Das Problem des latenten Rechtsextremismus in Deutschland ist auch der Versuch staatlicher Instanzen, das Problem rechtsextremer Gewalt immer wieder zu relativieren, kleinzureden oder ganz aus Statistiken verschwinden zu lassen. Man wäscht die Republik ein bisschen sauberer und kann so tun, als wäre das Thema gar nicht so bedrohlich. Auch Sachsen tut sich schwer mit der Erfassung.

Das bestätigten jetzt mehrere kleine Nachfragen der Sprecherin für antifaschistische Politik der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, Kerstin Köditz.

“Einmal mehr hat die Sächsische Staatsregierung bewiesen, dass sie nicht bereit ist, endlich Lehren aus dem NSU-Skandal zu ziehen: Sieben Menschen in Sachsen, die in den Jahren 1994 bis 2011 offenbar aus rassistischen und sozialdarwinistischen Gründen getötet wurden, wird die Anerkennung als Opfer rechter Gewalt schlichtweg verweigert”, stellt sie nun fest, nachdem sie die einzelnen Antworten der Staatsregierung bekommen hat. “Gefragt hatte ich nach Fällen, die laut Einschätzung von Beratungsstellen und Zivilgesellschafts-Initiativen rechter Gewalt zum Opfer fielen. Darunter ist der Wohnungslose André K., der im Mai 2011 in Oschatz getötet wurde. Der Fall machte wegen der großen Brutalität Schlagzeilen – und auch, weil zwei der Tatbeteiligten der örtlichen Neonazi-Szene zugerechnet werden. Doch die Staatsregierung schaltet bei diesem Thema prinzipiell auf Durchzug und sieht keinen Anlass für eine nachträgliche Änderung ihrer Bewertung. Sie blendet Fakten aus und nimmt es hin, dass solche Taten entpolitisiert werden.”

Aber immerhin. Bei einigen Fällen scheinen nun auch Sachsens Behörden ins Grübeln zu kommen. Kerstin Köditz: “Bemerkenswert ist, dass wenigstens zwei der Fälle derzeit noch überprüft werden, darunter die Tötung eines Jugendlichen 1995 in Leipzig. Einer der Täter hatte geäußert: ‘Der war doch nur ein Jude’. Ich habe den Verdacht, dass die Staatsregierung überhaupt erst durch meine Anfragen auf diesen Fall gestoßen ist. Das sagt schon alles! – Hinnehmen werde ich das nicht. Die Fraktion Die Linke wird das Thema im nächsten Landtag wieder aufgreifen.”

Die Reaktion der Staatsregierung auf die Anfragen zeigt natürlich auch, wie sehr man bemüht ist, rechtsextremistische Gewalt in enge Raster zu pressen, und damit negiert, wie eng verbunden rechte Gewalt mit latenten chauvinistischen und sozialdarwinistischen Ressentiments verbunden ist. Da werden eben nicht nur Ausländer oder Menschen, die so aussehen, oder “Gegner aus dem linken Spektrum” angegriffen. Auch Jugendliche, die nicht ins enge Weltbild der gewaltbereiten Täter passen, werden Opfer der Gewalt genauso wie sozial Schwächere wie Obdachlose, an denen sich ausgetobt wird.

Das Nicht-Anerkennen solcher Gewalttaten hilft natürlich, die Bilanz des Freistaats aufzuhübschen, der lieber “linksextremistische Straftaten” sammelt, die keine sind, während das Problem fest verwurzelter rechtsextremistischer Netzwerke jahrelang ignoriert und kleingeredet wurde.
Zehn Menschen verloren in Leipzig seit 1990 ihr Leben, weil sie nicht in das Weltbild der rechten Täter passten.

Nach Recherchen des Initiativkreis Antirassismus, der – unterstützt durch Fördermittel der Stadt Leipzig – eine Ausstellung “Die verschwiegenen Toten” gestaltet, kommen zu den bekannten sechs Fällen vier weitere. Neben den bekannten und auch vom Rechercheprojekt “Todesopfer rechter Gewalt” von “Zeit” und “Tagesspiegel” erfassten drei rassistisch motivierten Gewalttaten an Achmed Bachir (23.10.1996), Nuno Lourenço (4.7.1998) und Kamal Kilade (24.10.2010), den sozialdarwinistischen Morden an Klaus R. (28.5.1994 ) und Karl-Heinz Teichmann (22.8.2008) sowie dem homophoben Mord an Bernd Grigol (8.5.1996) betrifft dies auch den wohnungslosen Horst K. (ermordet am 30.12.1995) und Thomas K. (ermordet von einem Nazis am 4.10..2003). Als Verdachtsfälle, in denen ein rechtes Tatmotiv nicht ausgeschlossen werden kann, kommen Gerhard Sch. (ermordet am 1.6.1991) und Gerhard Helmut B. (ermordet am 17.12.1995, Tatmotiv möglicherweise Homophobie) hinzu.

Von all diesen Fällen sind nur drei offiziell anerkannt, nämlich die drei rassistisch motivierten Morde. Bundesweit werden von über 150 Fällen, die durch Recherchen von Journalisten und zivilgesellschaftlichen Gruppen erfasst wurden, nur 63 anerkannt.

Kerstin Köditz hatte auch zu mehreren nicht anerkannten Leipziger Todesopfern nachgefragt. Dazu gehören der 1994 von Neonazis zu Tode geprügelte Klaus R., der erwähnte Gerhard Helmut B., der 1996 zu Tode gekommene Bernd G. (der Täter gehörte der rechten Szene an). Auch bei 2003 ermordeten Thomas K. konnte der Täter einer rechtsextremen Gruppierung zugeordnet werden, und auch der Mörder des 2008 ermordeten Wohnungslosen Karl-Heinz T. hatte zuvor an einer Veranstaltung der extremen Rechten teilgenommen.

Ein Schema, das verblüfft. Denn während jeder, der an einer Demonstration gegen einen NPD-Aufmarsch teilnimmt, von Sachsens Behörden schnell mal als ein “Fall” in Sachen Linksextremismus registriert wird, wird bei Gewalttätern, die eindeutig dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind, dieser Hintergrund von Gerichten und Polizei oft einfach ausgeblendet und so getan, als handele es sich um eine ganz gewöhnliche kriminelle Tat.

“Ausweichend und abwiegelnd” nennt Juliane Nagel, Direktkandidatin der Linken zur Landtagswahl die Auskünfte der Staatsregierung. “Hier tritt ein weiteres Mal die Abwehrhaltung der CDU-Regierung zutage, die krasse Dimension rechter Gewalt anzuerkennen. Das Entsetzen nach dem Aufdecken der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrund wird so zur reinen Makulatur. Sie fordert von der Sächsischen Staatsregierung eine Tiefenprüfung der von der Zivilgesellschaft als rechts motiviert kategorisierten Mordfälle.

“Beispielhaft dafür könnte das Land Brandenburg stehen. Im Rahmen eine Forschungsprojektes werden dort bis 2015 ‘umstrittene Altfälle Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt’ überprüft. Die Akten werden dabei nicht nur intern durch das LKA überprüft, sondern WissenschaftlerInnen des Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam zugänglich gemacht. Ein ExpertInnenkreis, der neben Polizei, Ministerium und Justiz auch zivilgesellschaftliche Organisationen und die Amadeu-Antonio-Stiftung umfasst, begleitet die wissenschaftliche Aufarbeitung. Im Ergebnis des Projektes sollen auch Erkenntnisse für zukünftige Ermittlungen abgeleitet werden”, verweist sie auf das Vorbild im Nachbarland.

Die Ausstellung “Die verschwiegenen Toten” wird in Leipzig erstmals im Herbst 2014 im Rahmen des Gedenkens an den am 24. Oktober 2010 ermordeten Kamal K. präsentiert.

LAP Leipzig:
www.aktionsplan-leipzig.de/index.php?article_id=89

Übersicht auf zeit.de zu Opfern rechter Gewalt:
www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/todesopfer-rechter-gewalt
Die Nachfragen zu den Leipziger Opfern Helmut B., Klaus R., Bernd G., Thomas K., und Karl-Heinz T. als PDF zum download.

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