Trotz intensivster Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Dresden nach vier langen Jahren letzten Endes erkennen müssen, dass eine Antifa-Sportgruppe, welche organisiert Jagd auf politische Gegner macht, in Sachsen nicht existiert. Wer die Ermittler auf das falsche Ross setzte, ist unbekannt. Das Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung wurde nun gegen alle der zwischenzeitlich 25 Beschuldigten, unter ihnen zwei Leipziger, eingestellt. Doch so ganz möchten die Dresdner Staatsanwälte dann doch nicht als Verlierer dastehen.

Denn die Verfahren gegen 18 Beschuldigte stellte die Behörde “nur” wegen geringer Schuld ein. Das sieht zumindest auf dem Papier besser aus, als eine Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts. Möglicherweise der hemdsärmlige Versuch seitens Innenministerium, der Dresdner Staatsanwaltschaft und den Polizeibehörden gegenüber der kritischen Öffentlichkeit die personell aufwendigen und kostspieligen Ermittlungen zu verargumentieren. Es ist anzunehmen, dass dem so ist -frei nach Clausewitz ist der Rückzug schließlich das Schwerste aller Gefechte.

Tatsache ist: Die Straftaten, die dem Verfahren zugrunde lagen, darunter körperliche Angriffe gegen Neonazis in Dresden, fanden statt. Aber die kriminelle Vereinigung, die sich die Ermittler auf Basis von Telefonüberwachungen und Observationen herbeikonstruiert hatten, hat es in dieser Form nicht gegeben.

Was den Behörden bleibt, sind die Erkenntnisse aus den umfassenden Ausspäh-Aktivitäten. Im Zuge der Ermittlungen hatte die Behörde am 19. Februar 2011 mittels Funkzellenabfragen über 900.000 Handy-Datensätze abgefragt und persönliche Daten von Demonstranten, Anrufern und Anwohnern ausgewertet. Unter den Betroffenen befanden sich offenbar auch Geheimnisträger wie Abgeordnete, Rechtsanwälte und Seelsorger.
Das Vertrauen der Betroffenen in den demokratischen Rechtsstaat wird indes nachhaltig ramponiert sein. Das ihrer Freunde und Bekannten ebenfalls. Nach dem nicht existenten “Sachsensumpf”, dem NSU-Desaster und der massenhaften Ausspähung zehntausender Handynutzer zwecks Aufklärung von Verstößen gegen das Versammlungsgesetz die nächste Dresdner Staatsschutz-Ermittlung mit Skandal-Potenzial.

Wer heute aufgrund eines unglücklichen Telefonats der Kontaktschuld bezichtigt und mit langwierigen Ermittlungen überzogen wird, könnte schon morgen als Opfer einer politisch motivierten Gewalttat zögern eine Anzeige zu erstatten. Von einem Auftritt als Zeuge in einem Prozess gegen Rechtsextremisten ganz zu schweigen.

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Das auf diese Weise erzeugte Misstrauen in die sächsische Justiz wird erneut durch einen weiteren Faktor begünstigt. Der Dresdner Staatsanwaltschaft fehlt der Mumm, eigene Fehler einzugestehen. Stattdessen stiehlt sich die Behörde als schlechter Verlierer durch die Hintertür aus der Affäre, indem sie bei gut zwei Dritteln der Verdächtigen eine geringe Schuld annimmt. Juristisch mag das noch korrekt sein. Moralisch ist dieses Verhalten trotzdem ein Skandal. Erst gehen die Ermittler mit stark ausgeprägtem Belastungseifer gehörig zur Sache, um nach Einsatz aller nur denkbaren Mittel mit einem Grinsen durch die Waschküche ins Freie zu spazieren.

Da dieses Verfahren nun eingestellt ist, wird im Freistaat nur noch gegen eine im Fokus verbliebene linke Gruppierung als kriminelle Vereinigung aktiv ermittelt. Dabei handelt es sich um 12 Beschuldigte aus Leipzig. Wer die Betroffenen sind und was ihnen vorgeworfen, ist der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt. Dass es erneut voller Eifer zur Sache geht, ist indes sicher.

Zwei Überwachungseinheiten mit Kameras und Fernabfrage im Wert von je rund 8.000 Euro haben die fleißigen Ermittler bereits bei ihren Observationen in der Simildenstraße und in der Gießerstraße verloren.

Wohlgemerkt, während nach wie vor eine Schlägertruppe von rund 30 Mann durch Leipzig randaliert, Menschen verprügelt und zuletzt den Fanshop des 1. FC Lok mit Steinen angriff. Vielleicht haben die Ermittler nun, nach Ende der “Antifa-Sportgruppen-Jagd”, endlich genügend Zeit, sich tatsächlich um etwas Wichtiges zu kümmern? Sie müssten allerdings an der nächsten Kreuzung ausnahmsweise mal nach rechts und öfter mal nach innen schauen.

Zum Artikel vom 10. Dezember 2012 auf L-IZ.de

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