Stur kann er sein, der sächsische Verkehrsminister Sven Morlok (FDP), wenn er mit Projekten seines Ministeriums durch die Wand will. In dieser Woche hat er die Liste der für den Freistaat Sachsen "bedeutsamen Fernstraßenprojekte" für den Bundesverkehrswegeplan 2015 (BVWP) beim Bund angemeldet. Eine alte Bekannte tauchte darin auch aus dem Leipziger Umfeld wieder auf: die B 87. In alter Form.

Gegen den Willen der Akteure vor Ort bleibt das Wirtschaftsministerium bei seinen Plänen, die B87 in der vom Ministerium bevorzugten Variante zu planen. Was – der Grünen-Abgeordnete im Bundestag Stephan Kühn hat es oft genug erzählt – auf Jahre hinaus nicht finanzierbar ist. Kühn hat sich auch zur neuen Anmeldeliste des sächsischen Verkehrsministeriums zu Wort gemeldet. Für jenes ist die “Anmeldung im BVWP (…) eine wichtige ‘Schwelle’ bei der Planung, Finanzierung und beim Neu- oder Ausbau von Bundesfernstraßen.”

Eher ein Schwellchen. Wenn überhaupt. Denn anmelden können die Bundesländer alles, was sie wollen oder für vernünftig halten. Das Bundesverkehrsministerium ordnet die Projekte dann nach zwei Kriterien: Dringlichkeit und Finanzierbarkeit. Und da die Förderbudgets seit Jahren schrumpfen und künftig weiter schrumpfen werden, heißt das: Immer weniger Projekte auf der Liste haben eine Chance auf Umsetzung.

Erst recht, wenn schon für andere Projekte Vorrang besteht. Träumen darf ja jeder. Morlok: “Unser Ziel ist eine leistungsfähige, verkehrsträgerübergreifende und umweltfreundliche Infrastruktur, die den Bedürfnissen von Bürgern und Unternehmen gerecht wird. Das sächsische Straßennetz ist bereits gut ausgebaut. Noch sind jedoch einige wichtige Lücken zu schließen”.”

Der Freistaat hat im Landesverkehrsplan 2025 bereits die sächsischen Schlüsselprojekte im Bereich der Bundesfernstraßen definiert und priorisiert. Das vorrangige Projekt ist logischerweise die Fertigstellung der A 72 von Chemnitz nach Leipzig. Von übergeordneter Bedeutung ist für den Verkehrsminister außerdem die Fertigstellung der B 178 als überregionale Verbindungsachse von der A 4 über Polen nach Tschechien. Weitere Schlüsselprojekte sind für ihn die B 169 / B 98 (von der A 14 zur A 13 über Riesa und Grimma), die B 101 / B 173 Ortsumgehung Freiberg, die Verkehrsachsen der B 174 und der B 95 durch das Erzgebirge, sowie die B 107 Südverbund Chemnitz und die B 6 Cossebaude – und eben die B 87.

Für Stephan Kühn, sächsischer Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen und Sprecher für Verkehrspolitik der Bundestagsfraktion, eine Liste der Träume: “Die von Morlok an Ramsauer übermittelte Liste der sächsischen Straßenbauvorhaben dokumentiert eindrucksvoll die Zukunftsverweigerung, die Sachsen in der Verkehrspolitik an den Tag legt. In altbekannter Manier wird wie in der Vergangenheit so getan, als könne der Bund gleichsam mit der Gießkanne über das Land gehen und gleichmäßig Straßenbauprojekte verteilen. Losgelöst von finanzpolitischen Zwängen und den Auswirkungen demographischer Veränderungen wird eine lange Wunschliste nach Berlin geschickt, obwohl jedem verantwortlichen Landespolitiker klar sein müsste, dass die Zeit ungehemmten Straßenbaus weder finanzierbar noch umweltpoltisch verantwortbar ist.”
Kühn hat sich lange genug mit den Geldern beschäftigt, die der Bund noch für Neubauprojekte zur Verfügung stellt. Die simple Rechnung bringt dann dieses Ergebnis: “Die Realisierung der Morlokschen Liste würde etwa 80 Jahre dauern, was einmal mehr zeigt, dass die Verkehrspolitik der schwarz-gelben Landesregierung völlig die Bodenhaftung verloren hat.”

Statt eine Liste mit 71 Wunschprojekten vorzulegen, hätte Sachsen sich auf den tatsächlichen Bedarf, der zudem absehbar finanzierbar sei, beschränken müssen.

“Notwendig ist außerdem ein Umsteuern in der Verkehrspolitik”, sagt Kühn, der durchaus mitbekommt, dass das Geld längst für die Instandhaltung von Straßen und Brücken fehlt. Aber auch im ÖPNV. “Nach mehr als 20 Jahren Straße-Vorrang-Politik brauchen wir endlich stärkere Investitionen in die Schiene, um sie für die Zukunft fit zu machen. Sachsen ist dabei, auch beim kommenden Bundesverkehrswegeplan diese Chance zu verspielen und stattdessen die vorgestrige Verkehrspolitik mit noch mehr Straßen buchstäblich zu zementieren”, sagt Kühn. “Besonders im ländlichen Raum Sachsens hat der demographische Wandel auch immer gravierendere Auswirkungen auf das Verkehrsaufkommen. Bei schrumpfender Bevölkerung und stark rückläufigem Verkehr ist der Bedarf für zahlreiche Ortsumgehungen mittelfristig nicht mehr gegeben. Oft reicht hier der bestandsnahe Ausbau mit innerörtlichen Verkehrsberuhigungen. Doch diese kostengünstigere Variante wird als Alternative noch nicht einmal geprüft.”

Dabei hat sich das Sächsische Verkehrsministerium diesmal sogar ein bisschen Mühe gemacht, einige Projekte auf ihre Sinnhaftigkeit und ihre Erwünschtheit vor Ort zu überprüfen. Das betraf zum Beispiel die geplante vierspurige Fortführung der A 72 ins Leipziger Stadtgebiet, die sowohl von Markkleeberg als auch von Leipzig abgelehnt wurde.

Überprüft wurden insgesamt 82 Projekte, in erster Linie Vorhaben, die im derzeit geltenden Bundesverkehrswegeplan 2003 aufgeführt sind und noch nicht unter Verkehr bzw. im Bau sind, betont das Ministerium. Sieben Vorhaben – darunter die Schlüsselprojekte A 72 (bis Leipzig) und die B 178 – sind für den neuen BVWP durch den Bund schon gesetzt. Werden also auch gebaut oder sind schon im Bau.

Unter den 71 Projekten, für die das Verkehrsministerium nun weiter einen Bedarf sieht, sind auch noch 14 neu anzumeldende Vorhaben. Dazu gehört dann eine Verlegung der B 2 bei Groitzsch, eine Verlegung der B 176 bei Neukieritzsch und eine Verlegung der B 186 westlich von Markranstädt. In beiden Fällen soll ein Bahnübergang beseitigt werden, beide Bahnübergänge sorgten in der Vergangenheit immer wieder für schwere Verkehrsunfälle.

25 Maßnahmen werden in Abstimmung mit den Landkreisen und Kreisfreien Städten nicht mehr für den Bundesverkehrswegeplan 2015 angemeldet. “Bei der Prüfung wurden Kriterien wie beispielsweise Verkehrswirksamkeit, Verkehrsbedeutung und Wirtschaftlichkeit betrachtet, ebenso auch die Auswirkungen und Beeinträchtigungen der Umwelt bei der möglichen Umsetzung des Vorhabens”, betont das Ministerium. Dazu gehörte die Fortführung der B 72 ins Leipziger Stadtgebiet. Was natürlich die Frage aufwirft: Wie nun weiter? – Denn reif für eine Sanierung ist die 40 Jahre alte Trasse. Und im agra-Park steht die Entscheidung zwischen einer Trogvariante und einer Erneuerung der Trägerkonstruktion an.

“Wir werden uns im Zuge der anstehenden Fortschreibung gegenüber dem Bund dafür einsetzen, dass unsere Schlüsselprojekte bis zum Jahr 2025 verkehrswirksam werden”, sagte Sven Morlok noch, obwohl ihm schon sein eigener Taschenrechner verraten würde, dass er bis dahin nicht mal ein Drittel gebaut bekommt.

Die Reaktion von Stephan Kühn: “Ich bin davon überzeugt, dass die Morlokschen Straßenbauträume an den Möglichkeiten des Bundeshaushalts und den Fakten, die der demographische Wandel schafft, zerplatzen werden wie Seifenblasen.”

Die sächsischen Anmeldungen zum Bundesverkehrswegeplan 2015 findet man hier:
www.medienservice.sachsen.de/medien/assets/download/99831

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar