Sachsens Justiz zeigt sich bemerkenswert stur, wenn es um die Verfolgung friedlicher Demonstranten aus dem Demonstrationsgeschehen vom 19. Februar 2011 geht. Das trifft auf den Prozess gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lother König genauso zu wie auf die Prozesse gegen die Landtagsabgeordneten, die sich im Februar 2011 den Nazi-Demonstrationen entgegenstellten. Am 7. April erst hat das Amtsgericht Dresden den Grünen-Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi wegen seiner Platzbesetzung zu zehn Tagessätzen verurteilt. Jetzt wird der Linke-Abgeordnete Falk Neubert vor den Kadi zitiert.

Zur Erinnerung: Am 19. Februar 2011 demonstrierten zehntausende Menschen in Dresden gegen den Missbrauch des Gedenkens durch die Nazis. Friedlich. Auch Lichdi und Neubert konnte – genauso wenig wie Lothar König – irgendeine Art der Gewalttätigkeit vorgeworfen werden. Genauso wenig übrigens wie den meisten anderen der 465 Menschen, gegen die die Dresdner Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren einleitete. 296 Verfahren hat die Staatsanwaltschaft mittlerweile eingestellt. Auch Lichdi hatte sie angeboten, das Verfahren “gegen Zahlung einer Geldauflage und Übernahme der Verfahrenskosten” einzustellen. Nicht nur Lichdi sah das als den Versuch eines Kuhhandels, bei dem die Dresdner Justiz ihr Gesicht wahren wollte.

Eine Reihe von Politikern, die am 19. Februar in Dresden vor Ort war und schon allein wegen ihrer Bekanntheit von der Staatsanwaltschaft zitiert wurden, haben das Angebot angenommen. Andere wie Lichdi, Neubert und der damalige Fraktionsvorsitzende der Linken, André Hahn, wollten sich diese Art Verzerrung der Tatsachen nicht gefallen lasen. Zu offenkundig war, dass die polizeiliche Betreuung des Demonstrationsgeschehens damals völlig aus dem Ruder lief. Der damalige Dresdner Polizeipräsident musste zwar anschließend gehen – aber ein Eingeständnis von Polizei und Staatsanwaltschaft, dass sie bei diesem Thema völlig übers Ziel hinaus geschossen sind, wollte wohl keiner der Verantwortlichen geben. Lieber setzte man die wilden Ermittlungen fort.

Auch gegen Falk Neubert, Landtagsabgeordneter der Linken im Sächsischen Landtag, wurde ein Verfahren wegen angeblicher “Störung von Versammlungen und Aufzügen” eingeleitet und seine Immunität aufgehoben. Über drei Jahre sind seit dem 19. Februar 2011 vergangen, ohne dass es zu einer gerichtlichen Verhandlung gegen ihn gekommen oder das Verfahren eingestellt worden wäre. Neubert hatte damit bislang keine Möglichkeit, sich vor Gericht gegen den Vorwurf, er habe eine Straftat begangen, zu verteidigen. Neuberts Verteidiger, der Dresdner Rechtsanwalt André Schollbach, hat deshalb insgesamt vier Verzögerungsrügen erhoben.

Nun kommt es in der “Strafsache gegen Falk Neubert wegen Störung von Versammlungen und Aufzügen” zum Prozess. Die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Dresden (Roßbachstraße 6) findet am Mittwoch, 16. April, um 10:00 Uhr im Saal N 1.14 statt.

Dazu erklärt der Landtagsabgeordnete Falk Neubert: “Zusammen mit tausenden anderen Demonstranten habe ich friedlich und gewaltfrei gegen die von Neonazis seit vielen Jahren praktizierte Instrumentalisierung der Bombardierung Dresdens demonstriert. Wir haben damit die im Grundgesetz garantierten Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit wahrgenommen. Ich bin entschlossen, vor Gericht gegen die Kriminalisierung friedlicher Anti-Nazi-Proteste zu kämpfen.”

Rechtsanwalt André Schollbach erklärt: “Unser Ziel besteht darin, die in Sachsen praktizierte strafrechtliche Verfolgung friedlicher Anti-Nazi-Proteste zu stoppen. Ich bin zuversichtlich, dass uns dies gelingen wird. Wenn nötig, gehen wir mit diesem Fall durch die Instanzen.”

So sieht es auch Lichdi. Wenn nicht deutlich auch vor Gericht geklärt wird, dass friedlicher Protest gegen Nazi-Aufzüge nicht von der Polizei verfolgt und vor Gericht gezerrt werden darf, haben Demonstranten, die ihre demokratischen Rechte wahrnehmen wollen, in Sachsen keine Rechtssicherheit. Das, was die staatlichen Akteure 2011 in Dresden durchexerzierten – mitsamt der massenhaften Funkdaten-Erfassung – kann sich jederzeit wiederholen.

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Lichdi wurde in seiner Rede in der Hauptverhandlung am 31. März recht deutlich: “Die vorgeworfenen Taten sind selbst unter Anerkennung der waghalsigen Konstruktionen der Staatsanwaltschaft allenfalls dem Bereich der Bagatellkriminalität zuzuordnen. Das Angebot der Einstellungen ohne Geldauflage zeigt, dass es der Staatsanwaltschaft nur noch um eine gesichtswahrende Beendigung der Verfahren geht, ohne in der Sache eine Entscheidung zu riskieren. Die vom Staatsministerium der Justiz und für Europa weisungsabhängige Staatsanwaltschaft sichert damit strafrechtlich amtliche Deutungen über das ab, was am 19.02.2011 Recht oder Unrecht gewesen sein soll. Letztlich geht es allein darum, eine im Ansatz verfehlte Polizeitaktik, einen total schiefgelaufenen Polizeieinsatz – Stichwort ‘Trennungskonzept’ – und die faktische Schaffung einer grundrechtsfreien Zone zu kaschieren.”

Klare Aussage: Strafrechtliche Verfolgung friedlicher Demonstranten ersetzt kein kompetentes Polizeikonzept. Auch nicht in Sachsen.

Zahlen will Lichdi die zehn Tagessätze nicht. Denn geklärt ist gar nichts. Um diese Klärung haben sich die Dresdner Amtsrichter gedrückt.

“Ich hoffe sehr, dass der Rechtsweg gegen das Urteil zugelassen wird. Ich halte es für nötig, dass sich ein höheres Gericht mit den heute offen gebliebenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit den Platzbesetzungen am 19. Februar 2011 in Dresden beschäftigt”, sagt dazu Eva Jähnigen, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Grünen-Landtagsfraktion. “Für mich haben die ausführlichen und fundierten Aussagen der polizeilichen Zeugen im Prozess den Gesamteindruck bestärkt, dass das zentrale Einsatzkonzept der Polizei aus dem Dresdner Polizeipräsidium am 19.02.2011 fehlerhaft war und zwangsläufig scheitern musste. Diese Situation muss in der Polizei aufgearbeitet werden. Sie darf nicht Demonstrantinnen und Demonstranten zu Last gelegt werden, die – wie mein Abgeordnetenkollege Lichdi – friedlich gegen Naziaufmärsche protestiert haben.”

Und noch ein Mythos wurde in der Verhandlung aufs Neue entlarvt. Jähnigen: “Zudem wurde heute prozessual bestätigt, dass es die von der Staatsanwaltschaft in zahlreichen Strafbefehlen gegen friedliche Demonstranten benutzte ‘Aufenthaltsverbotszone’ nie gab. Für die meisten Demonstrantinnen und Demonstranten ist es aber zu schwierig, sich gegen diese Vorwürfe zu Wehr zu setzen.”

Die Massivität der Prozesse gegen Demonstrationsteilnehmer aber deutet darauf hin, dass die eigentliche Verantwortung für die Ereignisse am 19. Februar 2011 nicht beim damaligen Dresdner Polizeipräsidenten lag, sondern mindestens eine Etage höher. Und da ist die Bereitschaft, Verantwortung für Fehlentscheidungen zu übernehmen, augenscheinlich denkbar gering.

Die Landtagsanfrage von Falk Neubert zu Ermittlungsverfahren zum 19. Februar 2011 als PDF zum download.

Lichdis Erklärung in seiner Hauptverhandlung:

www.johannes-lichdi.de/position+M5461306d9cd.html

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