Die Kriminalitätsstatistik für Sachsen, die überall steigende Fallzahlen auswies, hat Innenminister Markus Ulbig (CDU) noch nonchalant schöngeredet. Aber das hörten einige Leute im Freistaat schon mit rechtem Grimm in der Seele. Zum Beispiel die Polizisten. Gleich am 19. März forderte der Vorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP): "Stellenabbau jetzt stoppen!"

Das verhallte so ungehört in der Landschaft wie die Forderungen der Opposition im Landtag, den staatlich verordneten Abbau-Klamauk sofort zu beenden. Offiziell ist die so genannte “Polizeireform 2020” am 1. Januar 2013 in Kraft getreten. Landesweit ist den Polizeidirektionen eine radikale Schrumpfkur verordnet, anfangs noch untersetzt mit der selben Begründung, mit der in Schulen und Hochschulen Personalstellen rasiert wurden. Aber diese Begründung stimmt nicht mehr. Sachsen schrumpft schon lange nicht mehr in den Dimensionen, wie es noch 2000 oder 2005 der Fall war. 2013 wird der Bevölkerungsverlust gerade einmal noch 4.000 Personen betragen – gerade einmal 0,1 Prozent der Bevölkerung.

Nicht nur die gestiegenen Zahlen insbesondere bei Diebstahlsdelikten 2013 zeigten, dass die Polizeipräsenz in Sachsen schon in der Fläche nicht mehr gewährleistet werden kann. Die Einsatzzeiten haben sich schon in den Vorjahren dramatisch verlängert. Und mit dem neuen Standortenetz wird sich die Situation in vielen Regionen noch verschärft haben. Vermutet zumindest Eva Jähnigen, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Belegen kann sie es diesmal nicht, denn der Minister verweigert – anders als in den Vorjahren – die konkrete Antwort.

“Innenminister Markus Ulbig (CDU) gibt keine Auskunft mehr darüber, inwieweit die sächsische Polizei an einzelnen Polizeistandorten personell und zeitlich präsent ist”, fasst Jähnigen die ausweichenden Antworten des Innenministeriums auf mehrere Kleine Anfragen zusammen.

“Versucht der Innenminister den massiven Abbau der Polizeipräsenz in Sachsen zu verschleiern?”, fragt sie. “Seit dem Jahr 2010 gibt mir der Innenminister auf Kleine Anfrage darüber Auskunft, welche Polizeistandorte mit wie vielen Beamten zu welcher Zeit besetzt sind. Im Jahr nach der Umsetzung seiner Polizeireform ‘Polizei.Sachsen.2020’ bekomme ich plötzlich nur noch Auskunft über die Stellenausstattung der Polizeireviere. Die personelle Ausstattung der nachgeordneten Polizeistandorte wird mir ebenso wenig mitgeteilt, wie die Präsenzzeiten der Polizei an den einzelnen Standorten. Damit missachtet er meine verfassungsrechtlich verbrieften Auskunftsrechte als Abgeordnete.”Das war einer der heiklen Punkte an der Reform: Wie will die Polizei überhaupt noch Präsenz in der Fläche zeigen und genügend Personal in Bereitschaft haben, wenn ganze Standorte aufgelöst, selbst kleine Städte von jedem Polizeiposten entblößt und andere Dienststellen nur zeitweise – vorzugsweise tagsüber – besetzt sind? Von wo sollen dann die Einsatzkräfte kommen, wenn der Bürger den Notruf betätigt?

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wurde im März sehr deutlich, was die eh schon dünne Personaldecke betrifft: “Eins wurde nun endgültig bewiesen: der Stellenabbau hat extreme Auswirkungen auf die Sicherheit und die Kriminalität im Freistaat Sachsen. Mehr und mehr wird die Bevölkerung mit der Kriminalität alleine gelassen und die weniger werdenden Polizeibeschäftigten rennen den Straftätern sprichwörtlich nur hinterher.”

Ein Interview der CDU-Fraktion mit dem Sächsischen Polizeipräsidenten Rainer Kann kommentiert die GdP auf ihre Weise: “Auf die Frage von Sachsen:Brief: ‘Muss man Angst haben, irgendwann eine Dreiviertelstunde auf einen Polizeiwagen warten zu müssen?’, antwortet Landespolizeipräsident Kann: ‘Nein. Mit der Polizeireform 2020 hat sich die Zahl der Streifenwagen überhaupt nicht verändert. Die Zahl ist gleich geblieben.’ – Es muss also niemand länger als eine Dreiviertelstunde auf Hilfe durch die Polizei warten. Rettungsdienst und Feuerwehr schaffen das in durchschnittlich 12 Minuten, laut vorgeschriebener Hilfsfrist in Sachsen. Als Gewerkschaft der Polizei unterstützen wir die Forderung nach einer Hilfsfrist für die Polizei von durchschnittlich 12 Minuten analog der Feuerwehr und Rettungsdienste.”

Was, wie die Gewerkschaft deutlich benennt, genug Polizisten braucht. Die Kriminalstatistik von 2013 aber zeigt, dass es jetzt schon mangelt.

“Wer, wie der Innenminister, eine Zielstellung vorgelegt hat, wie viele Polizeibeamte im Jahr 2025 in welchem Revier arbeiten, darf doch die reale Entwicklung aus dem Blick verlieren”, sagt Eva Jähnigen zu dieser Nebelpolitik, die in den Verkündungen des Innenministers klarer erscheint als sie wirklich ist. “Der Innenminister hat bislang gebetsmühlenartig betont, mit der Polizeireform falle kein Polizeistandort weg. Den Beweis bleibt Herr Ulbig schuldig. Wenn Polizeireviere nur noch zum Umziehen oder für Kaffeepausen genutzt werden, haben sie ihre Funktion für die Bürgerschaft verloren. Für die sächsischen Bürgerinnen und Bürger ist es aber wichtig zu wissen, dass die Polizei vor Ort erreichbar ist. Das ist sie jedoch schon lange nicht mehr.”

Jähnigen verweist beispielhaft auf die Besetzung des ehemaligen Polizeireviers Coswig-Radebeul. Dieses wurde nach der Polizeireform im Jahr 2013 in das Polizeirevier Meißen eingegliedert. Bis 2012 war es mit zuletzt 113 Polizeibediensteten rund um die Uhr besetzt. In der Liste der Polizeistandorte 2013 (Drs. 5/12361) taucht dieser Polizeistandort nun nicht mehr auf. Wie viele Polizeibedienstete dort noch arbeiten, wird ebenso wenig mitgeteilt, wie die Präsenz- bzw. Öffnungszeiten. Ganz ähnlich sieht es am ehemaligen Polizeiposten Heidenau aus. Arbeiteten dort 2009 noch zehn Bedienstete, waren es 2012 nur noch fünf. “Wie viele Polizeibeamte seit der Umsetzung der Polizeireform dort arbeiten, wird verschwiegen”, kritisiert die Abgeordnete.

Die Abgeordnete Eva Jähnigen erfragt seit 2010 jährlich die Soll-/Ist-Besetzung aller Polizeistandorte (Polizeidirektionen, Polizeireviere und Polizeiposten) mit Polizeibediensteten im Vergleich zum Vorjahr. Zudem wollte sie wissen, welche Präsenzzeiten in den jeweiligen Basisdienststellen durch jeweils wie viele Polizeibedienstete und/oder Bürgerpolizisten aktuell und im Vergleich zum Vorjahr gesichert sind. Diese Fragen wurden ihr bis 2012 konkret beantwortet, im Jahr 2013 gab es lediglich Auskunft über die personelle Besetzung der Polizeireviere. Zu den Präsenzzeiten wurde sie auf den Internetauftritt des jeweiligen Standortes verwiesen. Dass dieser nicht in jedem Falle Auskunft gibt, zeigen die Angaben zum Polizeirevier Meißen. Auf der Homepage www.polizei.sachsen.de/de/10824.htm werden zu den Präsenz- oder Öffnungszeiten keine Angaben gemacht.

Jähnigens Fazit zum vielsagenden Schweigen des Ministers: “Nichts ist bedrohlicher als das Gefühl, dass die Polizei nicht mehr vor Ort ist. Herr Innenminister, hier müssen Sie dringend gegensteuern. Als erstes gehören die Karten offen auf den Tisch.”

Entwicklung Polizeistandorte Coswig-Radebeul und Heidenau: www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/ua/Entwicklung_Standorte_CoswigRadebeul_und_Heidenau.pdf

Kleine Anfrage zu Polizeidienststellen 2013 (Drs. 5/12361): http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=12361&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=-1

Kleine Anfrage zu Öffnungs-/Präsenzzeiten – Nachfrage zu Drs. 5/12361 (Drs. 5/12621): http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=12621&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=-1

Erneute Nachfrage zu Besetzung einzelner Standorte (Drs. 5/13900): http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=13900&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=202

Die Kleinen Anfragen zu Polizeidienststellen 2010 (Drs. 5/2223), 2011 (Drs. 5/6393) und 2012 (Drs. 5/9337).

Feinkonzept “Polizei.Sachsen.2020” mit einer Liste der Polizeistandorte und Anzahl der dort dienenden Polizeibediensteten im Jahr 2025 in Anlage 2: www.polizei2020.sachsen.de/download/Polizei2020/110922_Endfassung_Feinkonzept_Druckversion.pdf

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert ein Polizeikonzept, das sich an angemessenen Interventionszeiten orientiert: www.gruene-fraktion-sachsen.de/themen/polizei/

Das Interview der CDU-Fraktion mit Rainer Kann: www.cdu-fraktion-sachsen.de/mediathek/interviews/rainer-kann.html

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