Am Ende fand dann auch die Opposition im Sächsischen Landtag nicht mehr die Kraft, ihre Kritik in die Welt zu senden. Sachsen hat sein Wahlgesetz geändert. Die Mehrheit der Abgeordneten im Landtag hat am Mittwoch, 15. Mai, dem Entwurf der Staatsregierung für das "Fünfte Gesetz zur Änderung des Sächsischen Wahlgesetzes" zugestimmt. Man hatte sich die Köpfe zerbrochen über den verstärkten Einsatz der sächsischen Polizei im Internet. Ein echtes Feigenblattthema im Rahmen der Polizei-Spar-Politik. Und dann wurde auch noch das neue Wahlgesetz beschlossen. Mit allen seinen Haken und Ösen.

Auch wenn der stellvertretende Vorsitzende des Arbeitskreises Innenpolitik in der CDU-Fraktion Christian Hartmann in seiner Landtagsrede betonte: “Das neue Wahlgesetz ist gesetzes- und verfassungskonform. Das haben bereits die Sachverständigen in der Anhörung am 21. März 2013 festgestellt. Es trägt der demografischen Veränderung in unserem Land Rechnung und gestaltet sich in der Bevölkerungsstruktur ausgewogen.”

Die Stimmen in der Anhörung waren durchaus kontrovers gewesen. Und ob die Wahlkreiszuschnitte wirklich so verfassungskonform sind, haben auch mehrere Sachverständige bezweifelt.

Notwendig wurde das neue Wahlgesetz, weil die demografische Entwicklung in Sachsen eigentlich schon seit Jahren einen Neuzuschnitt der Wahlkreise erfordert. Insbesondere die Großstädte Leipzig und Dresden waren schon bei den jetzigen Zuschnitten der Wahlkreise deutlich unterrepräsentiert. Das ändert sich ein wenig, aber die neuen Zuschnitte sind wieder so bemessen, das schon jetzt absehbar ist, dass nach der Landtagswahl 2014 die Diskussion um die Wahlkreise neu beginnen wird – und auch muss.

Statistisch – mit den vorläufigen Einwohnerzahlen vom Dezember 2012 – kämen auf einen Wahlkreis (und damit einen zu wählenden Direktkandidaten) 68.950 Einwohner. Auf die 1,5 Millionen Einwohner im Direktionsbezirk Chemnitz entfielen also rechnerisch 21,76 Wahlkreise. Das ist mit 22 Wahlkreisen im neuen Gesetz relativ genau abgebildet. Im Direktionsbezirk Dresden kommen auf 1,37 Millionen Einwohner rechnerisch 19,91 Wahlkreise. Auch das ist mit 20 Wahlkreisen relativ genau bedacht.

Im Direktionsbezirk Leipzig, wo 1 Million Menschen leben, müssten es rechnerisch 14,63 Wahlkreise sein. Aber hier wurde dafür abgerundet – es gibt nur 14 Wahlkreise und damit 14 Direktkandidaten aus dem Leipziger Raum.
Nach dem neuen Wahlgesetz verlieren die Stadt Chemnitz und der Landkreis Görlitz jeweils einen Wahlkreis, formuliert die CDU-Fraktion die Veränderungen. “Dafür erhalten die Landeshauptstadt Dresden und der Landkreis Nordsachsen einen hinzu. Die Wahlkreise in Leipzig werden neu zugeschnitten. Die Neuordnung war notwendig, weil sich die Bevölkerungsstruktur in Sachsen in den vergangenen Jahren verändert hat. So ist beispielsweise die Einwohnerzahl in Dresden stark angestiegen, während sie im Landkreis Görlitz abgenommen hat.”

Christian Hartmann: “Die Kritik der Opposition zu den neuen Wahlkreiszuschnitten ist völlig unbegründet und reine Wahlkampftaktik. Die Staatsregierung hat einen vernünftigen sowie fachlich und organisatorisch begründeten Vorschlag unterbreitet, der von allen Experten bestätigt wurde. Die Änderung des neuen Wahlgesetzes ist also keine Weltverschwörungstheorie, sondern das Ergebnis des demografischen Wandels.”

Hat sie nicht wirklich. Denn bei den Zuschnitten der drei Wahlkreise in Dresden, Chemnitz und Leipzig hat man die Wahlkreisgrenzen so definiert, dass sich die Chancen der CDU-Kandidaten, hier das Direktmandat zu erringen, deutlich erhöhen – während die Chancen eines grünen Direktkandidaten (in Dresden) und zweier Linker Kandidaten (Chemnitz und Leipzig) deutlich verringern.

In Leipzig betrifft das den Wahlkreis Leipzig 3 mit dem Stadtteil Leipzig-West, also Grünau, wo in den vergangenen Jahren der Linke-Kandidat Dietmar Pellmann das Direktmandat gewinnen konnte. Zum Wahlkreis gehören nun Teile des Stadtbezirks Südwest (ohne Plagwitz und Schleußig) und Teile von Altwest mit Burghausen-Rückmarsdorf.

Der von der CDU erwähnte Zugewinn für den Landkreis Nordsachsen gleicht nur ein Manko aus, das schon in der Vergangenheit dafür gesorgt hat, dass der Direktionsbezirk Leipzig im Landtag völlig unterrepräsentiert war. Den Wahlkreis im Leipziger Norden teilten sich Leipzig und der Landkreis. Was für Leipzig zwar rechnerisch 6,5 Wahlkreise ergab – faktisch aber nur zu sechs wirklichen Leipziger Direktkandidaten führte.

Nach den Zahlen vom Dezember 2012 aber stünden Leipzig nicht nur 7 volle Direktmandate zu, sondern sogar 7,86. Die Anpassung an die tatsächliche Bevölkerungsentwicklung erfolgt also tatsächlich nicht. Die beiden Landkreise Leipzig und Nordsachsen sind mit 4 (rechnerisch 3,82) und 3 (rechnerisch 2,94) Wahlkreisen relativ punktgenau versorgt. Die Großstadt Leipzig ist es wieder nicht. Statt der durchschnittlichen 68.950 Einwohner pro Wahlkreis sind es hier 77.445. Die Wahlstimme der Leipziger ist also wieder weniger wert als etwa die in den Landkreisen.

Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Leipzig bei der aktuellen Bevölkerungsbewegung um Herbst 2014 sogar volle 8 Direktmandate zustehen würden. Und auch müssten. Da bei den nun auch wieder gewählten Wahlkreiszuschnitten die Chancen der CDU steigen, alle 60 Direktmandate im Landtag zu erringen, ist auch der Folgeeffekt ziemlich sicher: Da die prozentualen Wahlanteile auch im Proporz im Landtag ausgeglichen werden müssen, die CDU aber mit ziemliche Sicherheit nicht die notwendigen 50 Prozent der Stimmen, die den 60 Mandaten entsprächen, gewinnen wird, wird die Zahl der Ausgleichsmandate wieder anschwellen. Die 12 Ausgleichsmandate 2009 waren schon ein “Rekord”, der sichtbar machte, wie renovierungsbedürftig das sächsische Wahlgesetz war.

Mit dem neuen Wahlgesetz wird daran leider nichts geändert. Der sächsische Landtag wird ohne Not aufgeschwemmt. Und die Großstädte bleiben unterrepräsentiert.

Das Wahlgesetz:
http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=10938&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=1

Die vorläufigen Einwohnerzahlen vom Dezember 2012:
www.statistik.sachsen.de/download/010_GB-Bev/VBev_122012_Kr.pdf

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar