Jahr für Jahr erfreut Sachsens Verfassungsschutz - sorry: "Verfassungsschutz" - die Öffentlichkeit mit einem "Verfassungsschutzbericht", der so aussagekräftig ist wie ein Zigarettenstummel. Warum "Verfassungsschutz"? So schreibt es der Landtagsabgeordnete der Grünen, Johannes Lichdi, mittlerweile konsequent, nachdem er sich auch in diversen Untersuchungsausschüssen mit dem Schlapphut-Verein eingehender beschäftigt hat.
Denn das Sächsische Landesamt für Verfassungsschutz schützt ja irgendwie alles mögliche – nur wenn es wirklich um den Schutz der Demokratie geht, weiß man von nix. Oder darf nichts sagen. Oder will nicht.
Also steht in den über 100 Seiten dicken Berichten eigentlich auch nichts. Außer dass die intransparente Behörde jedes Jahr die Gelegenheit nutzt, die Sachsen mit immer weiter steigenden Zahlen zum gewaltig zunehmenden “Linksextremismus” zu erschrecken. Übrigens im schönen Gleichklang mit dem Bundesverfassungsschutz, der genauso zahnlos ist, aber finanziell gut gefüttert. Man muss ja irgendwie seine Existenzberechtigung darstellen. Also gibt’s satte Zahlen. Der Bürger soll schlottern.
Und damit er richtig schlottert, steigen in diesem Bericht die Fallzahlen zum “Linksextremismus” jedes Jahr kräftig an. Das steht dann so da, ohne genaue Erklärung. Was man ja von einem Verfassungsschutz eigentlich erwarten würde: Legen die nun Bomben? Zünden sie die geliebten Kraftfahrzeuge der Bürger an? Verdreschen sie ungeliebte konservative Politiker? Oder treffen sie sich zum Nackt-Protest vor dem Innenministerium? Drucken sie heimlich die “Iskra” oder rauben sie – wie ein bekanntes rechtsextremes Ganoventrio – Banken und Sparkassen aus?
Innenminister Markus Ulbig (CDU) hat Lichdi nun die Zahlen zugearbeitet, die hinter den vom “Verfassungsschutz” summierten Zahlen stecken. Und ihm auch erklärt, welche Definition die sächsischen Schlapphüte (und die sächsische Polizei) eigentlich benutzen, um die diversen “Extremismen” zu definieren.
Er verweist dabei auf eine Anfrage von Ulla Jelpke, Jan Korte und Wolfgang Neskovic im Bundestag aus dem Jahr 2010. Und wer da schaut, wie die Ordnungshüter versuchen, “Linksextremismus” zu erkennen, der wird sich an das berühmte Wort vom Stochern im Nebel erinnert fühlen.
In der Antwort an die drei Bundestagsabgeordneten hieß es damals zur Identifizierung der “politisch motivierten Kriminalität – links”: “Der PMK-links werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung (z. B. nach Art der Themenfelder) einer ‘linken’ Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlich demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Insbesondere sind Taten dazuzurechnen, wenn Bezüge zu Anarchismus oder Kommunismus (einschließlich Marxismus) ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren.”Da wird also ein schwammiger Begriff durch den anderen (“‘linke’ Orientierung”) ersetzt. Der wilden Zahlenspielerei sind damit Tür und Tor geöffnet. Da demonstriert jemand gegen Nazis? Kann nur PMK links sein. Da demonstriert jemand gegen Bankenabzocke? Wird wohl auch “links” sein. Da stellt sich jemand einem Haufen Moschee-Gegner in den Weg? – Alles “Linke”.
Genauso einfach macht es sich Sachsens “Verfassungsschutz” in seinem Bericht, der eigentlich keiner ist.
582 solcher Fallzahlen “PMK links” haben Sachsens Schlapphüte 2013 gesammelt. Die meisten – wie nicht anders zu erwarten – in den Großstädten Dresden (187) und Leipzig (186).
Aber der Blick ins Zahlenwerk zeigt, dass die Polizeibehörden eigentlich nur sammeln, um große Zahlen zusammen zu bekommen. 244 der 582 “Fälle” sind Fälle von Sachbeschädigung. Normalerweise ist eine Sachbeschädigung keinem politischen Umfeld zuzuordnen. Man sieht demolierten Telefonzellen und Wartehäuschen nicht an, ob der Zerstörer eine bestimmte Ideologie vertrat beim Wüten. Es sei denn, die Zerstörung geschah im Zusammenhang mit einer Demonstration. Aber auch dann ist nicht immer klar, ob die Demonstranten hier randalierten oder ob eine Aktion der Polizei etwas heftiger ausfiel als geplant. Die gewalttätigen Ausschreitungen in Plagwitz 2014 stehen ja noch nicht drin in diesem Bericht. Also wird vor allem gezählt, was man einer bestimmten Ideologie zuschreiben kann: politische Graffiti an Hauswänden vor allem.
250 Seiten mit fremdem Zahlensalat: Sachsens Verfassungsschutzbericht 2013
So Mancher wunderte sich ja seit …
Dresden 2013: “Das war es dann …” – Vom Ende eines “Großaufmarsches” + Stimmen aus der Politik
Wieder musste die Neonazi-Szene …
Der zweitgrößte Block in der Liste sind Körperverletzungen: 152. Doch die starke Konzentration in Dresden und erst weit dahinter in Leipzig deutet darauf hin, dass hier einfach die Zahlen aus diversen Demonstrationsgeschehen 2013 – angefangen mit dem Februar 2013 in Dresden – aus dem Polizeibericht gezogen wurden. Wenn Steine fliegen oder Flaschen, landet das als Körperverletzung im Polizeibericht. Und wenn die Polizei beschließt, eine Demonstration für unerlaubt zu halten und die Leute vom Platz haben will, wird schnell Landfriedensbruch (13 Fälle) daraus. Oder ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz (86 Fälle).
Wenn man das Demonstrationsgeschehen herausrechnet, bleibt nicht mehr viel übrig von der “PMK links”. Dann bleiben immer noch eine Reihe Straftaten übrig. Aber um die zu ermitteln, braucht die sächsische Polizei in der Regel keinen “Verfassungsschutz”. Das könnte sie auch allein schaffen. Wenn sie die Leute dafür hätte.
Die Auskunft zur Definition von “politisch motivierter Kriminalität”: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/17/019/1701928.pdf
Die Auskunft von Markus Ulbig an Johannes Lichdi als PDF zum Download.
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