Die Forderungsliste, die der Deutsche Gewerkschafts Bund (DGB) Sachsen jetzt für die sächsische Landtagswahl am 31. August aufgestellt hat, liest sich auf den ersten Blick ganz brav: "Förderung von Bildung und Wissenschaft" steht drin, "Moderner öffentlicher Dienst für Sachsen", "Fachkräfte für Sachsen". Das könnte so auch im CDU-Wahlprogramm stehen. Und manches Gerücht sagt ja, dass es das auch tun wird. Aber die Kritik gab's von der DGB-Chefin extra.
Denn alle Zahlen zur Entwicklung der sächsischen Wirtschaft und der Einkommen in den letzten fünf Jahren zeigen, dass von einer aktiven Wirtschaftspolitik oder gar einem klugen Ausgleich zwischen Unternehmern bzw. deren Verbänden und den Beschäftigten keine Rede sein kann. Von einer Vision für den Wirtschaftsraum Sachsen oder gar Mitteldeutschland ganz zu schweigen.
“Bei vielen wichtigen Zukunftsaufgaben spüren wir von der Staatsregierung ein Durchwurschteln”, erklärte die sächsische DGB-Vorsitzende Iris Kloppich am Mittwoch bei der Vorstellung der Prüfsteine. “Ob es die rasante technologische Entwicklung durch die Informationstechnik ist oder der demografische Wandel, die Fachkräfteentwicklung oder die Förderung von Bildung und Wissenschaft – überall werden wir in den kommenden Jahren tiefgreifende Veränderungen erleben. Es kommt darauf an, diese Veränderungen zu erkennen, professionell zu gestalten und zum Wohle der Menschen zu begleiten.”
Von der demografische Entwicklung hat auch der Amtsvorgänger von Stanislaw Tillich, Georg Milbradt, gern geredet. Aber beide Ministerpräsidenten haben es nicht fertig gebracht, auch nur ein simples Handlungskonzept für die anstehenden Veränderungen vorzulegen. Das einzige, was Tillich beigetragen hat, war seine Verkündung des radikalen Abbaus von Landespersonal von 86.000 auf 70.000 – ohne das er auch nur hinterfragte, welche Personalstellen da gestrichen werden sollten. Mittlerweile laufen Lehrer, Studierende, Polizisten Sturm, weil die ganzen Einzelreformen dazu führen, wichtige benötigte Strukturen zu zerschlagen.
Selbst Holger Zastrow, Vorsitzender der Fraktion der FDP im sächsischen Landtag, preschte am Mittwoch vor und kritisierte die von CDU und FDP beschlossene “Polizeireform 2020”, die nichts anderes ist, als ein flächendeckender Personalabbau. “Wir müssen uns in der Polizeiarbeit endlich wieder um das Wesentliche kümmern: den Schutz der Bürger vor Kriminellen”, sagte er am Mittwoch eine Selbstverständlichkeit, die in fünf Jahren Regierungshandeln einfach nicht mehr sichtbar war. Es ging zwar nur um den neuen Signalton für Sachsens Polizeiautos. Aber für Zastrow war das mal wieder typisch für sächsische So-tun-als-ob-Politik: “Placebo-Aktionen wie Fensterförderung oder amerikanisches Sirenen-Jaulen lösen keine Probleme. Wir müssen uns dem ‘Trocken Brot’ der Alltagsarbeit stellen, auch wenn plakative Symbole im Wahlkampf noch so verlockend erscheinen. Wir verspielen sonst die Sicherheit unseres Landes. Deshalb sollten wir den Klamauk beenden, die Polizeireform selbstkritisch hinterfragen, uns um eine stärkere Polizeipräsenz vor Ort und leistungsfähige Personalstrukturen zur Kriminalitätsbekämpfung kümmern.”
Ein starkes Wort für einen Koalitionspartner, der den “Klamauk” fünf Jahre lang mitgemacht hat.Dass der “Klamauk” mit der Unfähigkeit zu tun hat, tatsächlich strategisch in die Zukunft zu denken, das benannte Iris Kloppich am Mittwoch: “Die Staatsregierung wartet jedoch ab. Strategische und nachhaltige Entscheidungen sowie die Einbindung von Netzwerkpartnern werden nicht getroffen. Ein ‘Weiter so’ bedeutet deshalb ein Ausruhen auf dem Erreichten. Damit darf sich die sächsische Politik nicht abfinden. Die Landtagswahl 2014 in Sachsen ist deshalb eine wichtige Entscheidung, wie Zukunftsaufgaben im Freistaat angepackt werden.”
Die DGB-Chefin sagte auch, dass der DGB keine Wahlempfehlung abgibt. “Wenn alle Wahlprogramme der Parteien vorliegen, werden wir diese mit unseren Anforderungen vergleichen. Dann können sich die 280.000 Gewerkschaftsmitglieder und alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Bild machen und ihre eigene Entscheidung treffen. Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien lehnen wir jedoch konsequent ab”, sagte Kloppich.
Und dann gab’s vom DGB doch noch ein paar öffentliche Ohrfeigen. Diesmal für Sachsens Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP), der fünf Jahre lang gut versteckt hat, das in der Abkürzung SMWA auch das A für “Arbeit” mit drin steckt.
Ein Arbeitsminister war er nicht, stellt Sachsens DGB-Vize Markus Schlimbach fest. Auch nicht für die Bediensteten des Freistaates. “Erst der mehrmalige Streik der GEW führte dazu, dass ernsthaft über die demografische Entwicklung im Lehrerbereich gesprochen wurde”, sagte Schlimbach am Mittwoch. “Eine Situation aber, die den gesamten öffentlichen Dienst in Sachsen betrifft. Abwarten und Durchwurschteln auch hier. Die Überalterung des öffentlichen Dienstes ist durch ein chaotisches Stellenabbaukonzept immer offensichtlicher. Ein moderner öffentlicher Dienst braucht Einstellungskorridore, seriöse Personalplanung und Demografie-Tarifverträge mit den Gewerkschaften. Hier erbt eine künftige Staatsregierung ein riesiges, ungelöstes Aufgabengebiet.”
Sachsens Stellenabbau bis 2020: Radikalkur ohne Plan
Alles begann damit …
Polizeiabbau in Sachsen: Will der Innenminister die Folgen der “Polizeireform” verschleiern?
Die Kriminalitätsstatistik für Sachsen …
Vor dem Hintergrund der aktuellen Stellenkürzungen …
“Ein Minister, der die Sozialpartnerschaft nicht verstanden hat, kann auch nicht gut sein für die Zukunft Sachsens”, kommentiert Stefan Brangs, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, die DGB-Kritik an FDP-Wirtschaftsminister Morlok. Es reiche nicht aus, sich regelmäßig mit den Arbeitgeberverbänden und der Vereinigung der sächsischen Wirtschaft (VSW) zu treffen, um sich über neue marktradikale Thesen auszutauschen. “Soziale Marktwirtschaft war auch in Krisenzeiten deshalb so erfolgreich, weil sie die Interessen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer berücksichtigt. Ein Minister, der den Dialog mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund über vier Jahre verweigert, hat sich selbst disqualifiziert.”
Dass auch Tillichs 70.000-Personalstellen-Ziel durch keine seriöse Personalplanung untermauert ist, hat ja in der vergangenen Woche erst der Sächsische Rechnungshof vorgerechnet. Es ist schon deshalb nicht erreichbar, weil allein 10.000 Stellen im Schulbereich abgebaut werden sollen – ein Unding. Schon jetzt haben Sachsens Schulen wegen Personalmangel um die 3 bis 5 Prozent Stundenausfall zu verkraften. Es gibt gar kein Einsparpotenzial bei Lehrerinnen und Lehrern. Und ganz ähnliche Kritik gibt es mittlerweile auch von der Polizeigewerkschaft zu den immer öfter fehlenden Polizisten. Und über die blindwütigen Kürzungen an den Hochschulen wurde ja mittlerweile genug geschrieben.
Wie man hört, scheint auch in der CDU so langsam wieder ein bisschen Realismus einzukehren. Man kann gespannt sein, was in ihrem Wahlprogramm, das Anfang Mai veröffentlicht werden soll, zur Personalpolitik des Freistaats steht.
Die Anforderungen des DGB Sachsen sind in 9 Schwerpunkte aufgeteilt:
– Vom Niedriglohnland Sachsen zum Land der gut bezahlten Arbeit
– Neue Ordnung der Arbeit in Sachsen
– Industrie und Dienstleistungen nachhaltig gestalten
– Förderung von Bildung und Wissenschaft
– Moderner öffentlicher Dienst für Sachsen
– Fachkräfte für Sachsen
– Handlungsfähiger Staat
– Sachsen und seine Nachbarn Polen und Tschechien
– Demokratisches Engagement stärken
Mit zahlreichen Veranstaltungen und Wahlforen will der DGB Sachsen – beginnend ab 1. Mai – die Wahlauseinandersetzungen in Sachsen begleiten.
Keine Kommentare bisher