Am Nachmittag des 17. Juli luden die Grünen zum Wahlkampfauftakt in die Nachbarschaftsgärten in Lindenau ein. Bei bestem Wetter konnte die recht übersichtliche Zahl an Besuchern unter dem Motto "Kochen mit Renate" einer Mischung aus politischem Talk und "Koch-Show" beiwohnen, bei der Renate Künast als Special-Guest eingeladen war. Nachdem die ehemalige Bundesministerin für Verbraucherschutz in einem von einem Fahrrad betriebenen Mixer kühle Getränke für die zahlreich im Garten sich tummelnden Kinder "gezaubert" hatte, eröffnete Claudia Maicher, Direktkandidatin für den Landtag, das große Schnippeln.
Zu dem selbstverständlich auch Karla Müller (Presse AG Nachbarschaftsgärten) geladen war. Vorstandsmitglied Kornelius Unckell sekundierte dem Trio und verarbeitete das geschnittene Gemüse zu einer bekömmlichen Gazpacho. Vorstandssprecher Jürgen Kasek reichte Getränke.
Der Ort der Veranstaltung war natürlich bewusst gewählt, neben dem grünen Flair des Gartens, der sich farblich gut zum Image der Partei fügt, gab es noch einen anderen Grund. Den Nachbarschaftsgärten, die vor zehn Jahren gegründet wurden, droht ein jähes Ende.
2004 entstand auf Initiative des Lindenauer Stadtteil e.V. die Idee, die Brachfläche zwischen Joseph- und Siemeringstraße als urbanen Garten zu nutzen. Fünf Eigentümer – darunter die Stadt Leipzig, eine Immobiliengesellschaft und zwei Privatpersonen – haben damals das Grundstück zur Verfügung gestellt. Der Nachbarschaftsgarten e.V. ist Nutzer der Fläche, die für die Leipziger Weststadt nicht unwichtig ist. Allerdings nur als Zwischennutzer. “Über die lange Zeit der Nutzung ist ein naturnaher Erlebnisraum entstanden, der erfrischend zweckungebunden zum Verweilen einlädt und sich zum nicht weg zu denkenden Treffpunkt in der Nachbarschaft gemausert hat”, hieß es im offenen Brief des Nachbarschaftsgarten e.V..
Nun will die Schweizer Immobilienfirma, vertreten durch die Aegenvelt Immobilien GmbH & Co. KG, ihren Teil der 6.500 qm Grundstücke verkaufen. Das sind 80 Prozent der Gesamtfläche, auf der bereits der Bau von Einfamilienhäusern konzipiert wurde. Bei einem Verkauf müsste also die komplette Gartenfläche geopfert werden.
Aus diesem Grund hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zusammen mit der Linken und der SPD einen Antrag im Stadtrat eingereicht, der den Oberbürgermeister unter Einbindung der Eigentümer, der potenziellen Erwerber und der gegenwärtigen Nutzer beauftragen soll, die Handlungsoptionen für den weiteren Erhalt der Nachbarschaftsgärten zu prüfen. Karla Müller von der Presse AG betonte zu Anfang des Gartenkochens die Wichtigkeit der grünen Oase in der Leipziger Weststadt und fordert die Politik auf, Wege zu finden, die Zwischennutzung zu verstetigen. Denn die Gärten haben, so Müller, zu einem nicht unerheblichen Teil zur Aufwertung des Viertels beigetragen.
Im Mittelpunkt des Gesprächs am Schneidebrett standen dann natürlich die Landesthemen der Grünen. Gesprochen wurde über die neuerliche Landlust der Städter. Renate Künast betonte, dass der Garten heute Teil der modernen Stadt sein muss, um sich gegen den Asphalt zur Wehr zu setzen und Luft zu holen im Getümmel der Masse. Hier in der grünen Parallelwelt lerne der Bürger, ob groß oder klein, jung oder alt, das gesunde Leben kennen, das nicht heißt, nicht krank zu sein. Dazu gehört gesundes Essen und frische Luft. Räume des Ausgleichs müssen erhalten werden, so Künast.
Karla Müller ergänzte, dass die Nachbarschaftsgärten kein parzelliertes Gärtnern ist, wie es die originäre Kleingartenkultur vollzieht. Die Gärten sind eine soziale Plattform, auf der es mehr um Gemeinschaft mit wenig Grenzen geht.
Auch Kooperationen mit Kitas bestehen, so Müller. Eine Steilvorlage für ein weiteres grünes Wahlkampfthema: Maicher und Künast gingen prompt dazu über, die Frage der Schulversorgung zu debattieren. Für beide auch ein soziales Problem, dem man nur mit Theorie und Praxis der Ernährung beikommen könne. Angefangen bei der Ausbildung der Köche, die nicht immer ausreichend sei, bis hin zum bewussten Umgang mit Lebensmitteln und deren Kennzeichnung – die ganze Palette grüner Inhalte wurde abgegrast. Der große Begriff, welcher über den Ausführungen Künasts schwebte, war der der Aufklärung. Der Sozialstaat müsse Strukturen schaffen, damit sich jeder ermöglichen könne.
Am Beispiel der Nachbarschaftsgärten zeigt sich, wie sich im Zuge der Leipziger Aufwertungsprozesse auch die Verdrängung bemerkbar macht. Auch am Leipziger Wohnungsmarkt stehen die Zeichen perspektivisch auf Sturm, hält der Zuzug unvermindert an. Auf die Frage, wie ein angespannter Wohnungsmarkt zu vermeiden ist und was grüne Politik dazu beitragen kann, antwortete Maicher: “Das ist ein großes Thema auch im Leipziger Westen. Wir sind hier in den Nachbarschaftsgärten und man kann sehen, wie Projekte von unten entwickelt werden, die Erfolg haben.” Die Grünen, so Maichner, plädieren im Zuge der steigenden Mieten für die Mietpreisbremse. Für die Stadt sieht sie zusammen mit den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften die Verantwortung, Wohnungsraum auch für die Menschen zur Verfügung zu stellen, die wenig Geld haben.
Wenn eine Idee sich gegen sich selbst wendet: Kritik am Zwischennutzungsmythos
Leipzig wächst …
Wie bekommt man heraus …
Divide et impera – teile und herrsche …
“Das heißt”, ergänzte Claudia Maichner, “sozialen Wohnungsbau möglich zu machen.” Auch verschiedene Wohnformen müssen ermöglicht und gestärkt werden. Und weil es ein Auftakt zum Landtagswahlkampf war, kam Renate Künast um eine L-IZ-Frage nach dem vorrangigen Ziel einer neuen sächsischen Staatsregierung unter Grüner Beteiligung nicht drumherum. Ihre Antwort: “Ich denke in erster Linie an das Thema Energie. Es kann nicht sein, dass das Land Sachsen Bremse bei einer modernen Energiepolitik ist, sowohl in der Bundespolitik als auch bei den Aktivitäten in der Europäischen Union.”
Wenn es darum geht, CO2-Ziele zu erreichen, bremse das Land Sachsen diese, weil es an der Braunkohle festhalte. “Sachsens Nein ist ein Nein zur Zukunft”, mahnte Künast. In einer modernen Energiepolitik stecken laut Künast zu viele Potentiale. Sie betonte die Unabhängigkeit von Russland, den Anschub von Innovation und die dadurch entstehenden Arbeitsplätze. Eine neue Regierung müsse sich an der Zukunft ausrichten. Zukunft schon heute in der grünen Stadt von Morgen?
“Ich wünsche mir eine Welt, in der ich aus einer Toilette trinken kann, ohne Ausschlag zu bekommen”, sagte dereinst Leslie Nielsen im Film “Die nackte Kanone 2 ½”. Diese Utopie mutet derzeit in Sachsen noch wahrscheinlicher an, als die Ermöglichung einer ökologisch fairen Welt oder eines solchen Freistaates.
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