Die politische Kommunikation in Deutschland war ja schon in der Vergangenheit keine besondere. Und sie verbessert sich auch in Wahlkampfzeiten nicht. Im Gegenteil, sie wird noch viel stärker zum Klipp-Klapp. Die einen geben ein Thema vor, machen Vorschläge. Keine Stunde dauert es, da gibt es von den anderen das Dementi. Als gäbe es in der Welt immer nur ein striktes Gut/Böse, Dafür/Dagegen, Nur-Links/Nur-Rechts. Und so bekamen auch die Grünen gleich wieder eine Rüge für ihren Vorschlag, in Sachsen mehr Überflutungsflächen zu schaffen.
Am Freitag, 9. August, stellten sie in Dresden ihre Vorschläge für weitere Überflutungsflächen zur Vorsorge im Hochwasserfall vor, nachdem in den vergangenen Wochen mehr als deutlich wurde, dass die Sächsische Regierung vor allem auf teuren Technischen Hochwasserschutz gesetzt hat und auch weiter setzt. Von den ursprünglich 2002/2003 vorgeschlagenen 7.500 Hektar zusätzlicher Überflutungsfälche für Sachsens Flüsse sind bis zur Juni-Flut 2013 ganze 141 Hektar auch umgesetzt worden. Wirklich bauen will die Sächsische Talsperrenverwaltung, in deren Händen die Koordination des Sächsischen Hochwasserschutzes liegt, nur etwas über 1.300 Hektar. Das macht im Fall solcher Extrem-Hochwasser, wie sie Sachsen 2002 und 2013 erlebte, erhebliche Unterschiede aus. Denn solche Überflutungsgebiete oberhalb wirklich wichtiger Engpässe sorgen dafür, dass die Durchflüsse wesentlich geringer bleiben und nicht immer neue “Hochwassermarken” erreicht werden, weil die Pegel der Flüsse immer stärker ansteigen.
Aber für Mike Hauschild, umweltpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag, ist das, was die Grünen nun vorschlagen, einfach abwegig. “Die Vorstellung, in erster Linie durch neue Überflutungsflächen künftige Hochwasser verhindern zu können, ist für Sachsen abwegig. Natürlicher Hochwasserschutz, das heißt, den Flüssen mehr Raum zu geben, ist schon jetzt Teil der sächsischen Hochwasserschutz-Strategie in den wenigen Regionen, wo das geht”, erklärt er einfach mal so, obwohl alle Fakten gegen so eine Behauptung sprechen. “Wichtig aber ist auch der technische Hochwasserschutz, um sächsische Städte und Dörfer vor den Wassermassen zu schützen. Aufgrund der dichten Bebauung und jahrhundertealter Siedlungen am Wasser ist es vielerorts unmöglich, immer neue Überflutungsflächen auszuweisen. Ohne technischen Hochwasserschutz, beispielsweise Schutzmauern in Verbindung mit mobilen Elementen wie Spundwänden und wasser- oder sandgefüllte mobile Deichsysteme können wir Städte wie Dresden, Meißen, Grimma oder Torgau nicht schützen”, meint Hauschild.
Dabei ist Meißen, wo die 2013er Flut über die Hochwasserschutzwand spülte, der deutliche Gegenbeweis, dass der technische Schutz am Ende der Ereigniskette nicht ausreicht. Und zum Thema Grimma schweigen die Verantwortlichen. Denn mit ziemlicher Sicherheit hätten die Juni-Wassermassen die dortige Schutzwand auch überspült – wenn sie denn fertig gewesen wäre. “Statt über Theorie zu sprechen, sollten sich alle darum bemühen, dass Schutzmaßnahmen und entsprechende Planfeststellungsverfahren künftig zügiger umgesetzt werden können”, meint Hauschild. “Im neuen Wassergesetz haben wir beispielsweise zahlreiche Fristen verkürzt und Widerspruchsmöglichkeiten gestrafft, damit im Sinne des Flutschutzes schneller geplant und gebaut kann.”
Das könnte man als politisches Statement einfach so stehen lassen, hätte nicht ausgerechnet die 2013er Flut deutlich gezeigt, dass die Fixierung auf den technischen Hochwasserschutz die Gefahren nicht mindert, sondern bestenfalls flussabwärts verschiebt – in diesem Fall nach Sachsen-Anhalt, wo die überlasteten Deiche brachen.
Die Vorschläge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen umfassen nun 17 neue Überflutungsgebiete – allein an den vier Flüssen Elbe, Zwickauer Mulde, Freiberger Mulde und (vereinigte) Mulde – mit einer Gesamtfläche von insgesamt 3.428 Hektar in ehemaligen Flussauen. Es geht also nicht, wie Hauschild erklärt, um neu zu gewinnende Flächen, sondern um die alten, durch Deiche künstlich abgesperrten Auengebiete der Flüsse.
“Das Juni-Hochwasser 2013 hat gezeigt, dass die Hochwasserschutzpolitik in Sachsen dringend neu ausgerichtet werden muss”, sagt dazu Gisela Kallenbach, umweltpolitische Sprecherin der Fraktion. “Wir brauchen mehr Überflutungsflächen. Technische Bauten allein verschieben die Flut nur auf die Unterlieger. Wir erwarten, dass unsere Vorschläge von der Staatsregierung vorurteilsfrei, sorgfältig und umfassend geprüft werden.”
Und die Grünen haben auch nicht wirklich “neue Projekte” in Vorschlag gebracht, sondern im Wesentlichen solche, die 2003 einfach stillschweigend von der Projektliste gestrichen wurden, weil die Sächsische Talsperrenverwaltung ihre Priorität im Bau technischer Werke sieht.
“Bei den vorgeschlagenen Flächen handelt es sich zum Teil um Erweiterungen der vorgeschlagenen Flächen aus dem sächsischen Hochwasserschutzkonzept, die selber noch immer nicht umgesetzt wurden”, so Oliver Harms vom Auen-Institut Rastatt, das die Untersuchung vorgenommen hat. “Teilweise enthalten die Flächen punktuelle Bebauungen, wie etwa Einzelgebäude, für die spezielle Lösungen gefunden werden müssen. – An den kleineren Flüssen in Sachsen können zudem weitere ehemalige Auenflächen für den Hochwasserschutz reaktiviert werden. Natürliche Auenflächen ohne Schutzgüter sind die besten Hochwasserschutzflächen. Technischer Hochwasserschutz sollte nicht für Waldflächen oder landwirtschaftliche Flächen eingesetzt werden.”
Was übrigens auch den Leipziger Auwald betrifft, der durch solche technischen Bauten künstlich vor den so dringend nötigen Überschwemmungen “geschützt” ist.
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Im sächsischen Hochwasserschutzkonzept waren 2002 noch 49 Maßnahmen mit einem Gesamtumfang von 7.500 Hektar Überflutungsfläche vorgesehen. Im Jahr 2013 wurde bekannt, dass das Umweltministerium sich still und heimlich von etlichen Maßnahmen verabschiedet hatte und nur noch mit 5.000 Hektar Überflutungsfläche plante. Bis zum Jahr 2013 waren nur zwei Maßnahmen mit 141 Hektar umgesetzt.
“Im bisherigen Hochwasserschutzkonzept handelt es sich nur bei 3.113 (von insgesamt 7.511) Hektar um echte Deichrückverlegungen”, so Harms. “Die größten Flächen an Elbe und Mulde werden in der Zwischenzeit als gesteuerte Polder geplant, die sich nur schwer mit bestehenden Schutzgebieten vereinbaren lassen. Dies wird die Planung und die Umsetzung unnötig verlängern. Einige sogenannte Deichrückverlegungen betreffen nur Verwallungen, die schon heute bei kleinen Hochwässern überflutet werden können und deshalb keine Verbesserung des Hochwasserschutzes bringen werden. Das ist Etikettenschwindel!”, so Harms. “Unsere eigenen 17 Vorschläge mit 3.428 Hektar verbessern somit den Umfang des Hochwasserrückhaltes enorm und würden auch die Unterlieger in den anderen Bundesländern, vor allem in Sachsen-Anhalt, besser schützen.”
Gisela Kallenbach schlug vor, dass der Umweltausschuss sich im nächsten Jahr verstärkt für den Hochwasserschutz engagieren solle.
“Ich würde mich freuen, wenn Umweltminister Frank Kupfer und die Landestalsperrenverwaltung ihre Selbstherrlichkeit in der Hochwasserschutzpolitik aufgeben. Denn mit dieser Linie sind sie öffentlich und für alle ersichtlich gescheitert. Die Kommunikation mit den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern muss dringend verbessert werden. Hier und da ist eine Entschuldigung für falsche Schuldzuweisungen angebracht”, sagt die Grünen-Abgeordnete. “Hinsichtlich der Nutzung landwirtschaftlicher Flächen wünsche ich mir eine Änderung der Politik in Sachsen. Eine im Hochwasserfall notwendige Entschädigung ist volkswirtschaftlich günstiger, als Schäden an Ortschaften oder Infrastruktur hinzunehmen.”
Und auch sie ärgert sich über das begründungslose Schweigen aus dem zuständigen Ministerium. “Zudem habe ich noch keine stichhaltige Begründung erhalten, warum die bisher geplanten Hochwasserschutzmaßnahmen von 7.500 auf 5.000 Hektar verringert wurden. Meine Fragen dazu wurden nur unzureichend von der Staatsregierung beantwortet. Das sollte es nach dem erneuten Hochwasser im Juni 2013 eigentlich nicht mehr geben.”
Die Studie zur ökologischen Überprüfung der Hochwasserschutzstrategie des Freistaates Sachsen Teil-2:
www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/HWSK-Sachsen_Teil-2_Bericht.pdf
HWSK-Sachsen-Teil-2-Karten:
www.gruene-fraktion-sachsen.de/25de2b08.l
HWSK-Sachsen-Teil-2-Steckbriefe:
www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/HWSK-Sachsen_Teil-2_Steckbriefe.pdf
Über das WWF-Auen-Institut und Dipl. Geoökologen Oliver Harms:
www.gruene-fraktion-sachsen.de/3d592bc9.l
Kleine Anfrage ‘Finanzielle Ausgaben für Hochwasserschutzmaßnahmen mit Retentionsflächen 2002 bis 2013’ (Gisela Kallenbach, Grüne, Drs 5/12217):
www.gruene-fraktion-sachsen.de/89911f40.l
Kleine Anfrage ‘Stand der realisierten Deichrückverlegungen 2002 bis 2013 – Vorbeugender Hochwasserschutz in Sachsen’ (Gisela Kallenbach, Grüne, Drs 5/12218):
www.gruene-fraktion-sachsen.de/89b31f41.l
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