Er gilt als einer der auffälligsten Grünen in Sachsen. Irgendwie auch links. In jedem Fall gerichts- und schussfest immer dann, wenn es galt in den letzten Jahren die wichtigste Aufgabe einer Opposition wahrzunehmen: die Regierenden zu hinterfragen, zu kontrollieren, im Zweifel so Maß zu nehmen, dass Veränderungen in Gang kommen. Für den noch Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi hat es nun gereicht.
Nach einem internen Machtkampf bei den sächsischen Grünen rings um die Frage, ob oder ob nicht mit der CDU tritt Lichdi nicht noch einmal zum Wahlkampf 2014 an. Ein Zeichen für ein selten gewordenes Politikverständnis.
Da ist dieser immerwährende Vorwurf an die Politik im Lande. Die wollen nur Posten, Macht und einen gesicherten Lebensabend nach. Nun ist Johannes Lichdi nicht der erste der Wenigen, die aus Überzeugungen heraus Politik machen und eben deshalb auch manchmal damit aufhören. Dass es mit so einem für Weggefährten auch nicht immer leicht, ist, steckt da ebenso drin, ist in Überzeugungen oft genug schlicht enthalten.
In zwei vollen Legislaturen von 2004 bis 2014 im Landtag und – für L-IZ-Leser nicht unbemerkt, war er in eben jenen Ausschüssen tätig, welche für ausreichend Wirbel sorgten. Mitglied im 2. Untersuchungsausschuss “Kriminelle und korruptive Netzwerke in Sachsen”, Teil des Sächsischen NSU Untersuchungsausschusses “Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen”- das Wort “Sachsensumpf” umweht den Rechtsanwalt – allerdings in der Rolle eines oft verhinderten Aufklärers.
Am Montag, 10. Februar, nun gab Johannes Lichdi auf seiner Website bekannt: “Ich werde mich nicht wieder um einen Listenplatz zur Wahl des 6. Sächsischen Landtags bewerben. Die Voraussetzungen für mein weiteres politisches Engagement sind entfallen. Fraktion und Partei folgen der Fraktionsvorsitzenden Hermenau auf ihrem klaren Schwarz-Grün-Kurs. Das allgemeine Beschweigen dieses Sachverhalts in Fraktion und Partei ändert daran nichts.”
Die Reaktion zumindest aus dem Landesvorstand der Grünen kam postwendend, nachdem die “Freie Presse” das Thema aufgriff.
Volkmar Zschocke und Claudia Maicher als Landessprecher bedauern den Rückzug Lichdis, sehen aber seine Argumente als falsch an. “Er hat die inhaltlich-programmatische Auseinandersetzung im Verband genauso vorangetrieben wie die Auseinandersetzung der sächsischen Grünen mit anderen Parteien. Dafür gilt ihm unser Dank. Johannes Lichdi versucht in seiner Erklärung, Nachweise darüber zu bringen, dass die Voraussetzungen für sein weiteres politisches Engagement im Landtag entfallen sind. Die dafür von ihm dargestellten Belege erfordern aus unserer Sicht unseren deutlichen Widerspruch hinsichtlich ihrer Objektivität.”
Und dann versuchen sie zu widerlegen, was Lichdi als Argumente vorbringt. Durchaus nachvollziehbar, denn auch die Meinungsbildung innerhalb der demokratischen Parteien ist ein Diskussionsprozess, der oft genug von Emotionen und Verletzungen gekennzeichnet ist.
Das betrifft auch Lichdis Haltung zur Entscheidung der Grünen zur “Schuldenbremse”, die er nicht mitträgt, die aber auch zur Überraschung vieler Wähler bei den Grünen eine Mehrheit gefunden hat. Der Landessprecher Volkmar Zschocke sagte an jenem 10. März, als der Landesparteitag der “Schuldenbremse” zustimmte: “Die Delegierten sind aber zurecht enttäuscht darüber, dass CDU, FDP, SPD und Linke die Chance auf eine echte Verfassungsmodernisierung über ein Schuldenverbot hinaus verspielt haben.”
Und bringt damit eigentlich auf den Punkt, was an dieser Grünen-Haltung verblüfft: Man kann nicht den anderen Parteien vorwerfen, sie hätten die Chance einer Verfassungsmodernisierung nicht genutzt, wenn man sich genauso verhält. Auch die Grünen haben keine Verfassungsmodernisierung durchgesetzt. Und sie haben ihre Zustimmung zur “Schuldenbremse” auch nicht an eine solche Modernisierung – sprich: mehr Bürgerbeteiligung – geknüpft.
Da hilft auch nicht, wenn Volkmar Zschocke und Claudia Maicher jetzt argumentativ vielleicht Recht behalten, wenn sie schreiben: “Wir haben zu unseren Vorschlägen zur Verfassungsmodernisierung und zur Schuldenbremse nicht nur in vielen Parteiratssitzungen, sondern auch öffentlich bei Landesversammlungen in Görlitz und Chemnitz breite Debatten geführt und politische Beschlüsse gefasst. Wir erwarten nicht, dass demokratisch gefasste Beschlüsse inhaltlich von Johannes Lichdi vollkommen geteilt werden. Wir erwarten lediglich Respekt vor dem demokratischen Meinungsbildungsprozess im Verband.”
In diesem Satz steckt auch schon ein Teil von dem, was man die Sozialdemokratisierung der Grünen nennen könnte – und eigentlich auch das (versteckte) Zugeständnis, dass Lichdi Recht hat, wenn er die grüne Profilierung in Sachsen in Teilen vermisst. “Die Erfahrungen der letzten Jahre lehren mich, dass die maßgeblichen Kräfte in der Partei meinen Politikstil der klaren Opposition und der Markierung der fundamentalen Unterschiede Grüner zur herrschenden Politik nicht wünschen und glauben, mit anderen Personen und Inhalten erfolgreicher sein zu können”, schreibt Lichdi in seinem Statement.
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Was faktisch auf dem Landesparteitag geschah, ist nicht unbedingt das, was die einzelnen Diskutanten erlebt haben. Denn auch bei Sachsens Grünen gibt es Prozesse, bei denen es um Ämter und Machtoptionen geht. Wer versammelt die Mehrheiten der Ortsverbände hinter sich? Wie sehr sind die Landtagsabgeordneten ihrem Heimatkreis, ihrem Gewissen oder dem Parteivorstand verpflichtet? – Solche Prozesse machen vor keiner Partei Halt, wirklich vor keiner. Und die Qualität der innerparteilichen Diskussion wird dadurch bestimmt, wie stark wichtige Gegenstimmen tatsächlich eingebunden werden und sich auch in Entscheidungen wiederfinden.
Die “Schuldenbremse”, die nichts anderes war als ein grandioses Zugeständnis an die Politik der sächsischen CDU, war nicht der einzige Punkt, den Lichdi als umfassende Niederlage empfand. Der andere war die Frage: Werden die Grünen nach der Landtagswahl im August möglicherweise als Koalitionspartner für die CDU zur Verfügung stehen? Oder genauer: für die sächsische CDU, die auf fast allen Positionen eine Haltung vertritt, die mit grünen Grundverständnisssen nicht zu vereinbaren ist – von der Energiepolitik (Stichwort: Kohle) über das Demokratieverständnis (Stichwort: Handygate) über die Bildungspolitik (Stichwort: Lehrermangel) bis hin zu Hochschul- und Innenpolitik. Man kann die Liste praktisch endlos fortsetzen.
Verständlich also, dass Lichdi sagt: “Jetzt droht wie schon 1994 wegen des faktischen Wahlziels Schwarz-Grün der Rausschmiss aus dem Landtag – und damit die Pulverisierung von 20 Jahre politischer Aufbauarbeit!”
Dass es auf dem Landesparteitag im November etwas anders war, beschreiben Zschocke und Maicher so: “Die Darstellung von Johannes Lichdi, im November 2013 hätte ein Landesparteitag in einer Kampfabstimmung eine schwarz-grüne Koalition ausdrücklich nicht ausgeschlossen, ist falsch. Ein Antrag, der eine Koalition mit der CDU ausschließt, lag dem Landesparteitag gar nicht vor. Es lag vielmehr ein u. a. von Johannes Lichdi unterstützter Antrag mit folgendem Wortlaut vor: ‘Wir wollen unser kommunales Gewicht in den Gemeinderäten und Kreistagen deutlich stärken. Wir wollen stärker als 2009 in den Sächsischen Landtag einziehen. Wir werden dafür kämpfen, dass die CDU-geführte Landesregierung abgelöst wird. Wir stellen uns unserer Verantwortung für eine Regierungsbeteiligung, stehen aber nicht als Mehrheitsbeschaffer für die CDU zur Verfügung.’ Dieser Antragstext wurde vollständig beschlossen. Strittig war lediglich die Ergänzung ‘oder andere Parteien’ im letzten Satz nach CDU.”
Doch genau dieser Passus “oder andere Parteien” steht so im Beschluss. Womit die Grünen dann gleich auch mal die einzigen Parteien, mit denen sie eine CDU-Regierung in Sachsen aushebeln könnten, vor den Kopf stoßen: SPD und Linke.
Verständlich, dass Lichdi dahinter doch wieder eine Bereitschaft sieht, der CDU das Weiterregieren zu ermöglichen.
Auch wenn Lichdi emotional vielleicht überreagiert und manches sehr persönlich sieht: Er legt den Finger in die Wunde. Wer in Sachsen einen Machtwechsel will, der stößt nicht mögliche Koalitionspartner durch Lavieren vor den Kopf.
Seine Sprecher-Ämter hat er schon alle niedergelegt, damit die Fraktion die Möglichkeit hat, noch vor der Wahl andere Personen in diesen Bereichen zu profilieren. Was schwierig sein wird. Lichdi hat bislang die Sprecherposten für Klima- und Energiepolitik, für Rechtspolitik und für Naturschutzpolitik bekleidet. Und er hat die Grünen in Sachsen jetzt zu einer Diskussion herausgefordert, die sie wohl annehmen sollten. Denn die Vermutung, die Grünen könnten nach dem 31. August doch für eine Koalition mit der CDU bereit stehen, bewegt auch schon längst die Wähler. Und das ist gefährlich. Denn warum sollte man dann grün wählen, wenn es dann doch genauso weitergeht wie in den letzten Jahren?
“Wir Grüne wollen eine lethargische Regierung ablösen, die Stillstand als Weg in Sachsens Zukunft verkauft. Erfolgreiche Entwicklungen werden technokratisch ausgebremst, Perspektiven nicht gefördert”, heißt es im Beschluss des Landesparteitages vom November wortwörtlich. Aber ändern kann man das nur, wenn man Mehrheiten jenseits der CDU schafft. Und zwar offensiv und nicht im stillen Kämmerlein.
Lichdis Erklärung:
www.johannes-lichdi.de
Volkmar Zschocke und Claudia Maicher zu Lichdis Argumenten:
www.gruene-sachsen.de
Der von Volkmar Zschocke und Claudia Maicher zitierte Beschluss des Landesparteitages im November zur Landtagswahl:
www.gruene-sachsen.de
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