Seit 2011, seit im sächsischen Innenministerium die "Polizeireform 2020" ausgekocht wurde, fragt die Grünen-Abgeordnete Eva Jähnigen in einer langen Latte von Anfragen die Interventionszeiten der sächsischen Polizei ab. Das ist die Zeit von der Meldung des Vorkommnisses bis zum Eintreffen der Polizei am Tatort. Aber nach drei Jahren sieht die Bilanz nicht allzu gut aus.
Die Zeit, die die Beamten durchschnittlich benötigen, um bei einem Einsatz vor Ort zu sein, verschlechtert sich in Sachsen weiter, stellt Eva Jähnigen nun fest, nachdem sie das neue Antwortpaket des Innenministers bekommen hat.
“Reichlich 20 Minuten brauchen die Beamten im Durchschnitt, um bei einem Einsatz, in dem es um Gefahr für Leib und Leben geht, vor Ort zu sein. Das ist zu lang, denn bei Bedrohung, Körperverletzung und häuslicher Gewalt zählt für die Opfer jede Sekunde”, beklagt Jähnigen, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. “Die durchschnittliche Interventionszeit hat sich seit dem Jahr 2011 von 17 Minuten auf 20,6 Minuten im Jahr 2014 erhöht. In den Jahren 2012 und 2013 lag die durchschnittliche Interventionszeit noch bei je 19 Minuten.”
Ein Thema, über das sich in der Koalition der CDU seit Verkündung der “Polizeireform 2020” geärgert wird. Nicht weil die Interventionszeiten immer länger werden und die Polizei auch mal über eine Stunde braucht, um endlich am Ort des Geschehens zu erscheinen, sondern weil sich zumindest der innenpolitische Sprecher der Fraktion sicher ist, dass Interventionszeiten gar kein Maßstab sind. Da kommt dann der Lehrer in Christian Hartmann durch.
“Die Grünen haben offensichtlich noch immer nicht verstanden, dass Interventionszeiten bei der Polizei keinen Sinn machen”, erklärt Christian Hartmann, amtierender Vorsitzender des Arbeitskreises für Innenpolitik der CDU-Landtagsfraktion.
Er sieht in der Pressemitteilung von Eva Jähnigen zum Thema einen Vorwurf an die sächsische Polizei, zu lange zu benötigen, um nach einem Notruf vor Ort zu sein. Gleichzeitig beschuldigten die Grünen Innenminister Markus Ulbig wiederholt, das Problem zu verkennen.
“Die statistische Auswertung, mit der Frau Jähnigen ihre Aussagen begründet, sind nichts wert, ebenso wie ihre Vergleiche zum Vorjahr”, so Hartmann. Denn ihre Rückschlüsse zögen die Grünen allein aus Kleinen Anfragen, in der exemplarisch die Eintreffzeiten für zwei beliebig ausgewählte Tage abgefragt wurden. “Zudem ist mir schleierhaft, wie Frau Jähnigen zu der Mutmaßung kommt, sächsische Polizisten würden bei Einsätzen, in denen es um Gefahr für Leib und Leben geht, gut 20 Minuten benötigen. Selbst wenn beispielsweise der Alarmierungsgrund eine Körperverletzung ist, geht aus den Daten nicht hervor, ob die Tat bereits zurückliegt oder die Gefahr noch akut ist. Ich bin mir sicher, dass bei einer akuten Gefährdungslage, die Polizei deutlich schneller vor Ort ist und Hilfe leistet”, meint Hartmann.
Für ihn machen Interventionszeiten bei der Polizei keinen Sinn: “Anders als bei Rettungsdiensten und Feuerwehren, die in ihren Wachen während ihrer Bereitschaftszeiten auf das Eintreffen eines Notrufes warten, befinden sich die sächsischen Polizisten während ihres Dienstes permanent im Einsatz. Polizisten rücken nicht erst aus, wenn sie um Hilfe gerufen werden, sondern sind in den meisten Fällen ohnehin auf der Straße, fahren Streife oder gehen Routinekontrollen nach. Selbstverständlich gibt es eine Abwägung darin, ob nach einem Notruf zunächst der Auffahrunfall aufgenommen wird oder die flüchtigen Täter nach einem Banküberfall verfolgt werden. Diese Abschätzung wird bereits bei einem eingehenden Notruf getroffen.”
Mit seiner Skepsis gegenüber Interventionszeiten ist Hartmann nicht allein, auch Innenminister Markus Ulbig hält davon nichts. Was für Eva Jähnigen erst recht ein Grund ist, das Thema immer wieder auf den Tisch zu bringen.
“Wird jemand Opfer von Gewalt oder Zeuge einer Straftat, bekommt er eher von einem Notarzt Hilfe, als von der Polizei. Der Rettungsdienst hat eine gesetzlich geregelte Hilfspflicht von zwölf Minuten, die Polizei nicht. Das muss sich endlich ändern”, fordert die Abgeordnete. “Die Interventionszeiten für die Polizei müssen gesetzlich festgelegt werden. Die Blockade des Innenministers, die Interventionszeiten überhaupt systematisch zu erfassen und auszuwerten, wollen wir beenden. Sonst droht das Vertrauen der Bevölkerung verloren zu gehen. – Fürchtet Innenminister Ulbig, dass der fortschreitende Stellenabbau bei der Polizei sonst für jedermann sichtbar wird?”
Seit 2011 fragt Eva Jähnigen einmal jährlich den Innenminister: “Wie lang braucht die Polizei, um nach Eintreffen eines Notrufs vor Ort zu sein?”. Das Ergebnis der Kleinen Anfragen sei Jahr für Jahr ernüchternd, resümiert Jähnigen.
In den Anfragen (Drs. 5/14862 bis 5/14880) hatte Jähnigen die Polizeipräsenz und Interventionszeiten in 19 Polizeirevieren und -posten an zwei beliebig ausgewählten Tagen (Mittwoch, 22.1.2014 und Sonnabend, 15.3.2014) erfragt. Das Innenministerium teilte mit, dass insgesamt 35 Fälle mit Gefahr für Leib und Leben vorlagen. Die kürzeste Interventionszeit (zwei Minuten) hatte die Polizei beispielsweise am 15.3.2014 in Zittau bei einem Fall von Bedrohung/Nötigung (Drs. 5/14863). Am längsten, nämlich 93 Minuten, benötigte sie in einem Fall von Bedrohung/Nötigung am 15.3.2014 in Leipzig-Südwest (Drs. 5/14867).
Den fünf sächsischen Polizeidirektionen sind 41 Polizeireviere unterstellt. Die Polizeireviere wiederum unterhalten sog. Polizeiposten, die teilweise nur wochentags und tagsüber besetzt sind. Mit der Umsetzung der Neuorganisation der sächsischen Polizei durch das Konzept ‘Polizei.Sachsen.2020’ wurden Anfang 2013 31 Polizeireviere zu Polizeiposten umgewandelt.
Auf den Antrag der Grünen-Fraktion zur Analyse von Interventionszeiten (‘Auswertung und verbindliche Festlegung der Interventionszeiten bei der sächsischen Polizei’, Drs. 5/11207: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=11207&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=202) antwortete Innenminister Ulbig, dass eine Analyse der Interventionszeiten zu aufwendig wäre.
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Die Abfrage zum Leipziger Polizeirevier Südwest zeigt aber auch, mit welch unterschiedlichen Ereignissen sich die Beamten jeden Tag beschäftigen müssen – vom Verkehrsunfall über Sachbeschädigung bis zum schweren Diebstahl. Besetzt ist die Dienststelle mit 223 Polizistinnen und Polizisten, die sich um ein Gebiet mit 162.000 Einwohnern kümmern müssen. Die sind natürlich nicht alle jederzeit im Dienst. Am 22. Januar – das war ein Mittwoch – waren 114 Beamte im Dienst, davon 54 auf Streife. Am 15. März – einem Samstag – war die Dienstelle mit 59 Beamten besetzt, von denen auch 59 auf Streife waren.
Und nicht zu jedem Einsatz fährt nur ein Streifenwagen mit zwei Beamten. Am 22. Januar beschäftigte augenscheinlich ein Vermisstenfall die Polizei, so dass bei Eingang eines Hinweises meist gleich ein halbes Dutzend Beamte ausrückte. Aber auch zu schweren Diebstählen und Raubdelikten machten sich gleich mehrere Streifenwagen auf den Weg. Ein schwerer Diebstahl brachte kurz nach Mitternacht gleich 10 Polizisten in die Franz-Flemming-Straße in Lindenau. Ein Sexualdelikt in der Selliner Straße brachte am 15. März gleich 14 Polizisten und Polizistinnen auf die Beine. Man sieht an den eingesetzten Kräften auch, wie ernst manche Vorfälle genommen werden. Die 14 Beamten waren sogar binnen acht Minuten am Ort des Geschehens, während es in anderen Fällen auch schon mal 20, 30 oder 40 Minuten dauern konnte, bis ein Polizeiauto eintraf. Aber auch 1 Minute war möglich – etwa wenn die Streife fahrenden Polizisten eine Person entdeckten, nach der offiziell gefahndet wurde. Was natürlich auch zeigt, wie wichtig die Fahrzeuge auf Streife sind, die sich oft genug deutlich näher am Ort des Geschehens befinden als die Einsatzzentrale.
Die Kleine Anfrage als PDF zum Download.
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