Nach Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz verfügt die Leipziger Neonazi-Szene 300 bis 350 Mitglieder. Damit stellt die Messestadt zahlenmäßig den Nabel des sächsischen Rechtsextremismus dar. Die allermeisten Leipziger bemerken dies nicht. Dies haben sie ausgerechnet Holger Apfel zu verdanken.Der NPD-Bundesvorsitzende propagiert seit seiner Amtsübernahme im November 2011 den Kurs der "seriösen Radikalität."
Die Neonazi-Partei bemüht sich seitdem verstärkt um Bürgerlichkeit. Allzu offene Anspielungen auf Hitler und Holocaust sollen nach Willen des 42-Jährigen der Vergangenheit angehören. Strategischer Fokus ist der Gewinn von Parlamentssitzen.
Dies mag plausibel klingen. Zwar ist die NPD von der Übernahme politischer Macht weit entfernt. Doch ihre 13 Landtagsmandate in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern spülen der Partei ein paar Millionen Euro in die klammen Kassen. Nebenbei dienen die Fraktionen als solventer Arbeitgeber für besonders engagierte Kameraden.
Bei der offen neonazistischen Basis stießen die Parteikader aus Sachsen und dem Saarland mit dem weichen Kurs teils auf sehr taube Ohren. Kein Wunder. Wer glaubt, Adolf Hitler sei ein großer Staatsmann gewesen, wird diese Einstellung kaum für ein paar Wählerstimmen bedingungslos über den Haufen werfen. Zahlreiche Parteiaustritte waren die logische Konsequenz.
In Leipzig überwarfen sich die Kader der Nachwuchsorganisation “Junge Nationaldemokraten” mit ihrer Mutterpartei. JN-Chef Tommy N. zog sich von der politischen Bühne zurück. Sein heimlicher Stellvertreter, Istvan R., ist heute vornehmlich in der Fankurve des 1. FC Lokomotive anzutreffen. Dort ist er in die rechtsradikale Ultra-Hooligan-Gruppe “Scenario Lok” involviert. Unter den Mitgliedern mehrere Personen, die vor zwei Jahren noch auf beinahe jeder sächsischen Neonazi-Demo präsent waren.
Dies hat sogar der Verfassungsschutz bemerkt, der die Gruppe in seinem Bericht für das Jahr 2012 erstmals erwähnt. Dass “Scenario” zeitweilig das NPD-Büro in der Odermannstraße nutzte, unterstreicht die engen Verflechtungen zwischen (ehemaligem) Parteinachwuchs und dem rechten Flügel der Lok-Szene zu diesem Zeitpunkt.
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Um das ehemalige Abgeordnetenbüro wurde es nach dem Rückzug der “Jungen Nationaldemokraten” und dem Tode des Landtagsabgeordneten Winfried Petzolds im Dezember 2011 ruhig. Bis Sommer 2012 traf sich dort jeden Freitag rechte Kameraden zum Umtrunk. Die geselligen Abende sollen längst passé sein. Der zweigeschossige Flachbau wird indes weiter für Szene-Veranstaltungen, etwa Zeitzeugenvorträge, genutzt, die ein Leipziger Partei-Anhänger unter anderem über Facebook bewirbt. In die Schlagzeilen geriet die “O8” zuletzt im August 2012, als rechte Insassen des Hauses die Sommerfeier eines benachbarten Kunstvereins angriffen.
Das “Aktionsbündnis Leipzig”, der hiesige Ableger des “Freien Netz”, spielt nur noch eine marginale Rolle, wenngleich die Aktivisten ihren Blog bis Januar 2013 regelmäßig mit Beiträgen fütterten. Ende August stellten die befreundeten Dortmunder Kameraden ihren Twitter-Account zur Verfügung, nachdem Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) den “Nationalen Widerstand Dortmund” wenige Tage vor einem geplanten Großaufmarsch verboten hatte. Allerdings verlagerten die Leipziger ihr politisches Engagement zunehmend von der Straße ins Bruno-Plache-Stadion.
Bei Aufmärschen fällt derzeit die “Kameradschaft Leipzig-Möckern” auf. Egal ob Dresden, Chemnitz oder Karlsruhe. Ihre etwa 15 Mitglieder, ausnahmslos Jugendliche und junge Erwachsene, zeigen sich extrem reisefreudig. Daneben existiert die Kameradschaft “Heimattreues Leipzig”, deren rund 10 Anhänger sich wie die Möckerner Gruppe im NPD-Umfeld bewegt.
Leipzigs Neonazis sind laut Bericht des Verfassungsschutzes in erheblichem Maße kriminell. 11 Prozent aller rechtsextremen Delikte in Sachsen sind 2012 in der Messestadt verübt worden. Betrachtet man nur die Gewalttaten, waren es sogar 14 Prozent. Fußball-Delikte ohne erkennbaren rechten Hintergrund erfasst diese Statistik übrigens ebenso wenig wie sonstige Straftaten, die durch Neonazis begangen wurden.
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