Ein Phantom, lauter heiße Luft oder ein Konstrukt, um in der linken Szene mit völlig neuen Methoden den Repressionsdruck zu erhöhen? Das sind die Fragen, die sich auch die sächsischen Oppositionsparteien stellen, nachdem der "Spiegel" am Montag, 22. September, die Einstellung des Verfahrens wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, der sogenannten "Antifa-Sportgruppe" vermeldete.

Drei Jahre lang hatte das Verfahren und allerlei dazu gehörende seltsame Ermittlungsmethoden nicht nur Sachsen beschäftigt, sondern doch eine Öffentlichkeit weit darüber hinaus.

Im Zentrum der Ermittlungen standen 25 Beschuldigte, drei davon aus Leipzig. Doch aller Ermittlungsaufwand brachte nichts. Eine “Sportgruppe” war nicht zu finden.

Eva Jähnigen, rechtspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag, Anlass, die Behörden jetzt aufzufordern, ihren ganzen Ermittlungsapparat wieder zurückzufahren und auch die hunderttausenden widerrechtlich gesammelten Datensätze zu löschen.

“Ich fordere Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf, sämtliche im Zusammenhang mit diesen Ermittlungen erfasste Verkehrs- und Bestandsdaten aus den Funkzellenabfragen zu löschen. Noch im Mai hat die Staatsregierung in der Stellungnahme zum Bericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten eine Löschung der gesammelten Handydaten mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen abgelehnt. Auch die Löschung der Daten der Beschuldigten aus den polizeilichen Auskunftssystemen wäre ein Signal der Wiedergutmachung”, stellt die Abgeordnete fest. “Über Jahre wurde im Rahmen genau dieser Ermittlungen fast eine Million Handydaten erfasst, Hausdurchsuchungen vorgenommen und Handydaten von Demonstranten und Dresdner Bürgern ausgewertet. Wofür? Für ein Phantom? Unglaublich! – Oder dienten diese angeblichen Straftaten dazu, kritische Bürgerinnen und Bürger aus dem sogenannten ‘linken Lager’ zu überwachen und einzuschüchtern? Fest steht nach dem Ende der Ermittlungen, dass Staatsanwälte und ihre Ermittlungsbeamten den schweren Vorwurf der kriminellen Vereinigung für einen Ermittlungsexzess genutzt und dabei offensichtlich die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht mehr im Auge hatten.”
Und was dann tatsächlich vor Gericht herausgekommen ist, bleibe ebenfalls Thema, sagt die Abgeordnete: “Inwieweit den Beschuldigten letztlich eine geringe Schuld vorgeworfen wurde und welche Konsequenzen aus diesem Ermittlungsverfahren gezogen werden, werde ich zum Gegenstand parlamentarischer Anfragen machen.”

Dass dem ganzen Ermittlungsexzess ein echter Gummiparagraph zugrunde lag, stellt bei der Gelegenheit die frisch gewählte Leipziger Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) fest. Es ist der § 129 Strafgesetzbuch – “Bildung einer kriminellen Vereinigung”.

“Die Antifa-Sportgruppe ist ein Hirngespinst der sächsischen Repressions- und Strafverfolgungsbehörden. Konstruiert wurde eine Gruppe, die unter anderem im Kontext der Proteste gegen die Naziaufmärsche im Februar 2011 in Dresden gezielt Angriffe auf Neonazis verübt haben soll”, kommentiert Juliane Nagel den Vorgang. “Der ‘Schnüffelparagraph’ 129 Strafgesetzbuch ermöglicht massive Eingriffe in die Privatsphäre der Betroffenen und ihrer Umfelder: Telekommunikations- und Postüberwachung und Observationen sind an der Tagesordnung. Eine Entschuldigung und eine angemessene Entschädigung der Betroffenen sind das Mindeste.”

Sie ist überzeugt davon, dass die sächsische Justiz ein Problem mit den Linken hat: “Beim sogenannten ‘Antifa-Sportgruppenverfahren’ zeigt sich wiederum der Ermittlungseifer der sächsischen Justiz gegen links. Den Betroffenen gilt meine volle Solidarität. Entschlossene antifaschistische Politik bleibt essentiell. Gerade in einem Land, in dem die NPD so stark verankert ist wie in Sachsen. Nicht zuletzt ist Sachsen das Bundesland, in dem jährlich bundesweit die meisten rassistischen und rechtsmotivierten Übergriffe stattfinden.”

Ihre Forderung deshalb: “Die Linke fordert die Abschaffung des § 129 Stgb, der den Ermittlungsbehörden massive Kompetenzen in die Hand gibt, ohne dass es hinreichenden Tatverdacht gibt.”

Im Grunde müsste jetzt auch noch der ein oder andere finanzpolitische Sprecher die Kosten dieses Ermittlungsverfahrens abfragen. Denn es sind immerhin sächsische Steuergelder, die hier zur Jagd auf ein Phantom verbraten wurden. Drei Jahre lang – mit einem Personalaufwand, der annehmen lässt, dass es kein sechsstelliger, sondern mindestens ein siebenstelliger Betrag ist, der hier zum Einsatz kam.

Stellungnahme der Staatsregierung zum Bericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten (S. 13 – Ablehnung der Löschung von Handydaten wegen laufender Ermittlungen):
http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=14410&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=201

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