"Bock auf Rechts" betitelte "Spiegel Online" am Montag, 1. September, einen Kommentar von Nikolaus Blome zum Einzug der Alternative für Deutschland (Afd) in den Sächsischen Landtag. "Diese AfD geht nicht mehr weg" titelte die "Zeit" im Netz. "Rechts von der CDU wächst die Konkurrenz" war Heribert Prantls Kommentar in der "Süddeutschen" betitelt. Aber mit den alten Rechts-Links-Einordnungen wird man der AfD nicht gerecht.
Das gelang eigentlich auch in Sachen NPD nie. Fast hilflos klammert man sich gerade in CDU-Kreisen an die unhaltbare These vom Rechts- und vom Linksextremismus. Während man so etwas wie “Rechtsextremismus” noch einigermaßen zu fassen bekommt (wenn auch nur auf der Oberfläche), so wirken die Muskelspiele der Verfassungsschützer in Sachen Linksextremismus geradezu irreal. Und verkleistern tatsächlich die Welt.
Wahlbeobachter wissen das, denn etliche der deutschen Parteien wirken auf ihre Wähler nicht attraktiv, weil sie ihnen irgendeinen Platz im alten Links-Rechts-Spektrum anbieten, sondern weil sie zumindest mit Phrasen, Erwartungshaltungen und Versprechen locken, die den Wähler aus einem Dilemma erlösen.
In einem Dilemma steckt er. Das gehört dazu. Demokratie ist kein leichtes Brot, erst recht nicht in einer Gesellschaft, die von den Entwicklungen der Moderne derart hin und her gerissen wird. Die Medien sind voll von den Ängsten, die bei den Bürgern ausgelöst werden – Ängsten um den eigenen Status, ums Einkommen, um die Zukunft der Kinder, um die Sicherheit, um Teilhabe, vor der Informationsflut, den Einwanderern und Asylsuchenden, fremden Lebenskonzepten, Kontrollverlust.
Die Ängste reichen tief in die Mitte der Gesellschaft, wie es die Studien von Oliver Decker, Elmar Brähler und Johannes Kiess in den letzten Jahren immer wieder gezeigt haben. Die Leipziger Forscher haben frühzeitig belegt, dass der Rechtsextremismus mit all seinen Phänomenen von der Fremdenfeindlichkeit (die natürlich zuallererst eine Angst vor dem Fremden ist) bis hin zur Autoritätsgläubigkeit und dem Wunsch nach starren Hierarchien weit in die Mitte der Gesellschaft reicht, weit ins bürgerliche Milieu. Dass einige verunsicherte Bürger dann auch eine rechtsextremistische Partei wie die NPD wählen, ist nur der Gipfel des Eisbergs. Wenn auch ein breiter Gipfel. Nur haarscharf – wegen fehlender 808 Stimmen – scheiterte die NPD am 31. August am Wiedereinzug in den sächsischen Landtag. 4,95 Prozent der Wählerstimmen bedeuteten am Ende ein knappes Vorbeischrammen.
Doch vom Ausscheiden der NPD profitieren die bisherigen Oppositionsparteien SPD, Linke und Grüne gar nicht. Genauso wenig wie vom Absturz der FDP, die nicht mehr im neuen Landtag vertreten sein wird.
Der große Absahner ist die AfD, von Olaf Henkel und anderen konservativen Vordenkern der Republik schon seit Jahren beschworen. Aufmunitioniert von Leuten wie Tilo Sarrazin, die ein Lebensgefühl beschworen, wie es die Befragungen der Leipziger Forscher längst offen gelegt hatten: das Dickicht der Ängste eines Bürgertums, das sich nicht mehr wohl fühlt in einer Moderne, die die Grenzen auflöst. Früher hat das mal – darauf gehen die drei erwähnten Artikel ein – die CDU selbst aufgefangen. Da hatte sie echte stockkonservative Vertreter in ihren Reihen, zelebrierte auch gern eine Law-and-Order-Politik, die sich gewaschen hatte, präsentierte sich als christlich-konservatives Bollwerk gegen die Anmutungen und Zumutungen der Zeit.
Aus dieser Ecke aber schwappt seit ein paar Jahren das Lamento eines Verlustes. Nicht nur in der Bundesrepublik. In den USA ist diese Strömung – in weiten Teilen identisch mit der “Teaparty”-Bewegung – noch viel stärker. Auch wenn die AfD in dieser Ecke noch nicht zu verorten ist, wie Heribert Prantl in der “SZ” schreibt: “Der AfD fehlt das absolut Reaktionäre, das absolut Kompromissfeindliche, das Ku-Klux-Klanhafte, das die Tea Party hat.”
Die Ängste aber sind dieselben.
Es ist der einst gepriesene Mittelstand, der nun seit Jahren schon seine Sicherheiten schwinden sieht, der sich bedroht sieht von Veränderungen, die zu schnell sind, zu viele auf einmal, zu nah. Man hat sich etwas aufgebaut, pflegt einen gewissen Lebensstil und will eigentlich nur in aller Ruhe leben und sein Geld verdienen.
Doch die Kehrseite einer liberalisierten Welt ist eben auch, dass Liberalisierung, Flexibilisierung und Mobilisierung vor nichts und niemandem Halt machen. Sie betreffen eben schon längst nicht mehr nur “die anderen”, die prekär Beschäftigten, schlecht Qualifizierten, Künstler und andere Rand-Existenzen. Das Märchen vom blühenden Neoliberalismus hat eine Kehrseite, die so langsam auch all jene zu spüren bekommen, die eigentlich glaubten, davon zu profitieren.
Da werden alte und neue Ängste wach. Und Ängste sind von Grund auf irrational.
Zumeist haben sie ein ganz uraltes Ziel: Wieder zurück. Möglichst in eine Zeit, als die Welt noch in Ordnung war. “Ein großer Unterschied zur Piratenpartei ist, dass die AfD einfach weniger will. Sie will kein neues ‘Betriebssystem’ für die Politik schreiben. Sie will, um im Bild zu bleiben, nur ihr altes Windows 95 zurück. Ganz gleich, ob man das nun bescheiden findet oder reaktionär, sicher ist: Wer nicht groß von der Zukunft träumt, enttäuscht auch seine Anhänger nicht so leicht, wenn er daran scheitert”, schreibt Lenz Jacobsen in seiner sehr klugen Analyse auf “Zeit Online”, in der er begründet, warum die AfD eine Sehnsucht erfüllt, die die CDU nicht mehr erfüllen kann. Oder will. Ob es der Modernisierungskurs von Angela Merkel ist, der diese Strömung in der CDU heimatlos gemacht hat, ist sicher eine Frage zum Streiten.Fakt ist: Es gibt diese Ängste. Und sie sitzen tief. Nachweislich auch bei den Anhängern der SPD, der Linken und der Grünen. Es ist kein Zufall, dass viele Vertreter der AfD in den letzten Monaten von der CDU herübergewechselt sind. Ein paar Lautsprecher kamen auch aus dem Dunstfeld der NPD, glaubten hier ein neues Betätigungsfeld finden zu können. Aber mit dem Versuch, das Thema AfD irgendwie ins Schema “Rechts” einzuordnen, lag der “Spiegel” wohl daneben. Und zeigt damit nur, dass auch die anderen Parteien das Thema verfehlen, wenn sie die AfD einfach in diese Schmollecke platzieren wollen. Auch wenn mancher brave Bürger, der sich dort jetzt positioniert hat, zuweilen recht wütend oder radikal daher kommt. Aufmüpfig geradezu, wenn man bedenkt, dass man es mit Immobilienmaklern, Rechtsanwälten, Kaufleuten, Versicherungsmaklern, Polizisten, Richtern, Ingenieuren zu tun hat, vielen Selbstständigen und vielen Angehörigen des öffentlichen Dienstes.
Aber auch darauf gingen die Leipziger Psychosoziologen um Elmar Brähler und Oliver Decker immer wieder ein: Was passiert eigentlich, wenn eine Gesellschaft ihre Heilsversprechen an ihre wichtigsten Mitglieder nicht mehr erfüllen kann? Und “der Mittelstand” wurde jahrzehntelang immer als tragendes Fundament der modernen kapitalistischen Demokratie gefeiert. Was passiert, wenn diese Leistungsträger es mit der Angst zu tun bekommen? Einer Angst, die für Angestellte und Jobber längst die Normalität ist?
Natürlich sucht sich diese Angst eine Heimat, egal, wie diffus sie ist. Und eine rechtsextreme Partei wie die NPD war diese Heimat nie, auch wenn sie die Ängste mit krachenden Parolen an die Laternen hing. Mit dem Wechsel zahlreicher frustrierter CDU-Mitglieder zur AfD hat sich in dieser Partei ein Potenzial gesammelt, das den Enttäuschten aus dem bürgerlichen Lager eine Heimat gibt. Und vor allem eins tut: Die Enttäuschung zu benennen – wenn auch vorerst als Angst und als Abwehr.
Damit wurde die AfD in Sachsen auch zum Auffangbecken vieler ehemaliger FDP-Wähler. Die Ankündigung von enttäuschten FDP-Mitgliedern, nun gar eine linksliberale neue Partei gründen zu wollen, zeigt recht deutlich, dass die FDP mit ihrem neoliberalen Schwenk in den 1980er Jahren auch viele liberale Bürger heimatlos gemacht hat. Wie kann so eine Partei Heimat sein, wenn sie immer mehr Liberalisierung und Lockerung aller Regeln fordert, wenn ihr eigentliches Milieu schon schiere Ängste vor noch mehr Unsicherheit und Unordnung aussteht?
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Ängste, die man auch bei CDU, SPD und Linken ernst nehmen sollte. “33.000 Stimmberechtigte, die bei der Landtagswahl 2009 noch die CDU gewählt hatten, entschieden sich diesmal für die Neugründung um Spitzenkandidatin Frauke Petry. Von der FDP kamen 18.000, von den Linken 15.000. 13.000 Wähler gewann die neue Partei von der NPD. Weniger Zulauf gab es hingegen von der SPD (8.000) und den Grünen (3.000). 16.000 Nichtwähler konnte die AfD aktivieren”, heißt es in einer Wähleranalyse des “Spiegel”.
Tatsächlich ist es eher erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis sich eine solche Partei etablierte, die das Unbehagen des Bürgers an den Herausforderungen der Moderne aufgreift. Ob sie damit umgehen kann und Lösungen findet, ist eine andere Frage. Bislang sind ähnliche Parteikonstrukte wie etwa die FPÖ in Österreich an dieser Frage gescheitert. Denn alles wieder rückgängig machen, was die (westliche) Welt seit 30 Jahren verändert, wird nicht möglich sein. Es gibt kein Zurück in einen paradiesisch ausgemalten Zustand wie etwa das Goldene Zeitalter des “Wirtschaftswunders”.
Die Herausforderungen einer komplexer und komplizierter gewordenen Welt sind in der Gegenwart zu lösen. Und das ist im Grunde eine Herausforderung an die etablierten Parteien von CDU bis Grüne. Diese Herausforderung steht jetzt. Oder noch genauer: Sie sitzt mit 14 Abgeordneten im neuen Sächsischen Landtag – die sächsische AfD.
“Spiegel Online” zur AfD: www.spiegel.de/politik/deutschland/sachsen-kommentar-zur-landtagswahl-a-989126.html
“Süddeutsche” zur AfD: www.sueddeutsche.de/politik/alternative-fuer-deutschland-rechts-von-der-cdu-waechst-die-konkurrenz-1.2110227
“Zeit” zur AfD: www.zeit.de/politik/deutschland/2014-08/afd-piraten-vergleich-sachsen
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