Über diesen Fauxpas wird in Justizkreisen noch lange gesprochen werden. Weil knapp eine Woche vor Beginn des umstrittenen Prozesses gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König ein rund 100-seitiges Aktenkonvolut auftauchte, von dem die Verteidigung bis dato keine Kenntnis hatte, musste die Verhandlung abgesagt werden. Kaum wurde das Debakel bekannt, zerreißen sich Königs Unterstützer die Mäuler, während die sächsische Justiz wieder einmal bedeppert im Regen steht.
“Erneut muss sich das Dresdner Amtsgericht den Vorwurf gefallen lassen, unprofessionell zu arbeiten”, wettert Jens Thöricht. “Rein zufällig wurden der Verteidigung über 100 Seiten der Akte vorenthalten. Ob Absicht oder nicht sei dahingestellt, auf alle Fälle zeugt es von Unprofessionalität und Dilettantismus”, so der antifaschistische Sprecher der sächsischen Linkspartei.
Kritik kommt auch aus dem Sächsischen Landtag. “Einmal mehr scheinen die sächsischen Behörden unterstreichen zu wollen, dass ihr gemeinsames Motto lautet: ‘Demokratie? Ohne uns! Rechtsstaat? Nicht mit uns!'”, spottet Kerstin Köditz (Die Linke). Wenn wenige Tage vom dem geplanten Prozessbeginn in einem vom Anfang an fragwürdigen Verfahren gegen Pfarrer Lothar König wegen “aufwieglerischen Landfriedensbruch” und anderer Straftaten plötzlich ein Konvolut von rund 100 Seiten sowie Videomaterial auftaucht, das der Verteidigung bisher vorenthalten worden ist, würde dies einerseits die Zweifel an der juristischen Stichhaltigkeit der Vorwürfe mehren.
Andererseits verstärke der Vorgang den Verdacht, dass es sich um ein ausschließlich politisch motiviertes Verfahren handele. Die Dresdner Staatsanwaltschaft wirft darin König vor, am Rande eines geplanten Neonazi-Aufmarschs am 19. Februar 2011 in der Landeshauptstadt Antifaschisten zu Krawallen gegen Polizisten aufgestachelt zu haben.
Die strittigen Unterlagen waren erst nach Anklageerhebung entstanden, jedoch der Verteidigung bei verschiedenen Aktenübersendungen vorenthalten worden. “Die Verteidigung hat daraufhin den Abteilungsrichter mit diesem Aktenfund konfrontiert und ihm Gelegenheit gegeben, bis zum 18. März 2013, 14:00 Uhr bei der Verteidigung eingehend dazu Stellung zu nehmen, wann diese Blätter von wem auf welchem Wege zur Akte gegeben wurden und warum diese nicht der Verteidigung zugänglich gemacht wurden”, teilte Königs Verteidiger Johannes Eisenberg am Montag mit. “Der Richter sah sich dazu innerhalb der Frist außer Stande und hat angekündigt, diese Frage klären zu wollen.” Das plötzliche Auftauchen von über hundert zusätzlichen Dokumenten gibt in der Tat Rätsel auf. Warum fügte die Dresdner Staatsanwaltschaft die Beweismittel nicht wie üblich in die Akte ein und gab sie der Verteidigung zur Kenntnis? Wollte die Behörde etwa mit gezinkten Karten spielen? Diesen Fragen muss das Dresdner Amtsgericht jetzt auf den Zahn fühlen, um seine Integrität zu bewahren.
Die Aktenpanne ist ein erster Triumph für Königs Unterstützer. Sie rufen trotz des geplatzten Prozessauftakts zu einer Kundgebung auf. Ab 9 Uhr möchten sie sich vor dem Amtsgericht treffen. Lothar König hat sein Erscheinen angekündigt. Um 12 Uhr möchte der Pastor eine Andacht unter freiem Himmel abhalten.
Keine Kommentare bisher