Die Leipziger Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe (33, SPD) wirkte als stellvertretendes Mitglied in dem Untersuchungsausschuss mit, der den NSU-Skandal untersuchen sollte. Sein Abschlussbericht, stolze 1.300 Seiten, dokumentieren das staatliche Versagen bei der Aufklärung von neun Morden, zweier Sprengstoffanschläge und einer Serie von Banküberfällen. Im Gespräch mit L-IZ.de äußert sie sich zur Bedeutung der parlamentarischen Aufklärung für das Bundesland Sachsen.
Haben Sie den Eindruck, dass die deutsche Sicherheitsarchitektur von einem strukturellen Rassismus durchzogen ist?
Rechtsextremismus wurde – das hat der NSU-Untersuchungsausschuss eindrücklich belegt – durch alle Behörden, in allen Bundesländern über einen langen Zeitraum hinweg bagatellisiert. Das ist ein schockierender Befund, auf den die Politik und die Gesellschaft reagieren müssen. Sicherlich mag dies auch an rassistischen Einstellungen einzelner Akteure gelegen haben, einen strukturellen Rassismus zu unterstellen, das trifft meiner Meinung nach nicht den Kern. Ich habe im NSU-Untersuchungsausschuss auch viele Menschen kennengelernt, die sich dezidiert antirassistisch geäußert haben, die versucht haben eine gute Arbeit zu leisten und bei den Morden des NSU trotzdem in die falsche Richtung ermittelt haben.
Vielmehr fehlte es an einer Kultur des Hinsehens und einer Sensibilisierung für das Thema. Und es scheint Strukturen zu geben, die es den Akteuren leicht machen, rassistische und menschenverachtende Motive auszublenden. Da müssen wir ran!
Welche Lehren sollten speziell die sächsischen Sicherheitsbehörden aus der NSU-Affäre ziehen?
Die Landesregierung muss endlich aufhören, das Problem Rechtsextremismus in Sachsen herunterzuspielen. Dazu gehören strukturelle Reformen in LKA und Verfassungsschutz, ebenso wie bessere Schulungen und Sensibilisierungen für die Mitarbeiter/-innen der Sicherheitsbehörden. Aber auch die dauerhafte Förderung der zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen Rechtsextremismus gehörte dazu. Schwarz-Gelb hat jedoch im Gegenteil die Initiativen mit der “Extremismusklausel” gegängelt und das Landesprogramm Weltoffenes Sachsen so umgestaltet, das deutlich weniger Geld für den Kampf gegen Rechtsextremismus zur Verfügung stehen. Das muss wieder geändert werden.
Wie könnte ein Paradigmenwechsel innerhalb der Strafverfolgungsbehörden und der Nachrichtendienste aussehen?
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An erster Stelle wird es darum gehen Vertrauen zurückzugewinnen. Unsere Sicherheitsbehörden können nur dann gut arbeiten, wenn sie das Vertrauen und die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger haben. Dafür muss einerseits ihr Mehrwert deutlich werden und andererseits ihr Handeln auch nachvollziehbar sein. Das gilt ganz besonders für den Verfassungsschutz. Die Verfassungsschutzbehörden in Deutschland brauchen nach all den Vorfällen der Vergangenheit einen Mentalitätswechsel und ein neues Selbstverständnis. Im Bereich der V-Leute brauchen wir eine starke Einschränkung und massive Reformen.
Als SPD plädieren wir zudem dafür, dass im Bereich der Strafverfolgungsbehörden die Polizei verpflichtet ist, in allen Fällen von Gewaltkriminalität, die einen rassistischen oder politisch motivierten Hintergrund haben könnten, diese Frage eingehend zu prüfen ist. Wir wollen in den Ämtern geschulte Demokraten, die sensibel sind für die Gefahren, die unserer Demokratie drohen. Der NSU-Untersuchungsausschuss hat in seinem Abschlussbericht, eine Vielzahl von Empfehlungen abgegeben, wie die Sicherheitsbehörden in Deutschland in Zukunft, effizienter, aber auch transparenter und demokratischer aufgestellt werden können. Viele dieser Forderungen trägt der Ausschuss gemeinsam, in manchem geht die SPD sogar noch darüber hinaus. Nach der Wahl gehen wir an die Umsetzung.
Braucht es in der nächsten Legislaturperiode weitere Aufklärung durch einen weiteren Untersuchungsausschuss?
Der Untersuchungsausschuss des Bundestages hat eine beeindruckende Arbeit geleistet, alle Beweisanträge wurden im Konsens gestellt und sehr weitgehende gemeinsame Beschlüsse gefasst. Die 1.300 Seiten Abschlussbericht dokumentieren das eindrucksvoll. Für die nächste Legislatur wird es darum gehen, die gemeinsamen Beschlüsse in die Tat umzusetzen. In welcher parlamentarischen Form diese Debatte weiter geführt wird, steht noch nicht fest. Ein weiterer Untersuchungsausschuss ist aus meiner Sicht nicht der zielführenste Weg. Klar ist aber, dass das Thema weiter auf der Agenda des Deutschen Bundestages bleibt.
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