Am Dienstag, 25. Juni, um 9.15 Uhr hatte Stanislaw Tillich im Bundestag einen Termin, über den sich normalerweise auch ein sächsischer Ministerpräsident freut: Er durfte zehn Minuten sprechen. Auch wenn es nur um den vom Bundestag diskutierten Fonds für die Flutgeschädigten von 2013 ging, hätte es durchaus eine Rede werden können, die Akzente setzt. Immerhin war Sachsen ja nun schon das zweite Mal binnen elf Jahren von einem "Jahrhunderthochwasser betroffen. Erste Schadensbilanz: 2 Milliarden Euro.

Entsprechend aufmerksam verfolgte der sächsische Bundestagsabgeordnete Stephan Kühn die Rede Stanislaw Tillichs. Es geht ja sichtlich um eine Menge Geld und die Frage: Wie passt sich Sachsen den veränderten Klimabedingungen an? Und zwar auf Jahre und Jahrzehnte hinaus betrachtet.

“Ich schließe mich der Anerkennung und dem Dank, den Ministerpräsident Tillich den vielen ehrenamtlichen und freiwilligen Helferinnen und Helfern, den Hilfsorganisationen und der Bundeswehr ausgesprochen hat, ausdrücklich an”, erklärt nun Kühn nach Hören der Rede. “Allerdings hätte ich erwartet, dass Tillich seine 10-minütige Rede im Deutschen Bundestag nutzt, um zu erklären, welche Lehren aus der Flut insbesondere in Sachsen gezogen werden sollen. Außer Wiederholungen – ?Wir werden den Wiederaufbau nicht stupide vollziehen? – und Allgemeinplätzen kein Wort dazu.”

Denn so wie 2002, als die sächsische Staatsregierung binnen weniger Tage beschloss, ein gigantisches Deichausbauprogramm zu starten, kann man nach dem Juni-Hochwasser 2013 nicht weitermachen. Das hat deutlich genug gezeigt, dass der technische Schutz allein die Gefahr nicht minimiert.

“Mehrere Rednerinnen und Redner haben in der Debatte darauf hingewiesen, dass seit der Flut 2002 in Sachsen weniger als ein Prozent der Mittel für den ökologischen Hochwasserschutz ausgegeben und erst 111 Hektar der ursprünglich geplanten 7.500 Hektar Überschwemmungsflächen geschaffen worden sind. Tillich hätte erklären müssen, welche Rolle dem ökologischen Hochwasserschutz in Sachsen künftig eingeräumt wird. Keine Silbe dazu in seiner Rede”, kritisiert Kühn. “Der Klimawandel bewirkt immer mehr Starkregenfälle, die die versiegelten Böden nicht mehr aufnehmen können und die kanalisierten und eingedeichten Flüsse immer schneller in die bebauten Flussauen transportieren. In keinem Satz hat Tillich den Klimaschutz als zentrale Herausforderung für die Zukunft angesprochen. Ich befürchte, dass Tillich weiter nur vom Wetter und nicht vom Klima spricht und ambitionierter Klimaschutz in Sachsen weiterhin nicht stattfindet.”Die Aufgaben tauchen also in mehreren Politikbereichen gleichzeitig auf – und das Frustrierende dabei ist: Der sächsischen Staatsregierung ist das durchaus bewusst. Sie hat sogar entsprechende Absichtserklärungen und Programme. Das Umweltministerium nimmt regelmäßig zu Themen wie Landverlust, Bodenerosion und Anpassung an den Klimawandel Stellung. Doch die Investitionen fließen nach wie vor in die teuren technischen Bauwerke. Ein Stirnrunzeln der Bauernverbände und der Bauwirtschaft genügen, um jede Umsteuerung in der alten Bau- und Agrarpolitik zu verhindern.

Die Staatsregierung versuchte am Dienstag auch, nachdem schon mehrere Einzelzahlen veröffentlicht wurden, eine Gesamtbilanz der Schäden in Sachsen zu ziehen.

Nach einer ersten vorläufigen Bilanz belaufen sich die unmittelbaren Schäden auf knapp zwei Milliarden Euro, wie der Chef der Staatskanzlei, Johannes Beermann, mitteilte. Er stellte klar, dass es sich dabei nicht um eine endgültige Schadenssumme, sondern um eine Ersterfassung handele.

Die Zahl sei vorläufig und könne sich noch verändern. Beermann sagte, die Schäden seien gravierend, durch die Entschlossenheit und Umsicht der Einsatzkräfte und ungezählten Helfer sei vielerorts aber noch Schlimmeres verhindert worden.

Und er machte deutlich, dass die Staatsregierung das Juni-Hochwasser keineswegs als ein Signal zum Umsteuern auffasst. “Auch die bisherigen großen Anstrengungen und Investitionen in den Hochwasserschutz haben Wirkung gezeigt”, sagte Beermann und verwies auch auf die längeren Vorwarnzeiten der Bevölkerung. Dadurch sei es vielfach möglich gewesen, Hab und Gut rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Auch gebe es – anders als beim Hochwasser im August 2002 – beispielsweise kaum durch Heizöl verursachte Schäden. Eine der Lehren aus dem damaligen Hochwasser war es, Öltanks aus Kellerräumen zu verbannen.

Die größten Schäden meldeten die Kommunen mit rund 780,5 Millionen Euro. Bei Privatpersonen beläuft sich der Schaden auf rund 430,97 Millionen Euro, beim Staat auf 384,8 Millionen Euro, gefolgt von Unternehmen mit 263,3 Millionen Euro, der Landwirtschaft (57,3 Millionen Euro) und den Kirchen (6,05 Millionen Euro).

In den Kommunen liegt der Schwerpunkt auf beschädigten Straßen und Brücken. Insgesamt stark betroffen sind landesweit aber auch Hochwasserschutz-Anlagen. Am schwersten getroffen hat es die Landkreise Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Leipzig und Mittelsachsen mit zusammen knapp 40 Prozent der erfassten Schäden.

Beim Hochwasser 2002 lagen die Schäden in Sachsen bei mehr als sechs Milliarden Euro.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die 2002er Schäden durch mehrere Dammbrüche auf sächsischem Gebiet deutlich erhöht wurden. Diese Brüche blieben aus – dafür sorgte der durchgeleitete Wasserdruck für mehrere große Dammbrüche elbabwärts in Sachsen-Anhalt, wo die Flut auch jetzt noch nicht wirklich abgeklungen ist. In Bitterfeld wurde der Katastrophenalarm erst am Montag, 24. Juni, aufgehoben. Es wird noch Tage dauern, bis Sachsen-Anhalt seine Flutschäden beziffern kann.

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