Kurz kochte nach der Juni-Flut in Sachsen die Diskussion um die seit der "Jahrhundertflut" 2002 getätigten und unterlassenen Hochwasserschutzmaßnahmen in Sachsen hoch. Dann floss sie ab, wie das Wasser. Aber die Frage blieb trotzdem: Warum hat Sachsen nicht die versprochenen Rückhalteflächen gebaut? Und was wurde tatsächlich gebaut?
Die Leipziger Landtagsabgeordnete der Grünen, Gisela Kallenbach, fragte nach. In Vertretung von Umweltminister Frank Kupfer (CDU) antwortete im Juli Innenminister Markus Ulbig (CDU). Und das Ergebnis ist erhellend. Es zeigt, wie die Sächsische Landestalsperrenverwaltung tickt, die für diese Maßnahmen zuständig ist.
Ulbig benennt zwar keine Personen, die da aktiv wurden. Es ist das übliche Versteckspiel. Denn wie wurden die Hochwasserschutzmaßnahmen, die gleich nach der Flut 2002 entwickelt wurden, im Nachhinein gefiltert? Warum wurde ausgerechnet das Paket der 49 geplanten Maßnahmen von Deichrückverlegungen und Poldern derartig eingedampft, dass von ursprünglich geplanten 7.500 Hektar Retentionsfläche an den Flüssen nur 141 Hektar bis zur Juni-Flut 2013 umgesetzt waren?
Ulbig erklärt es so: “Die dort vorgeschlagenen Maßnahmen wurden besonders hinsichtlich ihrer hydraulischen Wirksamkeit vertieft untersucht und weiterentwickelt, was zum Teil zu wesentlichen Änderungen führte.” Ein entsprechendes Untersuchungsergebnis hat die Landesregierung nie vorgestellt. Denn “hydraulische Wirksamkeit” kann Vieles sein – von der Rückhaltung größerer Wassermassen bis zur schnelleren Durchleitung oder dem direkten Schutz von Siedlungen gegenüber eher landwirtschaftlichen Flächen.
Ulbig wird noch etwas konkreter: “Die Vielzahl der in den Hochwasserschutzkonzepten ausgewiesenen Maßnahmen erforderte eine Priorisierung und zeitliche Staffelung der Umsetzung der Hochwasserschutzmaßnahmen. Dabei erhielten vor allem die Maßnahmen eine hohe Priorität, die unmittelbar auf den Schutz von Menschenleben, hohen Sachwerten oder unverzichtbarer Infrastruktur gerichtet waren.” Womit er bestätigt, dass man bei dieser Priorisierung von vornherein die teuren Schutzbauten bevorzugte. Die dann auch den größten Teil der verbauten Millionen in den technischen Hochwasserschutz ausmachten, denn nichts anderes meint Kupfer mit Maßnahmen zum “Schutz von Menschenleben, hohen Sachwerten oder unverzichtbarer Infrastruktur”: Deiche, Wehre, Mauern.
Was ja in Leipzig dazu führte, dass die zuständige Talsperrenverwaltung 2011 mit Verweis auf den “Tornadoerlass” Tausende Bäume im Auwald fällte, teilweise an Gräben und Wällen, die in nichts dem Hochwasserschutz dienen. An den beiden als Polder vorgesehenen Burgauen im Nordwesten wurden die Deiche verstärkt.Die Frage darf man durchaus stehen lassen: Wer hat ab 2003 die Prioritätenliste bestimmt? Und warum flogen ausgerechnet die meisten Projekte über Bord, mit denen die Flüsse wieder mehr Raum bekommen hätten, was viel direkter zum “Schutz von Menschenleben, hohen Sachwerten oder unverzichtbarer Infrastruktur” beiträgt, denn damit sinkt der Wasserspiegel, die ganzen hektischen “Kämpfe um die Deiche” würden sich deutlich reduzieren. Was auch im Notfall wichtige Reserven bewahrt.
Entsprechend kärglich liest sich dann, was an Deichrückverlegungen passiert ist: 101 Hektar an der Mulde bei Eilenburg/Schlossaue (Kosten: 4,4 Millionen Euro), 30 Hektar durch eine Deichentwidmung an der Mulde bei Sermuth (weniger als 100.000 Euro) und 10 Hektar bei Flöha an der Zschopau (700.000 Euro). 141 Hektar von einst anvisierten 7.500 Hektar (1,9 %).
Ulbig hat auch noch die Liste der Hochwaserrückhaltebecken angefügt. Aber auch von diesen geplanten zwölf Becken waren im Juni erst vier mit einer Fläche von 98 Hektar fertig. Solche Rückhaltebecken sind wieder künstliche Bauwerke und entsprechend teurer. Knapp 110 Millionen Euro haben allein diese vier Becken gekostet.
Man hat mit diesen fertigen Maßnahmen insgesamt ein Rückhaltevolumen von 31 Millionen Kubikmetern geschaffen. Die Rückhaltebecken tragen mit knapp 11 Millionen Kubikmetern dazu bei. Nur zum Vergleich: Allein die südliche Burgaue in Leipzig hat im Juni 11 Millionen Kubikmeter Elsterwasser aufgenommen.
Offen in der Fertigstellung sind noch acht Rückhaltebecken mit noch einmal knapp 18 Millionen Kubikmetern Fassungsvermögen.
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Von den 2002/2003 angedachten 7.500 Hektar Retentionsfläche sind nun noch 1.328 Hektar in der Planung geblieben – 29 Maßnahmen an der Zahl, davon eben nur drei umgesetzt. Und während die Talsperrenverwaltung schon wieder allerorten an die Deichreparatur und Deichverstärkung gegangen ist und damit die Gelder wieder auf Jahre in technische Projekte bindet, ist von den verbleibenden 26 Deichrückverlegungen nur eine einzige im Bau. “Vorzeitiger Baubeginn”, heißt es in der Ministerantwort. Es handelt sich dabei um das größte geplante Retentionsgebiet mit 450 Hektar an der Mulde zwischen Wurzen und Eilenburg (Bennewitz/Püchau).
Weitere 21 Projekte befinden sich in Planung – was mit einem Vorlauf von elf Jahren eigentlich auch recht ernüchternd ist, denn solche Planungen könnten längst fertig sein und die Projekte in eine Prioritätenliste eingetaktet. Aber – man sehe die Antwort des Ministers – die Prioritätenliste ist mit technischen Bauwerken verstopft. Für vier Rückhalteräume in der Lausitz gibt es noch nicht einmal Planungsansätze.
Neun der geplanten Deichrückverlegungen betreffen übrigens das Einzugsgebiet der Vereinigten Mulde oberhalb von Grimma, das ja im Juni 2013 genauso jämmerlich absoff wie 2002. Sie umfassen 163 Hektar Retentionsfläche. Selbst wenn die Hochwasserschutzwand in Grimma irgendwann fertig sein sollte, werden sie dringend gebraucht, denn die Wand ist für das ausgelegt, was die Wasserspezialisten ein HQ100 nennen, ein Hochwasser, wie es bisher nur aller 100 Jahre auftrat. Die Ereignisse von 2002 und 2013 werden von den Verantwortlichen aber als HQ150 eingeschätzt – das heißt, dass ihre Pegel die im Bau befindliche Hochwasserschutzwand überspülen würden, so, wie es im Juni in Meißen geschah.
Die Antworten auf die Nachfrage von Gisela Kallenbach zu den Deichrückverlegungen in Sachsen: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=12218&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=2
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