Auf hoher See ist man in Gottes Hand. Vor Gericht auch. Sagt der Volksmund und sieht damit die Unwägbarkeiten eines Prozesses so mancher Überfahrt Magellans in seinen hölzernen Nussschalen gleichgestellt. Obwohl es wohl eher die Hände Berliner Polizisten waren, die den längst beschämenden Prozess um Lothar König vorerst beendeten. Als - scheinbar übersehen von den ermittelnden Dresdner Staatsanwälten - urplötzlich 200 Stunden ungeschnittenes polizeiliches Videomaterial auftauchte, war es zumindest für die kommenden Monate auf einmal vorbei mit der fröhlichen Pfarrerhatz. Nun steht die sächsische Landesregierung, welche die Justiz zu beaufsichtigen hat, unter Feuer.
Eine Menge Worte gingen am heutigen Donnerstag, 11. Juli, im sächsischen Landtag ein und aus. Mal fragende, mal behauptende, die meisten zweifelnd. Es ging um Qualität, Unabhängigkeit, Kontrolle sächsischer Justiz. Gerufen hatte Bündnis 90/Die Grünen unter dem Titel “Prozess gegen Pfarrer König: Anklagen wie es politisch gefällt? Geht so sächsisch?” Zumindest Carsten Biesok, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion sah sich berufen, seinen Parteikollegen und Justizminister Dr. Jürgen Martens in Schutz zu nehmen.
Und irgendwie auch gleich noch das Innenministerium Markus Ulbigs (CDU), allerdings ohne die beiden namentlich zu nennen. Dabei verpasste es der in Oldenburg geborene Jurist nicht, noch einmal kurz die beliebte DDR-Karte zu ziehen.
“Allein, dass wir diese Debatte heute im Landtag führen müssen, offenbart zum wiederholten Male ein vollkommen gestörtes Verhältnis auch der Grünen zum Rechtsstaat. Dass es Gegenstand politischer Meinungsbildung ist, wer wegen welchen Verdachts mit welchem Prozessausgang anzuklagen ist oder nicht, kennen wir vom Politbüro des ZK der SED – in einem demokratischen Parlament ist dies aber fehl am Platze!”, so Carsten Biesok heute schriftlich.
Woher der 1993 in Sachsen angelandete FDP-Politiker die politisch gefärbte Vorverurteilungsjustiz der DDR kennen möchte, mag sein Geheimnis bleiben, in der Sache jedoch verwahrte er sich heute gegen jegliche Kritik am sächsischen Justizwesen. “Wenn Pfarrer König unschuldig ist oder seine Schuld nicht nachgewiesen werden kann, wird er freigesprochen werden. Denn ich sage es ganz klar, auch wenn dies von linker Seite immer wieder an die Wand gemalt wird: Eine politische Justiz, in der Richter weisungsgebunden an politische Vorgaben sind, gibt es in Sachsen selbstverständlich nicht!”
Da kann man zustimmen, denn eben jene Weisungen, womöglich sogar schriftlich, wären in der Tat wenig rechtsstaatlich. Es genügt vollkommen, wenn die Besetzungen von Richterpositionen so enden, dass der Vertreter dieser Zunft im Prozess um Tim H. sinngemäß vernehmen lässt, die Dresdner hätten von solchen Leuten wie dem Angeklagten die Nase voll. Den Willen welcher Dresdner der Jurist da vom Richterstuhl aus zu verteidigen gedachte, bleibt sein Geheimnis. Das etliche Richter- und Staatsanwaltsposten in Sachsen aus den Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern besetzt wurden und werden, ist hingegen keines.
Bei einem gewissen Grundverständnis füreinander bräuchte es also keine “politische Weisung”, sachdienliche Postenbesetzungen würden vollkommen genügen. Wenn diese dann auch noch in einer 23-jährigen Regierungskontinuität vonstatten gehen, muss irgendwann die Frage erlaubt sein, was eigentlich Regierungswechsel in einer Demokratie mit der Personalpolitik Sachsens machen würden.
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Beweise hingegen für die angesichts des derzeitigen Prozessverlaufes im Fall König zumindest teilweise obsoleten Behauptungen Biesoks? Keine. Wären die Bänder nicht aufgetaucht, hätte es schnell eng werden können für den Jenenser Pfarrer. Fragen, warum die polizeilichen Videoaufzeichnungen nicht in die Ermittlungen in der Causa König einflossen? Auch keine. Bei allem Aufwand, welcher bei der Strafverfolgung Königs betrieben wurde, war der Anruf bei den eingesetzten Polizeistaffeln und die Einziehung allen Materials von eben jenem 19. Februar 2011 zuviel verlangt?
Zweifel an der Verhältnismäßigkeit bei dem Urteil gegen Tim H. und dem gesamten Auftreten der Dresdner Staatsanwaltschaft bei den Genehmigungen zu Funkdatenüberwachungen bis hin zur morgendlichen Polizei-Razzia in Abwesenheit des Beschuldigten in der königlichen Pfarrei in Jena durch sächsische Einsatzkräfte?
Nie gehabt. Es ist alles in Ordnung, hier gibt es nichts zu sehen – bitte gehen Sie weiter. Vor Kurzem forderte Carsten Biesok noch, man möge doch die Entscheidung der Vergabe des thüringischen Demokratiepreises an Lothar König überdenken. Bekommen hat ihn König dennoch, offenbar schüttelt man im Nachbarland schon länger die Köpfe über so manche Meldung aus dem sächsischen Regierungslager.
Doch schon der heutige Debatten-Titel sei laut Biesok abstrus: “Bei hinreichendem Verdacht auf schweren Landfriedensbruch muss die Staatsanwaltschaft Anklage erheben – das ist keine Frage des ‘Gefallens’ oder ‘Nichtgefallens’ oder juristisch ausgedrückt: Es gibt da keinerlei Ermessensspielraum.”
Offenbar war jedoch schon eben dieser Verdacht nie wirklich stichhaltig, also “hinreichend” gegeben? Von schwer war nicht die Rede, es wurde von “aufwieglerischem Landfriedensbruch” gesprochen. Was heißen würde – keine direkten Tatbeteiligungen seitens des Pfarrers. Doch längst steht selbst das in Frage. Existentes Polizeimaterial wurde knapp zwei Jahre lang nicht gefunden und ebenso wenig ausgewertet. Polizisten könnten als Zeugen vor Gericht offen gelogen haben? Warum wurde also ermittelt? Weil Lothar König Monate nach der Demonstration im Spiegel “das Maul aufgemacht” hatte?
Das sind zumindest einige der Fragen, welche die sächsische Opposition nun seit fast zwei Jahren umtreiben. Dazu und zu den heutigen Redebeiträgen im Landtag gleich mehr auf L-IZ.de.
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