Sachsens Justiz kann nicht loslassen. Man schreibt zwar das Jahr 2014. Dreieinhalb Jahre her sind die Ereignisse aus dem Februar 2011 in Dresden, als eine ungeschickte Polizeistrategie die Ereignisse um die Demonstrationen gegen den alljährlichen Nazi-Aufmarsch aus dem Ruder laufen ließ. Der damals verantwortliche Polizeipräsident wurde zwar von seinem Amt entbunden. Doch die Prozesse gegen die Demonstranten gehen munter weiter. Auch gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König.

Der Prozess ist zwar vor einem Jahr geplatzt, nachdem sich in der Verhandlung zeigte, dass das vorgelegte Beweismaterial nicht stichhaltig war und die Lothar König in den Mund gelegten Sätze durch das vorgelegte Videomaterial nicht belegt werden konnten. Der zuständige Richter musste den Prozess aussetzen, obwohl eine Beendigung mangels belastbarer Beweise eigentlich zwingend gewesen wäre. Aber war schon der Prozess ein seltsames Spiel, bei dem sich befragte Zeugen gänzlich anders erinnerten, als es in den gezeigten Videosequenzen hör- und sichtbar wurde, so entwickelte sich auch die Folgezeit zu einem seltsamen Tanz.

Denn auch am 29. Juli wussten Gericht und Staatsanwaltschaft noch nicht mehr, stellten aber der Verteidigung von Lothar König die Ladung zu einer neuen Hauptverhandlung zu, die nun am 10. November beginnen soll und neun Verhandlungstage umfassen soll.

Johannes Eisenberg und Lea Voigt, die beiden Verteidiger von Lothar König, können nur kopfschüttelnd auflisten, wie Staatsanwaltschaft und Gericht die Entscheidung zum Prozess immer wieder hinauszögerten und auch ein Jahr später noch nicht wirklich weiter sind, trotzdem den ganzen Prozess neu verhandeln wollen.Die Ereignisse in ihrer chronologischen Reihenfolge:

Am 2. Juli 2013 wurde der Prozess ausgesetzt, nachdem sich das vorgelegte Material als nicht stichhaltig erwies.

Am 5. Juli 2013 beantragte die Verteidigung “wegen massiver Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze” die Einstellung des Prozesses.

Am 17. Juli 2013 lehnte die Dresdner Staatsanwaltschaft das ab. “Das Gericht veranlasste nichts”, kommentieren dazu die Verteidiger.

Am 2. August 2013 beantragten sie ergänzende Akteneinsicht. An die dann zwei Mal erinnert werden musste.

Am 5. September teilte der vorsitzende Richter dann mit, die Akte sei unabkömmlich.

Am 23. September reisten die Verteidiger also nach Dresden, um Akteneinsicht zu nehmen. Was fehlte, war eine Verfügung des zuständigen Richters. Die wollte er noch nachreichen.

Also fuhr die Verteidigerin noch einmal nach Dresden. Jetzt lag die Verfügung der Akte bei, datiert vom 26. September, ausgefertigt am 15. November. Darin wurde die Neuauswertung des Videomaterials durch die Polizeidirektion Dresden und die Auswertung der Tonspur mit dem Ziel angeordnet, den wahren Wortlaut des von Lothar König Gesagten zu ermitteln.

Aber auch bis zum 10. Januar 2014 war noch nichts passiert. Jetzt erst wies der Richter die Polizeidirektion Dresden an, die Neuauswertung des Videomaterials durchzuführen.

Erst am 15. Januar beschloss der Richter, den Einstellungsantrag der Verteidigung vom 5. Juli 2013 zurückzuweisen.

Ende April bekam die Verteidigung dann eine neue Videoauswertung der Dresdner Polizei, die die von der Verteidigung in der Hauptverhandlung nachgewiesenen Fehler bestätigte. Im Wesentlichen sei die neue Auswertung eine “Selbstrechtfertigung” der Dresdner Polizei, stellen die Verteidiger fest.

Die Tonspurauswertung, die das Landeskriminalamt Brandenburg durchführen sollte, läge bis heute nicht vor, so Voigt und Eisenberg. Das Gericht weiß also bis heute nicht, was Lothar König wirklich gesagt hat. Aber genau darauf baute der ganze Prozess auf. Verständlich, dass die Verteidiger so ihre Zweifel haben, ob überhaupt eine Grundlage dafür besteht, den Prozess neu aufzurollen.

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“Die Festsetzung der neuen Hauptverhandlung vor Einholung des Gutachtens des LKA Brandenburg erfolgt gegen den ausdrücklichen Rat der Verteidigung”, erklären Johannes Eisenberg und Lea Voigt. “Es entspricht der bisherigen, nachlässigen Verhandlungsführung, dass die Tonspuren bis heute (13 Monate nach der Aussetzung der Hauptverhandlung) dem LKA Brandenburg nicht zur Auswertung vorgelegt wurden. Einen sachlichen Grund gibt es hierfür nicht.”

So dass natürlich die Frage auftaucht: Worüber soll da ab November überhaupt verhandelt werden, wenn es nicht einmal einen stichhaltigen Beweis für die Anklage gibt?

“Die Staatsanwaltschaft hat sich bis heute nicht bereit erklärt, die Anklagevorwürfe, die widerlegt sind (etwa eine behauptete Tat um 8.50 Uhr, einem Zeitpunkt, zu dem Lothar König nachweislich nicht am Ort war) durch teilweise Rücknahme der Anklage zurück zu nehmen und damit den Prozessstoff zu beschränken”, stellen Voigt und Eisenberg fest. “Er wird also erneut über die gesamten Anklagevorwürfe verhandelt werden müssen.”

Also noch einmal alles von vorn im November. Frei nach der Silvesterklamotte: “The same procedure as every year.”

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