Vielleicht sollte das Sächsische Innenministerium in der Presseabteilung auch noch einen Korrektor einstellen, der Stopp sagt, bevor falsche Meldungen rausgehen. Auch wenn erstmal nur der Titel falsch ist, den das Ministerium am Montag, 7. Juli, einer Meldung verpasste: "Crystalkonsum nimmt zu". Von Innenmister Markus Ulbig (CDU) gab's gleich noch einen knackigen Spruch dazu: "Großkampagne, um Teufelszeug zu entzaubern". Aber über Crystal-Konsum weiß man im Sächsischen Innenministerium tatsächlich nichts.
Kann es auch nicht wissen. Dazu müsste man unabhängige Studien auflegen. Aber wie Innenminister in Deutschland so sind: Sie verwechseln Polizeiarbeit mit einem realen Bild der Gesellschaft. Nichts anderes zeigen die Zahlen, die Markus Ulbig am Montag, 7. Juli, – nach jener seltsamen Innenministerrunde der Unions-Innenminister – veröffentlichen ließ: “Im Freistaat Sachsen sind die Rauschgiftdelikte in Bezug auf die Modedroge Crystal Meth weiter angestiegen. Straftaten im Zusammenhang mit Crystal haben sich in den letzten fünf Jahren fast verdreifacht von 1.721 Delikten im Jahr 2009 auf 4.948 Delikten im Jahr 2013. Diese ansteigende Linie setzt sich auch im laufenden Jahr deutlich fort.”
Auch diese Sätze stimmen so nicht. Die Zahl der tatsächlichen Straftaten kennt auch die Polizei nicht. Sie kennt nur die Zahlen der von ihr erfassten Delikte. Und da zitieren wir an dieser Stelle noch einmal einen Mann, der wissen muss, worum es geht: den Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz. “Wobei immer zu beachten ist”, sagte er vor einem Jahr bei der Vorstellung des Leipziger Suchtberichts, “dass diese Zahlen immer mit der Kontrolltätigkeit der Polizei eng verbunden sind.”
Das bezog sich damals auf die von der Leipziger Polizei registrierte Zahl von Crystal-Vorfällen. Innerhalb von zwei Jahren stieg die Anzahl von 141 auf 383 Fälle.
Und tatsächlich weiß Innenminister Markus Ulbig auch, dass die Fallzahlen steigen, wenn die sächsische Polizei systematischer gegen die Drogenszene vorgeht: “Die intensive Polizeiarbeit bringt viele Fälle ans Licht. Wir brauchen eine breit angelegte Informationskampagne, damit die Gefahren und Risiken bekannter werden.”
Das Innenministerium sieht es nicht wirklich anders, auch wenn man erst mal mit der Faust auf den Tisch haut: “Das Ansteigen der Fallzahlen ist einerseits Beleg für die zunehmende Verbreitung von Crystal. Anderseits ist die Zahl der bekannt gewordenen Fälle auf den steigenden Umfang der polizeilichen Maßnahmen zurückzuführen. Da Rauschgiftdelikte nur in Ausnahmefällen von Bürgern angezeigt werden, spiegeln die Fallzahlen vor allem die polizeiliche Kontrolltätigkeit wider.”Letzteres gilt. Nichts anderes. Wer sich die Statistik zu den in Sachsen erfassten Fällen von Rauschgiftdelikten anschaut, sieht ziemlich deutlich, dass mit der Amtseinführung von Markus Ulbig als neuer Innenminister in Sachsen die Zahl der ermittelten Rauschgiftdelikte drastisch zunahm. Nicht nur von Crystal, auch wenn Crystal, das schon vorher auf dem Markt war und auch in Polizeistatistiken auftauchte, seitdem verstärkt im Fokus der Ermittler steht. Nicht nur Leipzig hat in dieser Zeit mehrere Wellen von polizeilichen Kontrollaktionen erlebt. Aktionen, nach denen man dann stets verkündete, wieviele Sicherstellungen gelungen seien.
Das schlägt sich dann auch immer in der Statistik nieder. So stieg die Zahl der Sicherstellungen von Crystal von 96 Fällen im Jahr 2009 auf 1.621 Fälle im Jahr 2013. Ebenso die Menge der sichergestellten Droge, die von 2,05 kg im Jahr 2009 auf 14,96 kg anstieg. “Sprunghaft”, sagt das Innenministerium dazu.
Aber da man in Wirklichkeit kaum etwas über den tatsächlichen Konsum und die Entwicklung dieses Konsums weiß, sind die Zahlen eher nichtssagend. Haben die Crystal-Küchen ihren Ausstoß einfach erhöht und fluten den Markt jetzt, egal, ob ein paar Dealer geschnappt werden? Oder gab es die gleiche Menge Crystal auch früher schon auf dem “Markt”, nur jetzt wurde durch stärkere Kontrollen mehr sichergestellt? Hat die zerstörerische Droge andere Suchtmittel verdrängt und man hat es tatsächlich noch immer mit den selben Konsumenten zu tun? Ist die Zahl der Konsumenten gewachsen?
Das Leipziger Lagebild legt die Vermutung nahe, dass viele Süchtige gewechselt sind – von Heroin (wo die Fallzahlen deutlich gefallen sind) auf Crystal und / oder Cannabis (das auch längst nicht mehr so harmlos ist, wie oft gemutmaßt). Und das Lagebild zur “Beschaffungskriminalität” legt den Verdacht nahe, dass das direkte finanzielle Gründe hat, dass viele Süchtige vom teuren Heroin zum wesentlich billigeren Crystal gewechselt sind.
Konservative Innenminister und der Teufel Crystal: O, helft uns doch!
Was kommt dabei heraus …
Wie will Leipzig mit der Suchtproblematik umgehen? – Konzept der Sucht- und Drogenpolitik 2014 bis 2019 vorgelegt
In intensiver Diskussion …
Leipzigs Suchtbericht 2013 (1): Alkohol blieb auch 2012 die Droge Nr. 1
Leipzig hat ein Suchtproblem …
Leipzigs Suchtbericht 2013 (2): Cannabis und Crystal legen zu – Polizei und Stadt kooperieren enger
Die Beratungszahlen in den Leipziger …
Ein Vorgang, den man auf Ministerebene scheinbar nicht einmal registriert. Man spielt nur wieder starker Mann und will bekämpfen: “Die Bekämpfung des Handels und Schmuggels von Crystal ist ein zentrales Anliegen der sächsischen Staatsregierung, die im Mai durch einen ressortübergreifenden 10-Punkte-Plan untersetzt worden ist. Dieser stützt sich auf die Säulen ‘Prävention durch Information’, ‘Beratung und Behandlung’ sowie ‘Repression’. Die polizeiliche Bekämpfungskonzeption ‘Crystal’ zielt auf die Aufdeckung der Labore sowie Quellen und Verbringungswege von Ausgangsstoffen von Crystal, insbesondere in der Tschechischen Republik, und die Ausrichtung des Kontroll- und Verfolgungsdruckes auf Handel und Schmuggel.”
Und dann? Wird dann die nächste Ausweichbewegung bei den Konsumenten ausgelöst? Oder werden einfach die Crystal-Labore weiter ziehen? Nach Rumänien oder in die Ukraine? Womit man dann noch mehr Polizeikräfte bindet, um eine Krake zu bekämpfen, die ihren Antrieb aus der existierenden Konsumentenszene in Deutschland bezieht. Aber mit deren Konsumverhalten beschäftigt sich die Polizei immer nur indirekt. Lösen kann sie das Suchtproblem sowieso nicht. Das braucht andere Angebote.
In der vergangenen Woche, so betont das Innenministerium noch einmal, haben sich Innenminister Markus Ulbig und der Innenminister der Tschechischen Republik, Milan Chovanec, bei einem Treffen darauf verständigt, mit länderübergreifenden gemeinsamen Ermittlungsgruppen den Verfolgungsdruck gegen die Crystal-Szenerie zu erhöhen. Dazu soll am 17. Juli eine Vereinbarung unterzeichnet werden. Für gläubige Stammwähler, die meinen, Verfolgungsdruck wäre die richtige Lösung, ist das dann wohl die stimmige Meldung. Ändern wird es wenig bis nichts. Außer dass ein paar Crystal-Küchen (die ja nicht viel technischen Aufwand brauchen) in nächster Zeit umziehen. Ein paar Kilometer raus aus dem Gefahrengebiet. Dann ist wieder Zeit für den nächsten Appell der Unions-Innenminister an die Bundesregierung: So helft uns doch!
Die Zahlen zu den Crystal-Delikten als PDF zum Download.
Der Suchtbericht der Stadt Leipzig 2013 als PDF zum Download.
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