Es war eines der heißesten Themen in der Zeit des Hochwassers im Juni 2013 in Sachsen: Durch eine Anfrage der Grünen war bekannt geworden, dass von den 2002 geplanten 7.500 Hektar Retentionsfläche an Sachsens Flüssen ganze 111 Hektar bis zur Flut tatsächlich freigelegt worden waren. Von über 500 Millionen Euro waren ganze 5 Millionen Euro für Deichrückverlegungen ausgegeben worden, stelle die Grünen-Abgeordnete Gisla Kallenbach fest und fragte zum Jahrestag der Flut von 2013 jetzt noch einmal nach.
Die Antwort, die sie von Umweltminister Frank Kupfer (CDU) bekam, hat es in sich. Vor allem auch, weil er die Grünen-Abgeordnete tatsächlich versucht, auf den Arm zu nehmen. Und das gleich doppelt: Indem er auch technische Bauwerke wie Regenrückhaltebecken mit in die Antwort aufnimmt – und deren Kosten der Abgeordneten einfach mal unter die Nase reibt – so nach dem Motto: Überschwemmungsflächen für die Flüsse sind viel teurer als der ganze technische Kram.
Oder im Originalzitat: “Die Summe der bisher realisierten Hochwasserschutzmaßnahmen mit Retentionsflächengewinn beträgt 114,9 Millionen Euro (…). Seit dem Jahr 2002 wurden im Freistaat Sachsen 1.234,5 Millionen Euro in den Hochwasserschutz bzw. die nachhaltige Hochwasserschadensbeseitigung investiert (…). Die bisher realisierten Hochwasserschutzmaßnahmen mit Retentionsflächengewinn haben damit einen Anteil von rund neun Prozent an diesen Ausgaben.”
Weil aber auch “erhebliche Kosten für die Beseitigung von Hochwasserschäden” in diesen 1,2 Milliarden Euro stecken, erklärte Kupfer noch: “Daher unterschätzt der angegebene Kostenanteil von neun Prozent für Hochwasserschutzmaßnahmen mit Retentionsflächengewinn den tatsächlichen Anteil dieser Maßnahmen an den Gesamtmaßnahmen für den Hochwasserschutz deutlich.”
Kupfer verwies in seiner Antwort auf eine Antwort, die er parallel dem SPD-Abgeordneten Stefan Brangs gegeben hat. Da wird das Zahlenkuddelmuddel noch schöner. Von 500 Millionen Euro, wie sie Gisela Kallenbach zitierte, kann auf jeden Fall keine Rede sein. Aber die 1,2 Milliarden Euro sind auch nur ein Teil der Wahrheit. Denn das ist nur die Summe, die von 2002 bis 2013 an den Gewässern 1. Ordnung investiert wurde – jenen also, die in direkter Regie des Freistaates stehen. Weitere 418 Millionen Euro aber wurden für Hochwasserschutz und Schadensbeseitigung an den Gewässern 2. Ordnung ausgegeben, wo die Kommunen die Verantwortung tragen. Der aktuelle stand also lautet: Für Hochwasserschutz und Schadensbeseitigung wurden in Sachsen seit 2002 insgesamt 1,652 Milliarden Euro ausgegeben. Was die Kosten für “Retetionsflächen”, die Kupfer genannt hat, schon deutlich relativiert. Rund 7 Prozent wären das noch.Und dabei bleibt es nicht. Denn wer sich die Liste, die Frank Kupfer für Gisela Kallenbach zusammenstellen ließ, anschaut, sieht, dass die Herstellung von Rückhalteflächen tatsächlich nur wenig kostet: 101 Hektar Überschwemmungsfläche bei Eilenburg fallen mit 4,4 Millionen Euro sogar aus dem Rahmen. Die Deichentwidmung bei Sermuth (30 Hektar) schlägt mit null Euro zu Buche, eine kleine 10-Hektar-Fläche bei Flöha mit ebenfalls null Euro. Alle Projekte, die mittlerweile fertig sind. Der Freistaat hat nach der Juni-Flut 2013, als erst ganze 110 Hektar Überschwemmungsfläche geöffnet waren, ein bisschen Gas gegeben.
Dazu kommen noch rund 900 Hektar Polderfläche, die laut Umweltministerium schon offen sind. Rund 300 Hektar Überschwemmungsfläche hinter den Deichen soll auch schon “offen” sein. Aber die meisten Deichrückverlegungen sind noch immer in Planung. Selbst von dem zurechtgestutzten Ziel von 5.000 Hektar freigelegter Überschwemmungsfläche ist der Freistaat noch weit entfernt.
Und was macht das Thema dann so teuer?
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Es sind die von Frank Kupfer aufgelisteten Hochwasserrückhaltebecken (HRB), also eindeutig keine Überschwemmungsgebiete, sondern Hochwasserspeicher. Sie sind durchaus wichtig, gehören aber eindeutig in den Bereich technische Bauwerke (wie die Talsperren). Sie können zusammen 30 Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen. Zum Vergleich: Der Zwenkauer See nahm im Juni 2013 über 20 Millionen Kubikmeter Wasser auf.
Allein die vier fertiggestellten Hochwasserrückhaltebecken bei Glashütte, Lauenstein, Oberlungwitz und Rennersdorf kosteten den Freistaat zusammen 109,7 Millionen Euro. Die Summe muss man abziehen von den 114,9 Millionen Euro, die Kupfer dem “Hochwasserschutz mit Retentionsflächen” zuschrieb. Tatsächlich wurden bisher nur rund 5,2 Millionen Euro für die Herstellung von Retentionsflächen an den Flüssen ausgegeben. Nach Adam Ries also: Nicht einmal 0,5 Prozent der Gelder von den an Gewässern 1. Ordnung ausgegebenen 1,2 Milliarden Euro wurden für die Herstellung von Überschwemmungsflächen ausgegeben.
Wahrscheinlich fehlen da selbst Gisela Kallenbach die Worte. Sie hat das jedenfalls noch nicht öffentlich kommentiert.
Achja – der Zwischenstand ein Jahr nach der Flut: Von einstmals geplanten 7.500 Hektar wieder hergestellter Überflutungsfläche sind gerade einmal 141 Hektar hergestellt.
Die Antwort von Frank Kupfer an Gisela Kallenbach als PDF zum Download.
Die Antwort an Stefan Brangs als PDF zum Download.
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