Sind die Grünen in der Krise? Können sie ihre Botschaften nicht mehr vermitteln? Oder verzetteln sie sich, weil sie auch noch alle Themen abseits ihres Kernthemas Ökologie besetzen wollen? - Nachdenklich klang Anton Hofreiter, Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, als er am Freitag, 10. Januar, kurz bei den Leipziger Grünen einflog. Geändert hat sich schon einiges, bestätigte der Diplom-Biologe aus München. Und holte dann ganz weit aus.

Denn man hat es ja bei einigen Auftritten der heutigen Grünen fast vergessen, dass sie ihre Wurzeln in der deutschen Naturschutzbewegung hat. Und die begann im späten 19. Jahrhundert, als erste Vereine begannen, sich um wertvolle Landschaften und vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten zu kümmern. 1899 wurde der Deutsche Bund für Vogelschutz gegründet, aus dem der heutige NABU hervorging. Mittlerweile gehören Landschaftsschutzgebiete in allen Teilen Deutschlands zum Standard.

“Aber das waren immer nur Flecken”, sagt Hofreiter. Vor 50 Jahren begann sich eine neue, völlig andere Umweltbewegung zu formieren. Und die hatte es – verglichen mit den heutigen Grünen – einfach. Denn die Umweltverschmutzung war für alle direkt vor ihrer Haustür sicht- und riechbar. “Vergiftete Flüsse und Waldsterben wurden zu Synonymen für diese großflächige Umweltverschmutzung, die keiner übersehen konnte”, so Hofreiter. “Ein blauer Himmel überm Ruhrgebiet war damals einfach nicht vorstellbar.”

Dass Katalysatoren in Autos eingebaut wurden, Filter in Fabrikschlote und Kläranlagen hinter jedem Dorf und jeder Fabrik, das sei dieser Umweltbewegung anzurechnen. In Flüssen kann man wieder baden und die Luft schmeckt auch in den Großstädten nicht mehr nach Ruß und Asche.

“Wir haben ja richtig große Erfolge erreicht”, sagt Hofreiter. “Das müssen wir uns auch mal klar machen.” Doch mit den toten Fischen auf dem Rhein, den kahlen Wäldern, den rußigen Himmeln verschwanden auch in der ganzen Bundesrepublik die sichtbaren Auswirkungen der Umweltverschmutzung. Auch in der DDR, als 1990 einer ganzen überalterten Industrielandschaft der Saft abgedreht wurde. Die Umweltprobleme scheinen verschwunden. Sind sie es aber wirklich?

“In Wirklichkeit”, so Hofreiter, “sind sie sogar noch größer geworden. Doch das zu vermitteln, ist viel, viel schwerer.” Denn die Probleme sind mittlerweile global – und sie heißen, auf den Punkt gebracht: Klimawandel und Artensterben. Und dazu kommt auch, dass die Deutschen viele ihrer Umweltprobleme einfach exportiert haben. “Es ist unser Computerschrott von vor zehn Jahren, der heute in Afrika auf den Deponien landet”, stellt Hofreiter fest. Der deutsche Müll vergiftet Boden und Wasser in den armen Ländern der Welt. Und nicht nur damit belasten die Deutschen die Ressourcen der armen Länder. Auf rund 15 Millionen Hektar außerhalb Deutschlands wird jenes Tierfutter angebaut, mit dem in Deutschland die konkurrenzlos billige Massentierhaltung betrieben wird. Auch für das Futter in europäischen Massentierhaltungen werden in den Ländern des Tropengürtels ganze Urwälder gefällt.

Und die Verbrauchsgüter, die in Deutschland gehandelt werden, werden – oft genug energieintensiv – in Entwicklungs- und Schwellenländern produziert. Und zwar nicht mit erneuerbaren Energien, sondern bevorzugt mit fossiler Energieerzeugung, vor allem aus Kohle. Das Ergebnis sind weiter ansteigende CO2-Ausstöße jedes Jahr, eine der Hauptursachen für die weltweite Klimaerwärmung.

“Aber das ist ein Phänomen, über das man trefflich streiten kann”, so Hofreiter. “Ist der Riesenwirbelsturm über den Philippinen nun schon Ergebnis der Klimaerwärmung oder ist er nur ein zufälliger Ausreißer?” Das Problem ist zwar ein weltweites geworden und sorgt auch längst dafür, dass Inseln im Pazifik unbewohnbar werden und Extremereignisse zunehmen. “Aber es ist ein weltweites Problem mit diffusen Auswirkungen”, so Hofreiter. Wie aber bekommt man ein Problem mit so diffusen und scheinbar weit entfernten Auswirkungen in den Griff?

Und wie gewinnt man die Bürger dabei? “Eins haben wir in den letzten Jahren jedenfalls gelernt”, so Hofreiter. “Wenn etwas nicht funktioniert, dann ist es der Versuch, individuelle Verhaltensweisen zu ändern.”Und es geht auch nicht nur um die Vermittlung der Probleme, es geht auch um die Frage: Wie packt man das in Deutschland an? Mit zwei Themen sei das sogar längst zu besetzen, so Hofreiter. Die deutsche Energiewende finde weltweit Aufmerksamkeit. Immerhin sei Deutschland das erste Land, das versuche, seine Energiebasis komplett umzustellen auf Erneuerbare Energien. Doch über zehn Jahre, nachdem Rot-Grün das Projekt gestartet habe, sei das Projekt in schweres Fahrwasser geraten. Es fehle an Übertragungsleitungen und Speichern. Und der Preis für CO2-Zertifikate sei im Keller. Ergebnis: Billiger Kohlestrom verstopft die Netze, Windparks werden abgeschaltet, weil die Netze überlastet sind. Die Blockadepolitik der vier großen Energiekonzerne zeigt Früchte, bremst aber den gewollten Technologiewechsel aus.

“Von dem die ganze Welt profitiert”, sagt Hofreiter. “Die Entwicklung der modernen Solar- und Windkraft-Technologie war das größte Entwicklungshilfeprogramm, das die Bundesrepublik in den letzten 50 Jahren aufgelegt hat. Damit bekommen auch die armen Länder eine bezahlbare Technologie zur Energieerzeugung.” Und in Deutschland wären gerade die Erneuerbaren wieder die Chance, wirtschaftliche Entwicklung in die Fläche zu bringen. Die Bürger und die Kommunen hätten die Energieerzeugung in eigener Hoheit und wären nicht mehr von den großen Konzernen abhängig. Das Marktdesign würde sich völlig ändern. Eigentlich eine Aufgabe für die Bundesländer, das zu managen.

Eigentlich.

Und auch das Thema Artensterben könne man mit einem Schwerpunkt-Thema besetzen: dem Kampf gegen die Massentierhaltung. Denn die profitiert nicht nur vom billigen Futterimport aus den armen Regionen der Erde, sondern auch von einer intensivierten Landwirtschaft, die auch in Sachsen für eine reduzierte Artenvielfalt verantwortlich ist.

Und wie ist es mit der Wirtschaft überhaupt? Kann denn eine Gesellschaft ohne Wachstum existieren?

“Unsere augenblickliche Gesellschaft kann das nicht”, sagt Hofreiter. “Wir brauchen uns ja nur umzuschauen, wie schnell sie in die Krise gerät, wenn es auch nur ein Nullwachstum gibt, und welche dramatischen Auswirkungen das für alle hat.” Es gibt keine Antwort auf die Frage, was dann passiert. “Das ist auch der Punkt, zu dem die meisten Post-Wachstums-Ökonomen schweigen”, stellt der studierte Biologe fest. Aber eine Antwort wäre, dass wir uns fragen, welche Art Wachstum wir wollen.

“In Wirklichkeit ist doch der ökologische Umbau der Gesellschaft ein grünes Industrieprojekt”, sagt Hofreiter. “Die Leiter der Forschungsabteilungen in den großen Unternehmen sind alle auf unserer Seite. Die wissen nämlich, dass jede umweltfreundliche Verbesserung ihnen auch einen neuen Marktvorteil bringt und eine Investition in die Zukunft ist. Die Vorstandsvorsitzenden aber sind alle gegen uns. Die sind nämlich nur für eine gewisse Zeit gewählt und interessieren sich nur für den Gewinn, den sie jetzt einfahren können. Für die Gewinne der Zukunft interessieren sie sich nicht. Warum auch? Da sind sie ja nicht mehr Vorstandsvorsitzende.”

Mindestens 30 Jahre Wachstumspotenzial sieht Anton Hofreiter in einem ökologischen Umbau der Bundesrepublik. “Und dann?” – “Gute Frage”, sagt er. “Aber das kann ich wirklich noch nicht sagen. Das ist auch für mich noch zu weit hin.”

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