Es betrifft nicht nur den Sächsischen Verfassungsschutz, wo Akten gern mal gerade erst gelöscht oder geschreddert wurden, wenn etwas zu neugierige Politiker oder Journalisten nachfragen. In der Regel ist das aus Ämtersicht alles regelkonform. Irgendwo gibt es immer eine Vorschrift, die die Löschung brisanten Aktenmaterials geradezu erzwingt. Aber auch im polizeilichen Berichtswesen verschwinden ganze Kolonnen von Tötungsdelikten wie es aussieht im Nirwana.

Am Dienstag, 21. Januar, hatte Sachsens Justizminister Dr. Jürgen Martens (FDP) neue Zahlen zur Aufklärungsrate von Mord und Totschlag in Sachsen vorgelegt. Doch die neuen Zahlen passen irgendwie nicht zu den alten und schon gar nicht zu den Zahlen, die Külow direkt beim Innenminister abgefragt hatte. Irgendwo in der sächsischen Staatsregierung schönt man also das Zahlenwerk – vielleicht sogar deshalb, um eine hübsche Begleitmusik zur rigiden Polizeireform 2020 zu schaffen: “Ist ja alles nicht so schlimm. Wir brauchen doch gar nicht so viele Polizisten.”

“Die von Staatsminister Dr. Martens vorgelegten Zahlen sind nicht einmal die halbe Wahrheit”, erklärt dazu der Landtagsabgeordnete der Linken, Dr. Volker Külow. Er hat die Martens-Zahlen mit den Zahlen verglichen, die er von den Innenministern Buttolo 2009 und Ulbig 2014 abgefragt hatte. “Eine exakte Analyse der vorgelegten offiziellen Zahlen führt eher zu gegenteiligen Schlussfolgerungen. Durch die von der Staatsregierung selbst eingeräumte ‘Löschung und Aktualisierung’ bei den entsprechenden Statistiken wird nämlich deutlich, dass in Sachsen mit statistischen Tricks und Manipulationen hunderte unaufgeklärte Tötungsdelikte nach 1990 in den Jahren zwischen 2009 und 2014 ‘verschwunden’ sind. Vergleicht man die vom Innenministerium vorgelegten Antworten auf meine zwei Kleinen Anfragen zum Thema ‘Entwicklung von Erscheinungsformen der schweren Kriminalität im Freistaat Sachsen’ aus dem Jahr 2009 (Drucksache 4/14753) und jetzt aus dem Jahr 2014 (5/13300) genauer, werden gravierende und in keiner Weise nachvollziehbare Abweichungen deutlich.”

Im Jahr 2009 gab es nach Angaben der Staatsregierung im Zeitraum vom 1. Januar 1990 bis Ende 2008 insgesamt 1.662 Tötungsdelikte, von denen 219 nicht aufgeklärt wurden (ca. 13 Prozent). Dazu kamen 802 versuchte Tötungsdelikte, von denen 76 nicht aufgeklärt wurden (ca. 9,5 Prozent). Zu dieser Gesamtzahl von vollendeten und versuchten Tötungsdelikten von 2.464 kamen noch 141 nicht gelöste Vermisstenfälle.

Am 17. Januar 2014 teilte der zuständige Innenminister Markus Ulbig dann auf eine erneute Kleine Anfrage von Volker Külow mit, die jetzt “genannten Fallzahlen sind aufgrund von Löschungen und Aktualisierungen nicht mit denen der Drucksachen.-Nr. 4/14753 vergleichbar”.”Jetzt werden eigentümlicherweise die vollendeten und versuchten Tötungsdelikte vom 1. Januar 1990 bis zum 30. November 2013 als Gesamtzahl angegeben, nur noch mit 1.696 Fällen, davon 857 versuchte Tötungsdelikte”, kommentiert Külow die Zahlendifferenz. “Von den Tötungsdelikten wurden 208 Fälle (ca. 25,1 Prozent) nicht aufgeklärt und von den versuchten Tötungsdelikten 76 Fälle (ca. 8,7 Prozent). Dazu kommen noch 165 Vermisstenfälle.”

Die enormen Widersprüche zwischen diesen offiziellen Zahlen seien eklatant und offenkundig, so Külow. “Der Versuch der bewussten Täuschung der Öffentlichkeit liegt nahe”, meint der Landtagsabgeordnete. “Angesichts dieser erschreckend hohen Anzahl von unaufgeklärten Todesfällen muss die Staatsregierung unverzüglich vergleichbare Statistiken vorlegen, damit sich die Öffentlichkeit ein realistisches Bild über diesen Aspekt der Schwerstkriminalität in Sachsen machen kann. Angesichts der gruseligen Dimension der ungeklärten Fälle muss die Staatsregierung schnellstens eine Sonderermittlungseinheit für ?kalte Fälle’ bilden, um endlich Gerechtigkeit gegenüber den vielen Opfern herzustellen und wenigstens einen Teil der Täter noch einer gerechten Strafe zuzuführen.”

Die Auskunft von Innenminister Markus Ulbig vom 14. Januar 2014: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=13300&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=202

Auskunft von Innenminister Albrecht Buttolo von 2009: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=14753&dok_art=Drs&leg_per=4&pos_dok=-1

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