Nichts lieben Politiker mehr als Spatenstiche, Baggerbisse, Banddurchschnitte. Da sonnen sie sich im Blitzlichtgewitter und das gläubige Volk fühlt sich beschenkt. Deswegen forcieren Regierungen so gern Baustellen aller Art. Am liebsten Straßenbauprojekte. Auch wenn sie - wie nun eine Grünen-Anfrage ergab - in der Regel viel zu groß geplant werden. Und damit Steuermittel binden, die für den Bestandserhalt fehlen.
Die Prognosen für die sächsischen Straßenbauprojekte sind im Durchschnitt 33 Prozent zu hoch. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Mittwoch, 16. April, vorgestellte Studie von Prof. Udo Becker (TU Dresden) im Auftrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag.
Becker, Inhaber des Lehrstuhls für Verkehrsökologie an der TU Dresden, hatte bei 210 abgeschlossenen Straßenbauprojekten in Sachsen die Prognosezahlen mit der tatsächlichen Belegung verglichen.
In die Untersuchung flossen 68 Straßenabschnitte auf 4 Bundesautobahnen (2 davon Neubauten), 39 Abschnitte auf 24 Bundesstraßen (mehr als 80 Prozent Neubauten), 39 Abschnitte auf 34 Staatsstraßen (mehr als 80 Prozent Neubauten) und 64 innerstädtische Straßen ein.
Insgesamt übersteigen die Prognosewerte für Bundesautobahnen die real eingetretenen Belegungen im Mittel um 29 Prozent, bei Bundesstraßen sind es 42 Prozent, bei Staatsstraßen 40 Prozent und bei den Stadtstraßenabschnitten 28 Prozent. Im Mittel waren dabei die Prognosewerte aller betrachteten Straßen in Sachsen um 33 Prozent zu hoch.
Becker sprach von einer “systematischen Verzerrung”. Er warnte davor, die Fehler bei den jeweiligen Sachbearbeitern zu suchen. “Offenbar sind die Vorgaben falsch. Die Annahmen für die Prognosen müssen dringend überprüft werden. Jede Firma geht pleite, wenn sie ihre Planzahlen nicht ständig mit den realen Zahlen vergleicht. Die dazu notwendigen Daten liegen bei den Ämtern und Ministerien vor, sie könnten ohne Zusatzaufwand ausgewertet werden. Wenn die Prognosen so eindeutig abweichen, muss man deutlich sagen: Hier wird Geld vergeudet!”
Eva Jähnigen, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, nannte die Abweichungen “politisch nicht hinnehmbar”. “Mit öffentlichen Mitteln darf nicht so fahrlässig umgegangen werden. Zumal das, was heute zu groß gebaut wurde, in der Zukunft zu teuer saniert werden muss. Hier erwarte ich auch Druck von Finanzminister Prof. Georg Unland (CDU) auf das Wirtschaftsministerium. “Ich fordere Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) auf, Prognosedaten und die tatsächlichen Verkehrsbelegungswerte bei sächsischen Straßenbaumaßnahmen nach dem Bauabschluss zusammenzuführen und öffentlich einsehbar zu machen. Die derzeitigen Verkehrsprognosen aus den neunziger Jahren müssen dringend überarbeitet werden.”
“Schwerpunkt der Investitionen im Straßenbau muss der Erhalt des Bestandsnetzes werden”, forderte die Abgeordnete. “Aus- und Neubau von Straßen sollen Ausnahmen bleiben und sich auf hoch belastete Ortsumfahrungen, bei denen keine Alternativen umsetzbar sind, beschränken. Nötig ist ein Straßen- und Brückensanierungsprogramm, bei dem die sächsischen Haushaltsmittel in transparenter Weise anhand des tatsächlichen Bauzustandes verteilt werden.”
“Die Staatsregierung muss mit dem Ritual der Überfrachtung des Bundesverkehrswegeplans Schluss machen. Die vorhandenen Projektlisten müssen entschlackt und auf ihren sinnvollen und finanzpolitisch machbaren Kern reduziert werden. Für die baureifen sächsischen Straßenbauprojekte muss eine Umsetzungsreihenfolge vorgelegt werden”, fordert Jähnigen. “Frei werdende Mittel müssen für die gezielte Stärkung des Umweltverbundes mit Rad-, Fuß- und öffentlichem Verkehr eingesetzt werden.”
TUD-Bericht Verkehrsprognose: www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/ua/Verkehrsprognose_TU-DD_2014_04_14_neu.pdf
Hintergrund-Papier der Grünen-Fraktion ‘Straßenbauprojekte in Sachsen’: www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Positionspapiere/HP_Strassenbauprojekte-final_2014-04-16.pdf
Die Verkehrswebseite der Grünen-Fraktion: www.mobiles-sachsen.de
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