Es gibt kaum ein Thema in Deutschland, über das sich die Politik und die Medien gegenseitig derart viel blauen Dunst ins Gesicht blasen wie beim Thema Schulden. Es wird getrickst, in der Statistik verschoben, in Sondervermögen versteckt. Und am Ende kommt eine Nachricht heraus wie diese, die das Bundesamt für Statistik am 14. August in die Welt posaunte: "Öffentliche Schulden im Jahr 2013 erstmals seit 1950 gesunken". Und der Hosianna-Gesang aus Sachsen folgte auf dem Fuß.

Auf den ersten Blick sieht ja alles ganz primamissimo aus: Sachsen hat nach der Tabelle des Bundesamtes mit 2.086 Euro die geringste Pro-Kopf-Verschuldung in ganz Deutschland. Insgesamt verringerten sich die Schulden der öffentlichen Haushalte im Freistaat von 2012 auf 2013 nochmals um 9,5 Prozent auf 8,43 Milliarden Euro. Das ist heftig. In den Zahlen des Bundesamtes ausgedrückt: Von 9,316 Milliarden Euro soll der Freistaat binnen eines Jahres seinen Schuldenberg auf 8,431 Milliarden Euro gesenkt haben. Und das, obwohl der sächsische Finanzminister Georg Unland (CDU) beharrlich dabei bleibt, nur 75 Millionen Euro jedes Jahr in den Schuldenabbau zu stecken.

“Die heute veröffentlichten Zahlen zeigen wieder einmal, dass sich die solide Finanzpolitik der vergangenen Jahre im Freistaat immer mehr auszahlt. Es geht aber nicht um den ersten Platz im Schuldenranking. Wichtiger ist, dass Sachsen damit für die Zukunft, insbesondere nach dem Auslaufen des Solidarpaktes in fünf Jahren, sehr gut aufgestellt und auch künftig noch in Bildung, Sicherheit, Infrastruktur und Wirtschaftsförderung investieren kann, während andere Länder weiter massiv kürzen müssen”, formulierte noch am selben Tag Jens Michel, finanzpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion.

Und er liest noch mehr heraus: “Die in der Statistik aufgeführte Gesamtverschuldung betrifft ausdrücklich nicht nur den Freistaat, sondern auch die Kommunen. Damit partizipieren auch die Gemeinden an der soliden sächsischen Finanzlage. Das zeigt, dass die bisherige Finanzpolitik im Freistaat im Bereich der Kommunalfinanzen nachhaltig ist und nicht auf Kosten der Kommunen erfolgt.”

Aber irgendwie hat er dann doch noch gemerkt, dass da irgendetwas fehlt. “Allerdings zeigt die Statistik nur die Verschuldung im sogenannten nicht öffentlichen Bereich, also die Kreditmarktverschuldung. Zum vollständigen Bild gehört aber auch die gesamte Verschuldung, insbesondere auch die Berücksichtigung impliziter Verschuldung wie z.B. Pensionszusagen. Zu welchen Zuständen desolate staatliche Finanzen führen können, zeigt uns die Entwicklung in Südeuropa. Dies sei allen Politikern mit Finanzverantwortung in Deutschland noch einmal verdeutlicht”, so Michel.

Aber auch die Sache mit der Kreditmarktverschuldung ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Einen anderen benannte am selben Tag der finanzpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, Sebastian Scheel: “Aus den Zahlen des Statistischen Bundesamtes lässt sich nur die halbe Wahrheit herauslesen. Fakt ist, dass in Sachsen schon frühzeitig damit begonnen wurde, ohne neue Schulden auszukommen. Aber: Die bundesweite Schulden-Statistik kennt keinen Garantiefonds. Damit geht die 2,75 Milliarden Euro teure CDU-Erblast Landesbank-Pleite nicht in die Statistik ein. Um die Folgen dieser schweren Hypothek zu finanzieren, mussten die Bediensteten im Land bluten. Ihnen wurde das Weihnachtsgeld gestrichen. Bei der Jugendhilfe fielen die Zuschüsse zum Teil weg, was diversen Angeboten und Einrichtungen das Aus brachte. Der Sozialhaushalt wurde zusammengestrichen und die Kulturraummittel indirekt gekürzt. – Kurz gesagt: Für den sächsischen Spitzenplatz zahlen Schülerinnen mit Stundenausfall und langen Schulwegen, Kommunen als Ausfallbürgen für soziale Leistungen, Jugendliche mit dem Verzicht auf kulturelle Angebote und Beamte mit dem Wegfall ihres Weihnachtsgeldes.”

Andererseits ist Wahlkampf und es geistern derzeit allerlei Versprechen durch die Luft, dass wieder mehr Geld in das Funktionieren des Landes investiert werden soll. Scheel: “Es ist begrüßenswert, dass die CDU offenbar eingesehen hat, dass nun in wichtige Bereiche investiert werden muss. Es wird Zeit, im Freistaat den Hebel umzulegen und die gewonnenen Spielräume für sozialen Ausgleich, einen fair bezahlten öffentlichen Dienst, bessere Bildung von der Kita bis zur Hochschule sowie zur fairen Finanzierung der Kommunen zu nutzen. Darauf, diesen Anspruch tatsächlich umzusetzen, ist die CDU in Sachsen allerdings nicht vorbereitet. Für den notwendigen Politikwechsel fehlt ihr die Gestaltungskraft. Am 31. August sollten die Wählerinnen und Wähler den Gestaltungsauftrag daher neu vergeben.”Damit haben wir aber noch nicht die Verschuldungszahlen. Und schon gar nicht die von Freistaat und Kommunen zusammen.

Aber die Zahlen gibt es. Und sie haben nicht allzu viel mit der Meldung aus Wiesbaden zu tun. Zu beachten ist an der Meldung des Bundesamtes für Statistik zum Beispiel die kleine Formel “Öffentliche Gesamthaushalte”. Das klingt nach viel, schränkt aber den Bereich der erfassten Schulden drastisch ein auf die “Kern- und Extrahaushalte des Bundes, der Länder, der Gemeinden/Gemeindeverbände und der Sozialversicherung, Finanzanteile der Europäischen Union (EU-Anteile)”.

Rausgeflogen sind aus dieser Erfassung seit 2011 zum Beispiel: Sondervermögen des Bundes, Sondervermögen der Länder, Zweckverbände. Erst gar nicht erfasst werden Bürgschaften oder die Schulden bei Eigenbetrieben und Eigengesellschaften. Und da ist man bei der Eichhörnchenpolitik, die Deutschlands Kassenwarte pflegen, um die Bilanzen aufzuhübschen.

Erst am 1. August hat das Sächsische Landesamt für Statistik die genauen Zahlen zu den Schulden der sächsischen Kommunen, Eigenbetriebe und Verbände vorgelegt. Zahlen, an denen man sieht, wie viele Verbindlichkeiten tatsächlich schon bei den Kommunen in öffentlichen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen ausgelagert sind. Von den 11,1 Milliarden Euro Schulden, die Sachsens Kommunen 2013 aufgehäuft hatten, lagerten allein 6,8 Milliarden Euro in diesen Einrichtungen – also mehr als die Hälfte.

Und unübersehbar: Schon diese 11,1 Milliarden Euro bei Sachsens Kommunen übersteigen deutlich den Wert, den das Bundesamt für Statistik vermeldet hat. Da sind die Schulden des Freistaats selbst noch gar nicht dabei. Aber auch diese Zahl ist vorhanden. Am 15. Januar hatte Finanzminister Georg Unland die vorläufige Zahl für 2013 vermeldet.

Die Gesamtverschuldung betrug zum Jahresende 2013 11,432 Milliarden Euro. Die Pro-Kopf-Verschuldung betrug allein für diese sächsische Staatsverschuldung 2.829 Euro. Abbauen will Unland diese Pro-Kopf-Verschuldung überhaupt nicht.

“Trotz allgemeinem Bevölkerungsrückgang und Zensus-Effekt ist es uns gelungen, die Pro-Kopf-Verschuldung in dieser Legislaturperiode stabil zu halten”, erklärte er im Januar.

Sachsen hat – mit der Verschuldung von Freistaat und Kommunen zusammen – also eine Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte von 22,5 Milliarden Euro. Tatsächlich ist sie gerade im Kommunalbereich in den letzten fünf Jahren um über 2 Milliarden Euro angewachsen. Ein Grund dafür ist die restriktive Finanzpolitik des Freistaats gegenüber den Kommunen, denen es immer schwerer fällt, noch genehmigungsfähige Haushalte aufzustellen.

Die Pro-Kopf-Verschuldung der Sachsen beträgt also rund 5.580 Euro.

Und weil das wohl nicht nur in Sachsen so ist, ist auch der vom Bundesamt für Statistik gemeldete Abbau der Schulden insgesamt von 2,068 Billionen Euro auf 2,037 Billionen Euro zu bezweifeln. Die Zahl kaschiert den Verschiebebahnhof dahinter mehr als dass sie von einem tatsächlich in Gang gekommenen Schuldenabbau erzählt. Die Finanzströme in der Bundesrepublik sind alles andere als austariert. Und am heftigsten leidet die unterste Ebene, der die meisten Pflichtaufgaben aufgebürdet wurden: die kommunale.

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