O erfolgreicher Gespräche, wie ein Ausbau der erneuerbaren Energien und eine deutliche Reduktion der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen. Die Stärkung des Umweltschutzes durch Ausweitung von Schutzbereichen, Erhalt der Biodiversität, Rücknahme des Baum-Ab-Gesetzes und des Tornadoerlasses stehen ebenso auf unserer Agenda wie nachhaltiger, ökologischer Hochwasserschutz, eine Mobilität jenseits des Autos und eine Verringerung des Lärms, insbesondere am Leipziger Flughafen.
Für eine nachhaltige Stärkung des ländlichen Raumes wollen wir die stärkere Förderung des Regionalverkehrs und in der Landwirtschaft wollen wir die Abkehr von der industriellen Agrarwirtschaft mit ihren Tierfabriken hin zu einer ökologischen Landwirtschaft ohne Massentierhaltung.
2. Für eine grüne Bildungspolitik: Wir wollen bis 2020 10.000 neue Lehrkräfte in den Schulen und ausreichend qualifizierte Erzieher und Erzieherinnen einstellen. Der Betreuungsschlüssel im Krippenbereich ist auf 1 zu 4 und im Kindergartenbereich auf 1 zu 10 zu verbessern. Die Kürzungen im Hochschulbereich müssen zurückgenommen werden, genauso wenig wie Studiengebühren eingeführt werden dürfen.
Gemeinschaftsschulen gehören, genauso wie freie Schulen und kommunale Schulen, zur Bildungslandschaft dazu und müssen gestärkt werden.
3. Für einen gesellschaftspolitischen Aufbruch: Die Stärkung der Demokratie durch ein Informationsfreiheitsgesetz und eine stärkere Beteiligung aller BürgerInnen durch Absenken der Quoren für Volksentscheide ist für uns ebenso unverzichtbar wie eine Stärkung der Zivilgesellschaft gegen Ideologien der Ungleichwertigkeit.
Menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen und ein Ende der Abschiebepolitik ist für uns ebenso Voraussetzung wie ein Ende der menschenunwürdigen Residenzpflicht. Eine inklusive Gesellschaft mit gleichen Rechten für alle Menschen ist Grundlage einer funktionierenden Demokratie, die durch gut ausgebildete Polizeikräfte, aber ohne Überwachungswahn, geschützt wird.
Sollte es nach der Landesdelegiertenkonferenz am 20.09.2014 zu Koalitionsverhandlungen kommen, muss eine breite Einbeziehung aller Parteimitglieder sichergestellt sein. Nur ein Mitgliederentscheid schafft nach Abschluss erfolgreicher Koalitionsverhandlungen eine ausreichend breite Legitimation der Mitgliedschaft für den Eintritt von Bündnis90/Die Grünen in eine Staatsregierung.
Dieser Mitgliederentscheid, in der Satzung des Landesverbandes als Urabstimmung bezeichnet, wird nach Abschluss erfolgreicher Koalitionsverhandlungen mit folgender Frage gestellt: “Soll BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Sachsen auf Grundlage des vorliegenden Koalitionsvertrages in der sechsten Legislaturperiode des Sächsischen Landtages in eine Regierungskoalition mit der CDU Sachsen eintreten?”
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