Der Tanz um die Änderung der Sächsischen Verfassung ist noch nicht ausgestanden. Am 5. Juni, genau in der Zeit, in der sich die Hochwasser durch Sachsens Flüsse wälzten, gab es im Sächsischen Landtag die Anhörung dazu im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss. CDU, SPD, FDP und Grüne hatten den Formulierungen zur Verankerung eines Neuverschuldungsverbots in der Verfassung formuliert und befürwortet. Die Linke hatte zwar mitformuliert - aber dann kein Positivvotum vom Landesverband bekommen.

Was die Fachleute zur geplanten Verfassungsänderung, für die eine Zweidrittelmehrheit im Landtag notwendig ist, sagten, werten nun die Vertreter der einzelnen Fraktionen durchaus unterschiedlich.

Für Prof. Dr. Andreas Schmalfuß, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag, ist das nun alles recht klar: “Die Mehrzahl der Sachverständigen begrüßt ausdrücklich die Aufnahme des Neuverschuldungsverbotes in die sächsische Verfassung. Auch die Ausführungen zur Aufnahme des Generationenfonds in die Verfassung waren sehr positiv und bestätigen damit das Herzensanliegen der FDP nach Absicherung des Generationenfonds und der damit verbundenen bisherigen Vorsorgepolitik in der Verfassung. Ich fühle mich auch hinsichtlich der volkswirtschaftlichen Ausführungen darin bestätigt, dass der Freistaat mit seinem Konsolidierungskurs auf dem richtigen Weg ist. Die ökonomischen Rahmenbedingungen machen es notwendig, dass das Neuverschuldungsverbot in die sächsische Verfassung aufgenommen wird.”

Der Generationenfonds ist der Fonds, den die Sächsische Staatsregierung aufgelegt hat, um die Altersbezüge seiner Beamten künftig zu sichern. Er wird jedes Jahr mit einer halben Milliarde Euro aus dem laufenden Budget gefüllt. 2012 erreichte er den Umfang von 3 Milliarden Euro. Warum diese Art Vorsorge genauso wie ein restriktiver Umgang mit Krediten überhaupt in die Verfassung sollen, begreifen wohl wirklich nur Experten. Denn das Geld, das hier in Fonds gesteckt wird, fehlt tatsächlich zur Finanzierung des aktuellen Personals – die radikalen Kürzungen bei Polizei, Lehrern, Hochschulen usw. haben auch mit dieser Vorsorge-Politik zu tun.

Carsten Biesok, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion: “Ich freue mich, dass durchweg der ambitionierte Wille des Gesetzgebers gelobt wurde, das Neuverschuldungsverbot bereits ab 2014 gelten zu lassen. Das Grundgesetz schreibt hier lediglich 2020 vor. Über die Anregungen, vor allem was im Ausführungsgesetz geregelt werden sollte, wird innerhalb der Ausschüsse in den kommenden Wochen zu diskutieren sein. Für die zahlreichen konstruktiven Hinweise danke ich den Sachverständigen ausdrücklich.”

Sind wirklich alle zufrieden mit der Expertenanhörung?

Auch CDU und SPD zeigten sich nach der Anhörung erst mal zufrieden. Die SPD, weil es ein paar Kröten mehr für die Kommunen geben soll, die CDU, weil “durch die beabsichtigte Verfassungsänderung kein Systemwandel der Finanzbeziehungen zwischen dem Freistaat Sachsen und den Kommunen erfolgt”, wie Marko Schiemann es ausdrückte. Die Taube, die die SPD da in der Hand zu haben glaubt, könnte auch ein kleiner, halbverhungerter Spatz sein.

Die Linksfraktion hat durch das Votum ihres Landesverbandes sogar wieder neue Kritik-Spielräume gewonnen. Sie kann die gut sieben Stunden dauernde öffentliche Expertenanhörung zur Änderung der Sächsischen Verfassung durchaus auch auf kritische Stellungnahmen abklopfen. Und solche haben Klaus Bartl, Obmann der Fraktion im Landtagsausschuss für Verfassung und Recht, und Sebastian Scheel, finanz- und haushaltspolitischer Sprecher der Linksfraktion, durchaus wahrgenommen.

“Die Anhörung hinterlässt eine Menge offener Fragen zur Eindeutigkeit der Verfassungsneuregelungen und insbesondere teils deutliche Widersprüche zwischen Gesetzeswortlaut und Gesetzesbegründung”, stellten die beiden einen der eklatanten Widersprüche fest. “Schon deshalb bedarf der Gesetzentwurf jetzt einer sehr gründlichen Beratung in den beauftragten Ausschüssen. Ein Vorgehen nach dem Prinzip ‘Augen zu und durch’, ist der falsche Weg. Und zu suggerieren, dass es sich um einen ‘in Stein gemeißelten Kompromiss’ handeln würde, ist zudem verfassungsrechtlich riskant. – Wir haben begründete Zweifel, dass sich das ambitionierte Zeitmodell zur Verabschiedung des Gesetzes durchhalten lässt und die bisher praktizierte Hoppla-Hopp-Methode die richtige ist. – Da zudem ein Teil der Abgeordneten und Sachverständigen aufgrund der Hochwasserkatastrophe gar nicht an der Anhörung teilnehmen konnten, behalten wir uns zunächst vor, allen geladenen Experten weitere schriftliche Fragen zu stellen, um danach den weiteren Umgang mit dem Gesetzentwurf in der Fraktion zu beraten.”

Und auch bei Grünen und SPD dürfte sich so langsam das Gefühl breit machen, dass man die Chance, die dieser Wunsch von CDU und FDP nach einer Verfassungsänderung bot, schlichtweg versiebt hat. Eine Chance, die so bald nicht wiederkommt. Denn wenn die einen ihr “Neuverschuldungsverbot” in der Verfassung verankert sehen wollen, warum sollen sie dafür nicht Zugeständnisse für deutlich mehr Bürgerbeteiligung machen, wie es Grüne, Linke und SPD im Vorfeld eigentlich wünschten – dann aber aus irgendwelchen Gründen nicht durchsetzen konnten.
Grüne wollen mehr Bürgerbeteiligung in der Verfassung

Die Grünen jedenfalls melden jetzt deutlich an, dass sie sich eine richtige Modernisierung der Sächsischen Verfassung wünschen. In dieser Woche wollen sie einen Gesetzentwurf einbringen, der ihre wichtigsten Vorschläge zur Änderung der Sächsischen Verfassung umfasst.

“Wir wollen die Gestaltungsrechte der Bürgerinnen und Bürger durch die Senkung der Hürden bei der Volksgesetzgebung stärken, eine entschiedenere Ausrichtung auf den Klima-, Biodiversitäts- und Ressourcenschutz sowie zeitgemäße Informationsgrundrechte in der Verfassung verankern”, erklärt Johannes Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion, dazu. “Statistisch gesehen findet der nächste Volksentscheid in Sachsen erst wieder im Jahre 2036 statt. Das liegt nicht etwa an der Zufriedenheit der Menschen, sondern auch an zu hohen Hürden für die Volksgesetzgebung. Sachsen gehört zur Gruppe der Bundesländer mit den höchsten Quoren für Volksentscheide. Eine Herabsetzung des Quorums gehört daher zu einer demokratiepolitisch notwendigen Staatsmodernisierung im Freistaat Sachsen.”

In Sachsen gab es bisher nur im Jahre 2001 einen Volksentscheid. Und selbst den akzeptierte die Sächsische Regierung im Nachgang nicht. Es ging damals um die Schaffung jenes Sparkassenverbundes, der die internationalen Finanzspiele der Sachsen LB erst ermöglichte. Die Sachsen stimmten mehrheitlich gegen den Gesetzentwurf der Staatsregierung. Die legte dann einfach nach dem Entscheid ein neues Gesetz vor. Das Ergebnis bezahlen die Sachsen teuer: mit mindestens 2,75 Milliarden Euro.

Im Bundesländervergleich der gesetzlichen Regelungen zur Volksgesetzgebung auf Landesebene erreicht der Freistaat Sachsen zwar insgesamt Platz 5, das aber nur mit der Gesamtnote “ausreichend”. Der Abstand zu den Spitzenreitern ist in den vergangenen Jahren durch die fehlende Reformbereitschaft größer geworden. Insbesondere wurde Sachsen von Thüringen überholt.

Darüber hinaus erhält Sachsen für das in der Verfassung geregelte Unterschriftenquorum eine noch schlechtere Note, nämlich “mangelhaft”. Höhere Quoren gibt es derzeit lediglich noch in Hessen und dem Saarland, mit jeweils 20 Prozent, und Baden-Württemberg (ein Sechstel der Wahlberechtigten – 16,7 Prozent).

“Nach mehr als 20 Jahren ist eine Modernisierung der Verfassung durch Anpassung an neue Erkenntnisse und die allgemeine Rechtsentwicklung geboten”, sagt Lichdi.

Prinzipielle Zustimmung zu diesem Vorstoß bekommen die Grünen von den Linken, die aber in einem Alleingang keine Chance sehen.

“Es besteht Einigkeit in der demokratischen Opposition über Modernisierungsbedarf der an sich guten sächsischen Verfassung, die mit Bedacht den Erfordernissen der Gegenwart angepasst werden sollte. Das Verbandsklagerecht für anerkannte Umweltverbände, der erleichterte Zugang zu Verwaltungsakten und die Senkung der Hürden für Volksbegehren sind Ziele, die auch von den Linken in Sachsen seit langem vertreten werden. Insofern begrüßen wir den Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfes”, sagt Rico Gebhardt, Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag. “Nun braucht man für die Änderung der Landesverfassung eine Zweidrittelmehrheit, also die Stimmen von mindestens 88 Abgeordneten – das mehr als einjährige Ringen um Aspekte der Finanzverfassung hat gezeigt, wie schwierig das zu erreichen ist. Ob es daher sinnvoll ist, nun als Fraktion mit neun Abgeordneten ohne Abstimmung mit anderen vorzupreschen, müssen die Grünen selbst beantworten. Ich habe mich wiederholt dafür ausgesprochen, noch in diesem Jahr in eine weitere Runde der Verständigung über Verfassungsänderungen einzutreten.”

Und er betont: “In diesem Sinne würde ich es begrüßen, wenn die fünf demokratischen Fraktionen wieder miteinander ins Gespräch kommen. Meine Fraktion wird sich darauf vorbereiten.”

Wobei es wahrscheinlich keineswegs klug wäre zu warten, bis das Paket zum “Neuverschuldungsverbot” beschlossen ist. Denn die Chance, mehr Bürgerbeteiligung durchzusetzen, besteht nur, wenn auch CDU und FDP noch Grund sehen, Zugeständnisse zu machen. Danach sind alle Messen gesungen.

1. Gesetz zur Modernisierung der Verfassung des Freistaates Sachsen (Drs. 5/12162): http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=12162&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=1

Die Rankings zum Volksentscheid findet man hier: www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/2010-ranking-mehr-demokratie.pdf

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