Ein bisschen Schwindeln, Schwarzmalen und Übertreiben gehören zur Politik. Zumindest zu der, die wir in Deutschland derzeit erleben. Etliche Projekte im Interesse einer bestimmten Klientel sind anders nicht zu verkaufen. Oft sind nur mit kleineren oder größeren Schwindeleien Mehrheiten zu erzwingen. Aber am Donnerstag, 28. November, hat sich Sachsens Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) in seiner Landtagsansprache gründlich verplappert. Die verbalen Rügen kamen diesmal postwendend.
Es ging um den viel diskutierten Mindestlohn, der seit dem 27. November Bestandteil des von CDU, CSU und SPD ausgehandelten Koalitionsvertrages ist. Morlok hat seine Meinung dazu schon mehrfach deutlich geäußert. 2011 zum Beispiel, als das auch schon im Bundesrat Thema war. “Mindestlöhne sind eine echte Gefahr für diese erfreuliche Entwicklung und schaffen keine Arbeitsplätze, sondern vernichten sie”, sagte er damals. “Unser Ziel ist es, mehr Menschen in Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Ein die Existenz sicherndes Mindesteinkommen muss eine Selbstverständlichkeit sein. Der Mindestlohn schafft das nicht.”
Spannend wäre natürlich die Frage, wo der Unterschied zwischen einem “Existenz sichernden Mindesteinkommen” und einem “Mindestlohn” tatsächlich liegt.
Auch Sachsens Kammern äußerten sich in den letzten Jahren immer wieder kritisch zu einem flächendeckenden Mindestlohn, denn viele Unternehmen in Ostdeutschland sind nur deshalb wettbewerbsfähig, weil sie deutlich unter üblichen Tarifwerten arbeiten lassen. Doch das waren jeweils kritische Äußerungen, keine Beschlüsse.
Entsprechend verblüfft war Stefan Brangs, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, als Sven Morlok vollmundig von einem Beschluss der Vollversammlungen des sächsischen Handwerks berichtete.
“In der heutigen Aktuellen Debatte im Sächsischen Landtag hat Staatsminister Morlok das Parlament und die Öffentlichkeit belogen. Er behauptete, dass sich Vollversammlungen des Sächsischen Handwerks gegen einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro ausgesprochen haben. Das entspricht nicht der Wahrheit”, nahm Brangs dazu noch am 28. November Stellung. “Entgegen seiner Behauptung, dass sich die ?Vollversammlungen der Handwerkskammern […] gegen einen flächendeckenden Mindestlohn [ausgesprochen haben]? hat keine Handwerkskammer in Sachsen einen solchen Beschluss gefasst. – Besonders schäbig ist die Tatsache, dass er in diesem Zusammenhang darauf verwies, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmerseite in diesen Vollversammlungen mit am Tisch sitzen und ebenfalls zugestimmt hätten. Mit welchen Mitteln die angeschlagene FDP in Sachsen Stimmung gegen den Mindestlohn macht, ist nicht mehr erträglich und dem Agieren eines Wirtschafts- und Arbeitsministers unwürdig. Ich fordere den Staatsminister auf, seine heutigen falschen Aussagen im Landtagsplenum richtig zu stellen.”
Aus Morloks Rede im sächsischen Landtag: “Gestatten Sie mir, sehr geehrte Damen und Herren, dass ich noch auf ein Thema eingehe, was hier von verschiedenen Debattenrednern in die Debatte eingeführt wurde. Nämlich das Thema Mindestlohn und das Thema Mindestlohn und Handwerk. Das sächsische Handwerk, sehr geehrte Damen und Herren, hat sich klar und eindeutig gegen einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro ausgesprochen. Herr Kollege Brangs hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in den Vollversammlungen der Handwerkskammern im Gegensatz zu anderen Organisationen, meinetwegen der in der Industrie- und Handelskammern oder Verbandsbranchenorganisationen, die Arbeitnehmervertreter mit am Tisch sitzen und dort auch stimmberechtigt sind. Und sehr geehrte Damen und Herren, wenn eine Organisation, in der die Arbeitnehmervertreter Sitz und Stimme haben, sich gegen einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro aussprechen, also auch die Arbeitnehmer im Handwerk sich gegen einen solchen flächendeckenden Mindestlohn aussprechen, dann sollten wir uns mal Gedanken machen, ob das, was gerade in Berlin vereinbart wurde, im Interesse des sächsischen Handwerks ist. Die Handwerkskammern jedenfalls sind nicht dieser Auffassung. Und wir als Staatsregierung teilen diese Auffassung, vielen Dank.”
Dass er dabei Brangs auch noch erwähnte, wird den SPD-Mann besonders geärgert haben.
Aber logischerweise fühlten sich von der Rede auch die Arbeitnehmervertreter in der HWK-Vollversammlung veräppelt. Am Freitag, 29. November, meldete sich entsprechend deutlich die sächsische DGB-Vorsitzende Iris Kloppich zu Wort. Sie warf dem sächsischen Wirtschafts- und Arbeitsminister Sven Morlok (FDP) eine “unfassbare Überforderung bei der Amtsführung” vor.
“Wer von grundlegenden Sachverhalten bei den Handwerkskammern nach vier Jahren im Amt immer noch keine Ahnung hat, ist schlichtweg mit seinem Amt überfordert”, erklärte sie. “Keine Vollversammlung der Handwerkskammern in Sachsen hat einen Beschluss gegen den Mindestlohn getroffen. In den Handwerkskammern sind zu einem Drittel die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertreten und die achten sehr genau darauf, dass keine Beschlüsse gegen ihre Interessen getroffen werden”, sagte Iris Kloppich in einer Reaktion auf den Auftritt des Ministers im Sächsischen Landtag. “Es ist schon schwer erträglich, den letzten FDP-Wirtschaftsminister in Deutschland zu erleben. Und dann noch so ein ahnungsloses Exemplar”, stöhnte Sachsens DGB-Chefin.
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Und am Samstag, 30. November, äußerte sich nun auch die Vizepräsidentin der Handwerkskammer zu Leipzig, Gabriele Müller, sehr deutlich zu Morloks Ausrutscher. Sie ist auch Betriebsratsvorsitzende in der Mercedes-Benz Vertriebsgesellschaft NL Leipzig.
“Morlok macht Front gegen einen Mindestlohn in Sachsen und missbraucht hierfür die Handwerkskammern als Kronzeugen seiner Ablehnung. Er behauptet fälschlicherweise, die Kammern hätten den Mindestlohn ebenfalls abgelehnt”, sagte Gabriele Müller.
Doch auch sie kann als Gewerkschaftsvertreterin nur feststellen: “Einen Beschluss über einen Mindestlohn gibt es in der Handwerkskammer zu Leipzig nicht. Die Handwerkskammer ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts und begrüßt jede Anstrengung, sozialdarwinistischen Tendenzen und Lohndumping entgegen zu treten. Die Arbeitnehmervertreter begrüßen wie Millionen Bürgerinnen und Bürger auch, die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von mindestens 8,50 Euro. Ein Arbeitsminister, der sich gegen ein solches Existenzminimum ausspricht und versucht, die Arbeitnehmer des sächsischen Handwerks gegen andere Arbeitnehmer auszuspielen, hat keinen wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Sachverstand. Er tritt das Recht der Landesverfassung mit Füßen, denn darin erkennt das Land Sachsen das Recht eines jeden Menschen auf ein menschenwürdiges Dasein an.”
“Der flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro wird gerade in Sachsen die Staatskassen entlasten, weil deutlich weniger Arbeitnehmer zum Aufstocken gezwungen sein werden. Er wird die regionale Kaufkraft der Arbeitnehmer und damit die Wirtschaftskraft der Regionen voranbringen. Vor allem das Handwerk und die Branchen im regionalen Wirtschaftskreislauf werden von steigenden Steuereinnahmen und mehr Aufträgen der Kommunen profitieren”, ergänzt Bernd Kruppa, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Leipzig, zum Thema. “Redliche Handwerksmeister werden nicht mehr Opfer von Schmutzkonkurrenz und Lohndumping. Tarifverträge im Handwerk hätten so wieder ein Fundament für eine gesunde Fortentwicklung.” Die IG Metall Leipzig hat für 2014 eine Offensive im Handwerk angekündigt.
Der Videolink zu Morloks Landtagsrede: www.youtube.com/watch?v=z36GsM0KtS8
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