Oft genug berichtete die L-IZ in den vergangenen Monaten über den einen oder anderen Flurschaden, welchen die ersten Schritte der "Polizeireform 2020" bereits aufzeigen. Natürlich nicht für das sächsische Innenministerium - bis es im Mai deutlich spürbar ins Rudern kam. Eine Werbe-Kampagne musste her, die jungen Leute blieben aus. Kann passieren, wenn man Menschen wie Stückgut behandelt und Reformen am Reißbrett entwirft. Die Attraktivität der Laufbahn als Polizeibeamter war ins Rutschen gekommen, es bewarben sich offenbar immer weniger. Ob es überhaupt noch genug geeignete Bewerber waren, beantwortete sich kurz darauf: am 17. Juli 2014 legte man die Latte wortwörtlich tiefer.

Nun durften sich auch 16-Jährige bewerben und dabei reichte eine Körperhöhe von 160 Zentimetern. Nun jubiliert der Innenminister Markus Ulbig (CDU) wieder. Die Bewerberzahlen gingen rauf. Alles wird gut. Am 22. Juli hieß es also: “Die Nachwuchskampagne zeigt erste Erfolge: Dank Facebook und neuer Homepage haben wir eine steigende Zahl von Bewerbern, die durch den guten Service auch besser informiert sind. Mit der Erhöhung der Neueinstellungen auf 400 ab 2015 verstärken wir die Ausbildung und sorgen für eine verjüngte und weiterhin leistungsfähige Polizei.” so Ulbig.

Ist dem wirklich so? Oder hat man nur in letzter Sekunde vor der Meldung das Mindestalter gesenkt und einen ganzen Jahrgang beruflich Unentschlossener 16-Jähriger hinzubekommen. Längst ackert man auch schon an der Front der ausgeschiedenen “12-Ender” – Berufssoldaten mit 12-jähriger Dienstzeit, die vielleicht in den Polizeidienst wechseln möchten.

Neben diesen Ad hoc-Maßnahmen bleiben die grundlegenden Fragen: reichen eigentlich die 400 jährlich hinzukommenden Polizisten wirklich, um die höheren Altersabgänge zu kompensieren? Und was ist mit den 30 Polizeistationen in ganz Sachsen, die auf der Streichliste des Ministeriums standen und stehen? Was macht dass mit den Ankunftszeiten bei Einsätzen der geringeren Anzahl von Beamten?

Die L-IZ hat bei den Parteien nachgefragt und eine Reihe von Interviews dazu in den kommenden Tagen.

Bis dahin darf das Innenministerium noch einmal jubeln: “Seit Beginn der Nachwuchskampagne stiegen die Bewerberzahlen für die Ausbildung in den Monaten Mai und Juni um über 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für das Studium an der Hochschule der sächsischen Polizei gingen sogar über 70 Prozent mehr Bewerbungen ein als im vergleichbaren Zeitraum.”

Wie gesagt: man hat viel Geld investieren müssen, um die Spots in die Kinos zu bringen, eine Werbeagentur musste ihn herstellen, die personelle Betreuung wurde aufgestockt und am Ende half die Absenkung der Mindesthöhe und des Alters – doch dazu findet sich keine Zeile im Jubelbereich. Erst wieder am Ende, bei den Sachinformationen.

Für das Inneministerium seien zudem die hohen Abrufzahlen der neuen Homepage und der Facebook-Fanseite ein Indiz für den durchschlagenden Erfolg. Seit dem Start hätten sich mehr als 11.700 unterschiedliche Nutzer unter verdaechtig-gute-jobs.de über den Berufseinstieg bei der Polizei. Die Karriere-Fanpage der Nachwuchskampagne habe über 2.700 Fans.

Das kann man sich dann doch nicht verkneifen: Ja, viele “Fan”-Likes kamen bei Facebook hinzu, als man eine Rundfahrt auf dem Wasserwerfer verlosen wollte, während aus den brasilianischen Favelas weniger schöne Bilder von Polizeieinsätzen im Rahmen der WM-Vorlaufzeit via TV und Netz in die Wohnzimmer quollen. Die Seite füllte sich eher mit Beiträgen von Leuten, die die “tolle Aktion” eher höchst schräg bis extrem daneben fanden. Die tatsächlichen Nachfragen zum Polizeijob kamen zu dieser Zeit fast gar nicht und kleckerten anschließend nach der Ausdehnung des Alterskorridors für die Bewerber auf 16 bis 34 Jahre doch etwas los.

Die Menschen mögen eben schräge Ideen, zumal von Behörden im Netz und vergessen oft genug danach das entliken einer Fanpage – entweder werden sie zu Karteileichen durch mangelnde Aktivität oder sie warten auf die nächste kuriose Aktion der Nachwuchsfahnder im Netz. “Fans” der Polizei und ihrer “erfolgreichen Kampagne” sind sie damit noch lange nicht.

Auch die “11.700 unterschiedliche Nutzer” auf der Webseite verdaechtig-gute-jobs.de in knapp 3 Monaten bedürfen bei dem gezeigten engagierten Einsatz von Geldmitteln einer realistischen Einordnung: Die L-IZ erreicht diese Zahl an einem beliebigen Wochentag.

Wie niedrig man bei der Suche nach Bewerbern bereits in anderen Bereichen fliegt, zeigt hingegen der kurze Schriftwechsel auf der FB-Fanpage der Polizei nach Bekanntgabe der Altersausdehnung. Userin V. V. “Hallo. Wie sollte der Notendurchschnitt sein?” Antwort “Der Notendurchschnitt ist bei uns nicht entscheidend. Wichtig ist der Schulabschluss und wie du dich dann im Auswahlverfahren schlägst Also nur Mut und eine Onlinebewerbung unter: verdaechtig-gute-jobs.de absetzen :-)”

Ob sich letztlich nur die CDU oder ihr Innenminister und sonst niemand über den eingeschlagenen Weg bei der sächsischen Polizei freut, werden die Statements anderer Politiker der kommenden Tage zeigen.

Wer gern zur Polizei möchte, kann sich unterdessen weiter bewerben. “Die Bewerbungsfrist beider Laufbahngruppen für das Ausbildungsjahr 2015 endet in diesem Jahr am 1. Oktober.” teilt das Ministerium mit.

Verdächtig wenig Aktivitäten

www.facebook.com/polizeisachsen.karriere

Verdächtig viel Aufwand

www.verdaechtig-gute-jobs.de

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