Am 31. August sind Landtagswahlen in Sachsen. Und eine Partei will unbedingt zurück in die Regierung: die SPD. Am Samstag, 14. Juni, hielt die Sachsen-SPD ihren Landesparteitag in Leipzig auf der Alten Messe ab. Und Parteichef Martin Dulig verkündete: "Ja, ich will, dass wir regieren!" - Aber hat die SPD eine Chance? Sagen nicht die üblichen Meinungsumfragen etwas anderes?

Tatsächlich gibt es nicht genügend belastbare Meinungsumfragen zum Thema. Die Landesregierung hat bis jetzt auf die eigene Veröffentlichung einer solchen Befragung im Frühjahr 2014 verzichtet. Ansonsten gibt es drei zumindest seriöse und zwei völlig untaugliche. Die LVZ wollte in diesem Jahr unbedingt beweisen, dass auch eine Minimalbefragung von 800 Sachsen irgendwie ein Ergebnis ergibt. Doch die Befragung, die die von ihr beauftragte uniQma im Juni durchführte, weicht genauso auffällig von den Ergebnissen der renommierten Institute ab wie die uniQma-Befragung vom Januar, die der CDU gar schon eine Art absolute Mehrheit von 49 Prozent verhieß.

Aber bei dieser Befragungsgröße ist die Fehlerquote schlichtweg zu groß. Seriöse Institute setzen 1.000 Befrage als Mindestgröße an. Erst dann bekommt man tatsächlich so etwas wie einen aussagefähigen Querschnitt durch die wahlberechtigte Bevölkerung. Solche Umfragen haben in diesem Frühjahr die Sächsische Zeitung, die FDP-Fraktion und der MDR vorgelegt. Sie sehen die CDU bei 43 bis 45 Prozent, die SPD bei 15 bis 16 Prozent, die Linke bei 17 bis 22 Prozent. Die Grünen liegen überall stabil bei 6 Prozent. Die FDP wird bei 2 bis 4 Prozent gehandelt. Die AfD taucht mit 6 bis 7 Prozent in den Befragungen auf.

Was natürlich den Vorsitzenden der SPD, Martin Dulig, zu der berechtigten Frage animiert: Wie hält es denn die CDU mit der AfD? Er forderte am Samstag eine klare Antwort von seinem Herausforderer Stanislaw Tillich zur Koalitionsfrage mit der AfD – das übliche Wischi-Waschi des amtierenden Ministerpräsidenten reiche ihm nicht. Tillich stehe am Scheideweg.

“Wir Sozialdemokraten haben uns entschieden – mit einer rechtskonservativen und nationalistischen Partei, die am rechten Rand fischt, koaliert die SPD nicht”, sagte er. Mehr sei dazu nicht zu sagen. Die Sozialdemokraten aber müssen gerade im Wahlkampf deutlich machen, “was die AfD in Sachsen für ein Verein ist. Und wenn Frau Petry sagt, ihr laufe es ‘kalt den Rücken herunter’, wenn Kinder ‘Happy Birthday’ statt ‘Zum Geburtstag viel Glück’ singen, dann sage ich, mir läuft es kalt den Rücken herunter, dass viele Kinder in Sachsen in Armut aufwachsen oder Eltern von ihrem Lohn nicht leben können!”

Denn hinter der von Dulig gestellten Frage steht ja die andere Frage wie in Stein gemeißelt: Wie halten es die Sozialdemokraten mit der CDU?

Denn eigentlich schließt die Kritik, die Dulig an den Zuständen in Sachsen übte, eine Koalition mit der CDU aus.

“Die Frage ‘Wie viel sind uns unsere Kinder wert?’ ist für mich eine Schlüsselfrage dieses Wahlkampfes”, sagte er. “Und meine Antwort lautet: Wir müssen Geld für Schulen und nicht für Banken ausgeben, damit Sachsen eine gute Zukunft hat. Wer 2,75 Milliarden für die Rettung einer Landesbank im Haushalt hat, der hat auch Geld für Lehrerinnen und Lehrer sowie mehr Personal in den Kindergärten.” Derzeit aber werde in Sachsen die Zukunft der Bildung aufs Spiel gesetzt, weil der Finanzminister die Politik bestimme.

Nur so als Zwischenbemerkung: Wenn sich die SPD selbst ernst nimmt, müsste ihre zentrale Forderung eigentlich lauten: Dieser Finanzminister muss ausgewechselt werden.

Zwar kann Finanzminister Georg Unland (CDU) nur so handeln, weil der eigentlich verantwortliche Ministerpräsident seine Richtlinienkompetenz völlig an das Finanzministerium abgegeben hat. Aber die Folgen sind jetzt schon dramatisch. Lehrer, Schüler und Eltern spüren es in den Schulen am eigenen Leib. Hier wird ein funktionierendes System kaputtgekürzt.

In seiner Rede wurde Dulig tatsächlich richtig bissig: “Was soll auch anderes dabei herauskommen, frage ich Euch, liebe Genossinnen und Genossen? Wenn die Schulpolitik in diesem Land seit Jahren nicht vom Kultusministerium bestimmt wird. Sondern vom Finanzministerium. Wo zwar ein Professor sitzt – aber ein ‘Professor Dagobert’, der nur an seine Geldsäcke denkt – und nicht an überfüllte Klassenzimmer sowie fehlende oder überlastete Lehrerinnen und Lehrer. Und wenn schon in unserem Land der Finanzminister der eigentliche Dienstherr über die Lehrer ist, und wenn Professor Unland seine Taler wichtiger sind als unsere Schulen, wäre es da nicht konsequent, dass er auch gleich die Stelle der Kultusministerin wegrationalisiert? Und das ganze Ministerium gleich mit?”Stattdessen müsse aufgebaut werden, fordert Dulig. Die SPD setze sich dafür ein, dass in den nächsten fünf Jahren jeweils 500 neue Lehrerstellen geschaffen werden – zusätzlich zu den Neueinstellungen für jeden Lehrer, der in den Ruhestand geht -, “um zum einen die große Altersbugwelle abzufangen und zum anderen wieder in Qualität von Schule zu investieren”, so Dulig. “Und ich will, dass Eltern nicht immer mehr für längere Schulwege zahlen müssen, die ihnen die Regierung durch Schulschließungen verordnet hat. Was wir brauchen ist ein Bildungsticket für jeden Schüler, jede Schülerin.” Notwendig sei auch ein neuer, lebensnaher Betreuungsschlüssel in den Kitas.

Und nicht nur bei Schulen wird in Sachsen visionslos gekürzt. Die Mauerpolitik der regierenden CDU hat auch dazu geführt, dass die Entwicklungen zwischen Großstädten und ländlichen Räumen immer mehr auseinander driften.

“Wie schaffen wir es, den Riss, der sich scheinbar unaufhaltsam durch unsere Gesellschaft zieht, wieder zu schließen?”, fragte Dulig und nannte das Ausspielen städtischer gegen ländliche Regionen bei der regionalen Entwicklung, drohende westdeutsche Verhältnisse bei der Mietpreisentwicklung in Großstädten, die ungelösten Probleme in der Pflege und das schwindende Sicherheitsgefühl der Sachsen.

“Der schwarz-gelben Regierung mangelt es an Respekt vor unserer Polizei und unseren Rettungsdiensten, die Stück für Stück zu Grunde reformiert werden. Auch damit bedroht man Zukunft. Wir aber wollen, dass sich alle Menschen sicher, geborgen und zu Hause fühlen, unabhängig von Hautfarbe, Flucht- oder Asylstatus, Herkunft oder sexueller Orientierung.”

Duligs Rede ist eine erstaunlich komplette Analyse dessen, was da in Sachsen mindestens in den letzten fünf Jahren schief gegangen ist. Er staunt auch, dass selbst die CDU-Koalition mittlerweile begriffen hat, dass eine Wirtschaftspolitik seit 2009 praktisch nicht mehr stattgefunden hat. Er benennt die Gründe für die dramatisch gestiegene Abwanderung aus den Landkreisen. Und er lässt auch die drohenden Konflikte in den Großstädten nicht aus – Segregation, Mietpreissteigerungen auf Westniveau.

Es ist, als hätte Dulig von der sächsischen CDU-Politik wirklich gestrichen die Nase voll. Gerade weil hinter der feudalen Selbstgefälligkeit mittlerweile allerenden die Verachtung für all die zu spüren ist, die sich diese Art Politik gefallen lassen müssen. Dulig: “Mangelnder Respekt kommt nicht über Nacht. Er schleicht sich peu a peu in die Köpfe und Herzen. Besonders, wenn jemand so selbstverliebt und selbstzufrieden ist, dass man glaubt: Mir kann doch eh keiner! Und genau das sind Herr Tillich und seine Regierung geworden. Selbstzufrieden und selbstverliebt. Und dann ist der Schritt zur Selbstherrlichkeit nicht mehr weit.”

Und er sprach – gleich nach seiner heftigen Kritik an den Positionen der AfD – etwas an, worüber in Sachsen tatsächlich seit Jahren lieber nicht geredet wurde: die politische Kultur, die eigentlich keine mehr ist. Das hat eine Menge auch mit der Bundespolitik und mit dem Aufkommen der so genannten europakritischen Parteien zu tun: Wenn über die wesentlichen Grundlagen einer Gesellschaft nicht mehr öffentlich diskutiert wird, weil die Entscheidungen in Hinterzimmern fallen, dann ist etwas faul im Staate.

“Ich wünsche mir eine andere politische Kultur in diesem Land”, sagte Dulig. “Ich möchte Streit um die beste Lösungen – keine Grabesstille. Denn in einer Kultur des Schweigens und des sich Wegduckens gibt es keine Innovation, keinen kreativen Aufbruchsgeist.

Ich möchte keine Schulleiter mehr, die mir sagen: Herr Dulig, wir würden Sie wirklich gerne wieder treffen. Aber nach Ihrem letzten Besuch kam gleich ein Anruf, in dem ich gewarnt worden bin, Sie nochmal zu treffen.

Ich möchte keine Polizisten mehr, die schweigen, weil sie Angst haben, bei Kritik Schwierigkeiten im Job zu bekommen.

Wem das bekannt vorkommt, dem kann ich nur sagen: Ja, das ist so. Leider.”

Wer mehr wissen will: www.spd-sachsen.de/landesparteitag-2014

Die Dulig-Rede in Gänze: www.spd-sachsen.de/sites/default/files/u24/140614_Rede_MD_LE_0.pdf

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