Die Mahnungen häufen sich. Denn beim Juni-Hochwasser 2013 ist Sachsen tatsächlich noch einmal glimpflich davongekommen. Aber das kann bei der nächsten Flut, die das übliche "Jahrhunderthochwasser" (HQ 100) übertrifft, schon anders aussehen. Auch der CDU-Umweltpolitiker Prof. Karl Mannsfeld kritisierte die falsche Schwerpunktsetzung im sächsischen Hochwasserschutz. In der vergangenen Woche hatten die Grünen im Landtag extra zur Pressekonferenz eingeladen.
“Frank Kupfer sollte sich der deutlichen Kritik annehmen, denn sie wurde nicht von irgendwem vorgetragen, sondern vom ehemaligen CDU-Umweltpolitiker Prof. Karl Mannsfeld, heute stellvertretender Vorsitzender des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz e.V., der unter anderem im Namen von NABU, BUND und Grüner Liga die ‘unvollkommene und zu einseitige’ Hochwasserschutz-Politik der Staatsregierung kritisierte”, betonte dazu die grüne Landtagsabgeordnete Gisela Kallenbach.
“Die Zeit drängt: Das nächste Hochwasser wird nicht ewig auf sich warten lassen. Minister Kupfer, setzen Sie ein sächsisches Auenprogramm um! Die Schaffung neuer Überschwemmungsflächen muss endlich Priorität bekommen in Sachsen. Eine Neuausrichtung bei der Hochwasserschutzpolitik weg vom einseitigen, millionenschweren technischen Hochwasserschutz hin zu mehr naturnahem Hochwasserschutz ist bitter nötig. Deichsicherung ohne Rückgewinnung von Überschwemmungsflächen und ohne Stopp der Flächenneuversiegelung ist teurer und ineffizienter Hochwasserschutz. Wir Grünen haben zur Gewinnung neuer Überschwemmungsflächen in Sachsen unsere Vorschläge vorgelegt.”
Die technischen Anlagen, in die der Freistaat Sachsen seit 2002 über eine halbe Milliarde Euro investiert hat, haben zwar gehalten. Doch an brisanten Stellen – wie in Meißen oder Grimma – sind sie nur für das benannte HQ 100 ausgelegt. Aber sowohl 2002 wie 2013 kam deutlich mehr Wasser die Flüsse heruntergerauscht. In Meißen wurde die Schutzwand überspült, die Grimmaer Schutzwand (ebenfalls für HQ 100 ausgelegt) wäre ebenfalls überspült worden.
Das Problem ist: Die sächsische Hochwasserschutzpolitik steht nur auf einem Bein – dem technischen Hochwasserschutz, der mit hohen Deichen und Sperrwänden dafür sorgt, dass die Wassermassen höher aufgestaut werden und in schnellerem Tempo flussabwärts drängen, wo sie dann, wenn sie kein Ventil finden, die Deiche zum Bersten bringen – wie im Juni 2013 in Sachsen-Anhalt geschehen.
Was fehlt, ist der vorsorgende Hochwasserschutz, zu dem auch am Oberlauf der Flüsse mehr Überflutungsflächen gehören. Das kritisiert der Landesverein Sächsischer Heimatschutz e.V. in einem Papier ganz explizit.
Darin heißt es unter anderem: “Dennoch ist festzuhalten, dass Ergebnisse vordergründig bei der Bewältigung von Flutschäden zu verzeichnen sind, weniger jedoch im Hinblick auf deren Vermeidung, also die Ursachenbekämpfung. Die seit 2002 durch die LTV erarbeiteten, insgesamt 47 Hochwasserschutzkonzepte mit 1.600 Einzelmaßnahmen umfassen nahezu ausschließlich technische Maßnahmen (Deichbauten, Flutmauern, Objektschutzmaßnahmen, Brückendurchlässe, Straßenerhöhungen, Gebäudesicherungen). Für Hochwasserschutzmaßnahmen standen in Sachsen seit 2002 insgesamt mehr als 1 Milliarde Euro zur Verfügung. Im August 2012 erklärte die Staatsregierung, dass davon nur 530 Millionen Euro ausgegeben wurden und von diesen wiederum nur 5 Millionen Euro für die Schaffung von Überschwemmungsflächen.
Ein Allgemeinplatz von verantwortlichen Vertretern aus Politik und LTV ist, dass die Forderung nach zusätzlichen Überflutungsflächen in Sachsen an der Realität vorbeiginge, dies ergäbe sich bereits aus einem Blick auf das Elbtal etwa bei Pirna. Diese Aussage ist jedoch schlicht falsch. Sachsens Fließgewässer beschränken sich weder auf die Elbe, noch liegen diese allein in schmalen Gebirgstälern. Schon vor dem Hochwasser 2002 hatte die internationale Kommission zum Schutz der Elbe in deren Verlauf insgesamt 35.000 Hektar als mögliche Flächen für Auenrenaturierungen und Deichrückverlegungen identifiziert. Realisiert oder in Umsetzung begriffen sind weniger als 5 Prozent davon. Nach dem Hochwasser 2002 wurden an der Elbe über 30 Deichrückverlegungsmaßnahmen konzipiert, von denen dann allerdings nur fünf weiterverfolgt wurden.”
Die Bilanz sieht mager aus: ” Sachsen wollte hier ursprünglich 49 Deichrückverlegungsmaßnahmen und Polder mit einem Flächengewinn von jeweils mindestens 5 ha umsetzen. Diese Maßnahmen hätten insgesamt rund 7.500 Hektar Flächengewinn für die Flüsse bei Hochwasser gebracht. 2012 hieß es, dass nur noch 34 Maßnahmen für etwa 5.000 Hektar überhaupt weiterverfolgt würden. Umgesetzt wurden bis zur Juni-Flut 2013 nur zwei Maßnahmen mit insgesamt 114 Hektar, also 1,5 Prozent der ursprünglich geplanten neu wiederhergestellten Überschwemmungsflächen.”
“Es ist gut und wichtig, dass die Landesarbeitsgemeinschaft der anerkannten Naturschutzverbände ihre Kritik am einseitig ausgerichteten, technischen Hochwasserschutz Umweltminister Frank Kupfer (CDU) deutlich ins Stammbuch geschrieben haben”, erklärt Gisela Kallenbach dazu, die umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion.
Dass die regierende CDU dabei immer wieder die Diskussion mit den sächsischen Bauern und Landbesitzern scheut, ist Teil des Dilemmas. Aber ohne diese Diskussion gibt es keine nachhaltige Lösung. Die Flüsse brauchen den Überschwemmungsraum, sonst werden auch die technischen Maßnahmen und vor allem die Schadensbehebungen nach den Fluten immer teurer.
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Am 18. Oktober gab es dazu auch direkte Schützenhilfe von der SPD. “Die heute in Dresden vorgestellten Forderungen der Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz unterstütze unterstütze ich ausdrücklich. Gerade das letzte Hochwasser im Juni hat uns wieder einmal drastisch vor Augen geführt: Gegen Fluten helfen nicht nur Mauern. So wichtig und nützlich sie an bestimmten Stellen zur Abwendung von Gefahren sind, können sie kein Allheilmittel sein”, erklärte Dr. Liane Deicke, umweltpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag.
“Unter Hochwasserschutz wurden in Sachsen in den vergangenen Jahren vorrangig technische Baumaßnahmen verstanden. Der natürliche Hochwasserschutz kam hingegen deutlich zu kurz. Die natürlichen Überschwemmungsflächen sind im Laufe der historischen Entwicklung an Elbe und Mulde um 50 bis 70 Prozent eingeschränkt worden. Durch Baumaßnahmen, Grünlandumbruch und Bodenverdichtung wurde den Flüssen so ein großer Teil der natürlichen, ursprünglichen Überschwemmungsflächen genommen. Jetzt ist es an der Zeit, den technisch-baulichen und natürlichen Hochwasserschutz in eine sinnvolle und wirkungsvolle Balance zu bringen. Dabei muss der natürliche Hochwasserschutz nicht nur an Elbe und Mulde erfolgen, sondern auch an kleineren Flüssen umgesetzt werden.”
Natürlicher Hochwasserschutz lasse sich nicht ohne das Einvernehmen mit den forst- und landwirtschaftlichen Nutzern und Eigentümern der nötigen Flächen machen, betonte sie. “Ich fordere daher die Staatsregierung auf, jetzt den Dialog mit den Eigentümern und Nutzern der Flächen aufzunehmen und mit ihnen Möglichkeiten des natürlichen Hochwasserschutzes auszuloten. Die Einrichtung eines Fonds zur Entschädigung für land- und forstwirtschaftliche Flächen ist in diesem Zusammenhang unerlässlich.”
Ganz explizit fordert der Sächsische Heimatschutz e.V. die Umsetzung eines Entschließungsantrags des Sächsischen Landtages vom Juli 2012, in dem es heißt (Drs.Nr.: 5/9676): “Der Landtag fordert die Staatsregierung auf, (…): (…) b) Strukturverbesserung von Gewässern durch Gewässeraufweitungen und Renaturierung von Gewässerabschnitten, um Flüssen mehr Raum zu geben,(…), f) Der Hochwasserrückhalt in der Fläche auch in der bevorstehenden Förderperiode durch gesetzliche Vorgaben und Nutzung entsprechender Fördermittel weiter gestärkt wird. (…)”.
Die Grünen-Vorschläge für mehr Überschwemmungsflächen an Sachsens Flüssen:
www.gruene-fraktion-sachsen.de/presse/mitteilungen/pm/artikel/pm-2013-202-gruene-legen-17-ne.html?no_cache=1&cHash=0306289445d6d339ff681c1d941523e4
Die Stellungnahme des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz e. V.:
www.saechsischer-heimatschutz.de/fileadmin/Bilder/DieArbeit/Denkschriften/endfassung_stn_hochwasserschutz_kl.pdf
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