Wie nun weiter mit den Grünen? Die Bundestagswahl ist gerade drei Monate her. Drei Monate, die mit zähen Koalitionsverhandlungen zwischen drei Parteien hingingen, die eigentlich gar nicht miteinander können. Die Grünen bekamen am 22. September einen Dämpfer, den Anfang des Jahres so niemand vermutet hätte. Partei- und Fraktionsspitze wurden umgekrempelt. Dr. Anton Hofreiter ist einer der beiden Fraktionssprecher, die es in Berlin nun richten sollen. Am Freitag, 10. Januar, war er in Leipzig.

Eingeladen hatte ihn die Landesarbeitsgruppe Ökologie / Landwirtschaft / Verkehr der sächsischen Grünen. Es ging um eine Grundfrage, die seit dem 22. September die Grünen auch in Sachsen umtreibt: Was ist da im Bundestagswahlkampf eigentlich schief gelaufen? Und wie kann man die Malaise ändern bis zur nächsten Landtagswahl in Sachsen? Ist überhaupt etwas schief gelaufen? – Der schnelle Personalwechsel an der Bundesspitze der Grünen nach dem 22. September scheint es zu bestätigen.

Aber wer dergleichen Aussagen von Dr. Anton Hofreiter erwartet hat, bekam sie nicht. Dazu ist der studierte Biologe aus München zu lange im politischen Geschäft. Fast genüsslich erinnerte er sich an den Wahlkampf 1998, als es deutschlandweit eigentlich darum ging, die schon ewig währende Amtszeit Helmut Kohls zu beenden. Am Ende hatten SPD und Grüne die Mehrheit. “Die Leute erinnern das als eine Erfolgsgeschichte”, sagt Hofreiter. Aber er hat den Grünen-Wahlkampf damals in Bayern mitgemacht. “Und es war grauenvoll”, erinnert er sich. Und: Es war fast genauso wie 2013.

Anfang des Jahres 1998 standen die Grünen in den Umfragen noch bei 12 Prozent. Das Projekt Rot-Grün war zum Greifen nah. Die Grünen waren siegestrunken. Doch in Deutschland reden einige mächtige Lobbyvereinigungen mit, wenn die Macht verteilt wird. Allen voran die großen Industrieverbände. Ihre Mitgliedsunternehmen sponsern nicht nur die “arbeitgeberfreundlichen” Parteien CDU, CSU und FDP mit jährlichen Millionenüberweisungen. Sie unterstützen oder betreiben auch eigene “Think Tanks” und sorgen über diese dafür, dass immer wieder neue Statements, Umfragen, Meinungen in die maßgeblichen Medien der Republik lanciert werden. Das war 1998 genauso wie 2013.

2013 hießen die Themen, die den Grünen ab Mai in allen großen Medien um die Ohren geschlagen wurden: Steuererhöhung, Veggieday, Kosten der Energiewende und – sozusagen als grüner Eigenbeitrag – Umgang mit Pädophilen.

Das alles hatte mit dem Grünen-Wahlprogramm wenig bis nichts zu tun. Selbst den Veggieday muss man dort mit der Lupe suchen. Und die Steuererhöhungen für die Spitzenverdiener standen dort im Programmteil mit der Gegenfinanzierung. “Wir wollten es nicht so machen wie die Linke und mit unbezahlbaren Versprechen in den Wahlkampf ziehen”, sagt Hofreiter. Er hätte auch SPD sagen können, deren Ministerinnen jetzt mit milliardenteuren Geschenken aufwarten, die sie von nicht existenten Steuer-Mehreinnahmen bezahlen wollen. Oder von neuen Schulden – Klientel-Pflege pur.

Tatsächlich waren sich SPD, Grüne und Linke bei der Erhöhung der Spitzensteuersätze recht nah. Wer im Land auch nur ansatzweise ein bisschen mehr sozialen Ausgleich schaffen will, kommt um die Erhöhung der Spitzensteuersätze nicht umhin. Doch nicht über die Vorhaben von SPD und Linken wurde medial diskutiert, sondern über die Finanzierungsvorschläge der Grünen. Die Tatsache, dass es fast ausschließlich Monatseinkommen ab 6.000 Euro betreffen würde, ließen die diversen Kommentatoren in den Großmedien lieber weg.Unübersehbar aber in der Rückschau, so Hofreiter, wie sich die Medien ganz und gar auf die Grünen einschossen. Der Grund ist in den alten Umfragen zu finden. Im Gefolge des Desasters von Fukushima erlebten die Grünen in den Umfragen einen wahren Höhenrausch – schnellten zwischenzeitlich auf einen Zustimmungswert von 22, 23 Prozent, schienen kurzzeitig sogar die SPD zu überflügeln – in der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 27. März 2011 gelang es ihnen sogar. Da war der Reaktorunfall im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi gerade einmal zwei Wochen alt. Zu wenig Zeit für Angela Merkel, im Bund noch eine derart wirksame PR-Aktion zu veranstalten wie den Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Kernkraft.

Ein zweites Baden-Württemberg wollten weder die CDU noch die Spitzenverbände der Industrie erleben. Deshalb waren die Grünen 2013 fällig. Erst wurden die Thesen über die diversen Stiftungen und Verbandsorgane lanciert, dann kamen sie über politische Statements in die Medien. “Und wir hatten dummerweise keine Strategie, wie wir darauf reagieren sollten”, sagt Hofreiter. Auch keine “letzte Weiche”. Denn während die politischen Gegner seit 2011 darüber nachdenken konnten, wie sie ein Auftrumpfen der Grünen bei der Bundestagswahl 2013 verhindern konnten, fühlten sich die Grünen in der Wählergunst 2011 schon an die Regierung getragen und stellten damals auch schon die Bausteine des Wahlprogramms zusammen. “Unser Wahlprogramm war eigentlich schon ein Regierungsprogramm”, sagt Hofreiter. “So ein Programm, wie man es schreibt, wenn man damit rechnet, dass man dann tatsächlich in Regierungsverantwortung kommt. So gesehen auch ein ehrliches Programm: Wir haben den Leuten erklärt, wie wir unser Programm finanzieren wollen.”

Deswegen sei auch die Frage nicht wirklich zu entscheiden, ob das nun falsch war. “Was hätten die Kritiker erst veranstaltet, wenn wir nicht erklärt hätten, wie wir das finanzieren wollen”, fragt Hofreiter. “Sie hätten uns in Bausch und Bogen runtergemacht dafür.”

Auch 1998 bekamen die auftrumpfenden Grünen die ganze Breitseite der medialen Kritik ab. “Von 12 Prozent in den Umfragen stürzten sie auf unter 5 Prozent ab”, erinnert sich Hofreiter. “Und ich kann mich noch gut daran erinnern, denn ich habe ein halbes Jahr lang nichts als Wahlkampf gemacht.” Am Ende schafften es die Grünen knapp über 5 Prozent. “Gerettet” wurden sie durch eine auftrumpfende SPD, die mit Gerhard Schröder einen medienwirksamen Spitzenkandidaten hatte. Rot-Grün konnte beginnen.

Noch Anfang 2013 wurde Bündnis 90/Die Grünen im Bund ein Wahlergebnis zwischen 14 und 17 Prozent vorhergesagt. Bis zum Mai blieb das so. Dann begann das Trommelfeuer, das sich wochenlang nur noch mit den Grünen beschäftigte. Sie waren der Primus unter den Herausforderern, nicht die SPD, die auch nach acht Jahren noch nicht weiß, wie sie die selbst eingebrockte Hartz-IV-Malaise los wird. Wenn sie es denn überhaupt will.

Das Wahlergebnis am 22. September war also auch ein Ergebnis, das zeigt, wie stark mediale Debatten das Wahlverhalten der Bürger beeinflussen. Auf 8,4 Prozent war das Grünen-Ergebnis am Wahlabend eingedampft. Das waren sogar 2,3 Prozent weniger als noch 2009. Und seitdem grübeln natürlich auch die Landes- und Kreisverbände. Denn solche Ergebnisse haben auch auf ihre Wähler Einfluss. Was tun, war also die Frage am Freitag. Und wie kommen die Grünen wieder mit ihren ökologischen Kernthemen ins Gespräch?

Da wird es dann auf ganz andere Weise spannend.

Dazu morgen mehr an dieser Stelle.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar