Am 15. Mai wurde im Sächsischen Landtag der CDU/FDP-Antrag "Polizeipräsenz im Internet erhöhen - Soziale Netzwerke zur Polizeiarbeit nutzen!" behandelt. Ein Antrag wie aus der Wunschkammer des braven Bürgers, der das Internet sowieso für eine gefährliche Welt hält und sich jetzt auch dort ein paar präsente Ordnungshüter wünscht. Und so eine Art Kooperation zwischen wachsamem Bürger und aufmerksamer Polizei. Und der naive Glaube an die "sozialen Netzwerke".
“Das Informationsverhalten von vielen von uns ist ein gänzlich anderes als noch in den 90er Jahren”, stellte denn auch Benjamin Karabinski, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag, fest. “Für die tägliche Berichterstattung spielt neben Tageszeitung, Fernsehen und Rundfunk das Internet in Gestalt von verschiedenen Portalen eine immer wichtigere Rolle. Anlass genug für die beiden Koalitionsfraktionen, vom zuständigen Innenministerium einen umfangreichen Bericht über den derzeitigen Stand des Einsatzes des Internets bei der Arbeit der sächsischen Polizei einzuholen. Weiterhin regen wir die Prüfung einer zentralen Präsenz der sächsischen Polizei in sozialen Netzwerken an.”
Twitter zum Beispiel. Das Netzwerk haben die beiden Koalitionen in ihrem Antrag extra genannt, geradezu fasziniert von der Zahl von 2,4 Millionen aktiven Nutzern im 2. Quartal 2012. Oder gar den 24,34 Millionen Facebook-Nutzern. Was für eine Menge! Da könnte doch die sächsische Polizei …
“Wir wollen – nach ermutigenden Erfahrungen in anderen Bundesländern – Neuland betreten”, meint Karabinski. “So wie das ZDF 1967 Neuland mit der Sendung ‘Aktenzeichen XY ungelöst’ betreten hat. Anfangs angefeindet, als ‘faschistoid’, Denunziantentum und Menschenjagd verleumdet, gibt es diese Sendung heute immer noch, die in fast fünf Jahrzehnten zahlreiche Erfolge bei der Aufklärung schwerer Straftaten vorzuweisen hat.”
Also eine Art “Aktenzeichen XY ungelöst” im Internet?
“Unser Ziel ist es nun, dass die sächsische Polizei Facebook zur Aufklärung von Straftaten, zur Suche von vermissten Personen und auch zur Unterstützung für Fahndungen nach flüchtigen Personen nutzt – und ebenso für Veranstaltungen des Polizeiorchesters wirbt oder Stellenanzeigen einstellt. Und vielleicht auch Blitzermeldungen. Denkbar und möglich ist hier vieles. Wichtig ist, dass die Polizei das Potenzial von Facebook nutzt – unter Einhaltung aller datenschutzrechtlicher Bestimmungen, so wie es in anderen Bundesländern bereits erfolgreich umgesetzt wird.”
Vorbild ist eindeutig das Bundesland Niedersachsen, wo die Facebook-Fahndung 2012 landesweit eingeführt wurde, nachdem sie vorher in der Landeshauptstadt Hannover getestet worden war.
Karabinski: “Um es abschließend deutlich zu sagen: Es geht um die Kooperation der Polizei mit den Bürgern, um deren Mithilfe bei der Suche nach Vermissten und bei der Aufklärung von Straftaten, um die Imagepflege der Polizei. Nicht aber geht es um eine Überwachung von sozialen Netzwerken oder gar das Ausspähen persönlicher Daten!”
Und auch die CDU sieht in den “Social Media” Arbeitsfelder für die sächsische Polizei. Der stellvertretende Vorsitzende des Arbeitskreises Innenpolitik in der CDU-Fraktion Christian Hartmann dazu: “Immer mehr Menschen nutzen heute soziale Netzwerke oder Nachrichtendienste im Internet. Deshalb muss auch die Polizei auf diesem Bereich aktiver werden. Für die Beamten bietet sich hier die Chance, die schnelle und öffentlichkeitswirksame Verbreitung von Nachrichten bei ihrer alltäglichen Arbeit unterstützend einzusetzen. Selbstverständlich ist der Schutz von persönlichen Daten bei jedem Einsatz, beispielsweise zu Fahndungszwecken, vollumfänglich sicherzustellen. Nicht nur die guten Erfahrungen in anderen Ländern, wie beispielsweise in den USA sprechen dafür. Auch in Sachsen haben wir im Bereich Internet-Polizei gute Erfahrungen gemacht. So hat die umfangreiche Information über Facebook, Twitter und Co. am 13. Februar dieses Jahres in Dresden dazu beigetragen, dass die Situation bei den Protestkundgebungen rechter Gruppen und Gegendemonstranten nicht eskaliert ist und die Bevölkerung in Dresden zeitnah und umfangreich informiert war.”
Für die Opposition ist das Ganze nicht mehr als ein Placebo. Dr. André Hahn, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Landtag, kritisierte gleich mal in seiner Landtagsrede, dass die gestellten Fragen nicht im zuständigen Fachausschuss gestellt wurden. Und warum das Ganze überhaupt dem Landtag vorgelegt wurde: “Die geltende Rechtslage ist doch ganz eindeutig: Für die Nutzung sozialer Netzwerke bedarf es keines Landtagsbeschlusses. Unter Beachtung der geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen hätten Sie hier schon seit Jahren aktiv werden können. Andere Bundesländer sind diesbezüglich schon lange sehr viel weiter als Sachsen.”
“Es wäre geradezu fahrlässig, moderne Informations- und Kommunikationsinstrumente nicht zu nutzen. Allein mit ‘Aktenzeichen xy’ kann man in der heutigen Zeit nicht mehr nach Straftätern fahnden. Aber wir kennen natürlich auch die Risiken des Internets, im Gegensatz zum Innenminister dieses Landes, der dem Vernehmen nach jüngst im NSU-Untersuchungsausschuss nicht einmal beschreiben konnte, was das Internet eigentlich ist. – Und deshalb fordern wir die Koalitionäre auf, die kritischen Anmerkungen des Sächsischen Datenschutzbeauftragten ernst zu nehmen. Strafverfolgung ist und bleibt eine hoheitliche Aufgabe des Staates und kann deshalb nicht eben mal so auf private Internetfirmen übertragen werden. Der Antrag von CDU und FDP wäre eigentlich nicht notwendig gewesen – dazu habe ich eingangs gesprochen -, er richtet aber momentan auch keinen Schaden an, weil er lediglich einen Bericht fordert und einen Prüfauftrag auslöst. Da eine Vor- oder gar endgültige Entscheidung mit dem vorliegenden Antrag eben nicht verbunden ist, werden wir bei der Abstimmung mit ‘Enthaltung’ votieren.”
Und er nannte auch den Grund für die Enthaltung: Im Antrag ist kein einziges Wort dazu enthalten, wer denn die gewünschte verstärkte Internetpräsenz künftig personell betreuen soll. Denn nun auch noch mehrere Polizisten für die Betreuung der “Social Media” abzustellen, wo sie schon längst im Einsatz auf den Straßen fehlen, macht natürlich auch Polizeiarbeit zum Placebo. Sie ist dann online so schön präsent wie in Niedersachsen – aber auf der Straße nicht.
André Hahn: “Meine Damen und Herren der Koalition, Sie müssen endlich begreifen, dass es schlichtweg unmöglich ist, der Polizei immer neue Aufgaben zu übertragen und zugleich mehr als 2.400 weitere Stellen abbauen zu wollen. Das kann nicht funktionieren, und auch deshalb können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.”
Und so sieht es auch Eva Jähnigen, die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. “Sie haben es diesmal mit der Polizeiarbeit. Auf den ersten Blick denkt man: Endlich, es gibt so viel zu tun: Dienstrechtsreform, Polizeikontrolle, Tarifabschluss, Bekämpfung des Rechtsextremismus… Und dann liest man diesen Antrag und denkt: ‘Aha, die Polizei soll also mehr twittern.’ Das geht ja wohl an den tatsächlichen Problemen vorbei”, sagte sie in ihrer Rede. “Dieser Antrag ist einfach lächerlich. Wer Twitter, Facebook und andere soziale Netzwerke regelmäßig und sinnvoll nutzt, weiß: das macht Arbeit. Äußert sich eine Behörde, reicht es nicht, einfach den Pressesprecher zu verpflichten. Die Veröffentlichungen müssen abgesprochen und bearbeitet, Namen anonymisiert und Prioritäten festgelegt werden. – Das kostet Zeit. Gerade die fehlt aber zusehends. In den kommenden Jahren werden kontinuierlich weitere 2.015 Stellen bei der Polizei abgebaut – schwerpunktmäßig bei der Kripo. Mit dem Antrag zur Grenzkriminalität, den wir hier morgen diskutieren, versuchen Sie, polizeiliche Aufgaben auf Private oder Kommunen zu schieben. Offenbar sehen Sie selbst, dass die Polizei nicht mehr alle Kernaufgaben wahrnehmen kann. Aber warum erschaffen Sie mit diesem Antrag auch noch zusätzliche Aufgaben?”
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Und so erfolgreich sieht sie das zitierte Vorbild auch nicht. Jähnigen: “Dabei gibt es Negativbeispiele zu den benannten Fahndungserfolgen aus Niedersachsen. So titelte das Handelsblatt am 25. Juli 2012: ‘Fahnder steigern Bekanntheit vermeintlicher Kinderporno-Seite’. Grund war die Veröffentlichung der Seite auf Facebook durch die Polizei. – Datenschutzrechtlich problematisch ist die Veröffentlichung von Daten Verdächtiger in sozialen Netzwerken, die sind aber z.B. bei Fahndungsaufrufen unvermeidlich. Dadurch droht eine Stigmatisierung. Einfach nur naiv erscheint der in der Presse zitierte Vorschlag von Herrn Karabinski, durch Deaktivierung der Kommentarfunktion Beschimpfungen zu vermeiden. Da jeder Nutzer einen neuen ‘content’ kreieren kann, sind virtuelle und reale ‘Hetzjagden’ dennoch möglich.”
Die Koalition wolle zwar absichern, dass der verstärkte Einsatz sozialer Netzwerke in der Polizeiarbeit “unter strenger Berücksichtigung des Datenschutzes” zu prüfen sei, aber das könne nicht beruhigen. Jähnigen: “CDU und FDP verkennen, dass es sich bei Sozialen Netzwerken um einen eigenen Kommunikationsraum handelt, dessen Nutzer berechtigte Vertraulichkeitserwartungen in ihre Kommunikationspartner haben. Dieses Vertrauen in die Integrität der Kommunikationsbeziehungen in sozialen Medien wird durch ermittelnde Polizeibeamte erheblich erschüttert. – Und schließlich – darauf hatte Herr Schneider, Sprecher des sächsischen Datenschutzbeauftragten, bereits hingewiesen: Der Staat bedient sich bei der Facebook-Fahndung Privater, mehr noch, er unterwirft seine Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsmaßnahmen im Netzwerk den Nutzungsbedingungen des Anbieters. Der Nutzung der Daten und Ermittlungsergebnisse für Eigeninteressen dieser Firmen, etwa die Erstellung schwarzer Listen, werden Tür und Tor geöffnet. – Wir werden dem Antrag deshalb ablehnen. Er ist in seinen Folgen gefährlich für die Bürgerrechte. Geht es lediglich um Imagepflege, ist er überflüssig.”
Der CDU/FDP-Antrag “Polizeipräsenz im Internet erhöhen – Soziale Netzwerke zur Polizeiarbeit nutzen!” im Internet: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=11885&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=-1
Die “Zeit” zur Facebook-Fahndung in Niedersachsen: www.zeit.de/digital/datenschutz/2012-02/facebook-fahndung-hannover
Die Facebook-Fahndung der Polizei Hannover: https://de-de.facebook.com/PolizeiHannover
Die Facebook-Fahndung der Polizei Niedersachsen: www.facebook.com/LandeskriminalamtNiedersachsen
Zu einigen datenschutzrechtlichen Problemen nahm das niedersächsische Innenministerium Stellung: www.mi.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=14797&article_id=103611&_psmand=33
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