Seit August liegt der "Verfassungsschutzbericht 2011" des Sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz in gedruckter Form vor. Er ähnelt den Vorgängern, ist 240 Seiten dick. 24 Seiten hätten für das, was die sächsischen Verfassungsschützer zu berichten haben, auch ausgereicht. Und eine davon hätte sich eigentlich für eine große Entschuldigung angeboten.

Denn der Bericht zeichnet sich durch zwei nicht ganz unwichtige Ereignisse aus: Die Eskalation der Ereignisse um den 19. Februar 2011, bei der Polizei und Verfassungsschutz eine mehr als seltsame Rolle spielten. Und noch während die Polizei augenscheinlich völlig aus dem Ruder war und mit Gewalt gegen bis dahin friedliche Demonstranten vorging, wurde eifrig gefilmt und abgehört und hausdurchsucht. Die Polizei hatte zwar nichts Eiligeres zu tun, als die Medienwelt mit Brandnachrichten von linker Gewalt zu überschwemmen. Doch auch der nachgelieferte Krankenstandsbericht der eingesetzten Beamten untermauerte das selbst von Politikern danach beschworene Gewaltchaos gegen Polizisten nicht. Aus Schwerstverletzten wurden augenscheinlich auf einmal etwas über 100 Polizisten, die ihre blauen Flecken und Knalltraumata auflisten ließen.

Die Chaosmeldungen der Polizei sind bis heute bei etlichen Medien zu lesen. Und im “Verfassungsschutzbericht” der sächsischen Schlapphüte steht die beeindruckende Zahl von 3.500 Linksextremisten, die man im Kesseltreiben am 19. Februar 2011 gesehen haben will. Dabei wurde selbst während der Ereignisse meist nur von 2.000 Personen gesprochen, die auf einmal in die Polizeikessel gerieten und von den recht chaotisch eingesetzten Räumkommandos abgedrängt wurden.

Darunter: angereiste Gewerkschafter, Politiker von Grünen, Linken und SPD, Hunderte Engagierte, die nur eines im Sinn gehabt hatten – wie im Vorjahr den Aufmarsch der Neonazis, die das Dresdener Gedenken an die Bombenzerstörungen des 2. Weltkrieges als Bühne benutzen wollten, zu blockieren. Dass der Polizeieinsatz unangemessen und chaotisch war, gestand die sächsische Staatsregierung erst Monate später ein – nicht offen und ehrlich. Das erwartete schon gar niemand mehr. Aber die Entlassung des Dresdner Polizeipräsidenten Dieter Knoll, der am 19. Februar 2011 verantwortlicher Einsatzleiter war, war eben nicht nur ein Bauernopfer, es war auch ein Eingeständnis.

Und statt auf diese ganz offensichtlichen amtlichen Fehler beim Demonstrationsgeschehen einzugehen, kaut der Verfassungsschutz die Zahlen in seinem Bericht wieder, als hätten sie irgendeine Art Substanz. Dass diese Zahlenspiele die tatsächliche Erkundung, wieviele gewaltbereite linke Autonome am 19. Februar 2011 in Dresden tatsächlich aktiv waren, was sie taten und wo sie es taten, übertüncht und ausblendet – nicht ein Wort dazu.

Patrick Gensing hat mit seiner Analyse der “Sächsischen Demokratie” wohl recht: Wer sich staatlichem Handeln in den Weg stellt oder auch nur zufällig im Weg steht, wenn Polizei die Straße beräumt, der wird automatisch zum Staatsfeind und – im Jargon dieser Broschüre: zum Linksextremisten.Und das zweite Ereignis, das 2011 die sächsischen Ordnungshüter sehr blamabel hat dastehen lassen, war der Fall “NSU”, der Selbstmord von Mundlos und Böhnhart in Eisenach, nachdem ihnen die (Thüringer) Polizei nach einem Banküberfall wohl endlich auf den Fersen war. Und das Auftauchen von Beate Zschäpe, die ebenfalls die Thüringer Polizei bevorzugte, sich zu stellen, nachdem sie die jahrelange gemeinsame Wohnung der drei Rechtsterroristen in Zwickau (Sachsen) in die Luft gesprengt hatte.

Wie liest sich das im “Verfassungsschutzbericht”?: – “Mit dem 4. November 2011 musste die bisherige Einschätzung, wonach sich in den letzten Jahren keine rechtsterroristischen Strukturen gebildet hatten, revidiert werden. Es stellte sich heraus, dass eine rechtsterroristische Gruppierung in Deutschland seit Jahren schwerste Gewaltverbrechen begangen und deren Mitglieder mutmaßlich länger als ein Jahrzehnt unter Nutzung falscher Personalien verdeckt vor allem im Freistaat Sachsen gelebt hatten.”

Kein Wort zur Analyse, warum die drei Terroristen “mutmaßlich länger als ein Jahrzehnt” in Sachsen abtauchen konnten, kein Wort zum eigenen Versagen. Es liest sich wie ein Bericht aus einem Amt, das selbst so einen Fall abhakt und dann einfach weitermacht wie gehabt. Das es nicht einmal fertigbringt, ein besonderes Kapitel dazu zu schreiben und die eigene Arbeit kritisch zu hinterfragen.

Zwei Seiten berichten im Grund nur in aller Kürze, was seitdem in der Presse zu lesen war. Und sie enden mit dem Satz: “Nach der nunmehr vorliegenden Erkenntnis, dass eine rechtsextremistische Terrorgruppe jahrelang unentdeckt agieren konnte, muss auch künftig die Existenz weiterer solcher Gruppen grundsätzlich in Betracht gezogen werden.” Was natürlich amtlicher Quatsch ist. Was daran liegt, dass der sächsische Verfassungsschutz die Rechtsextremen zwar beobachtet, aber eher wie ein Biologe eine Schmetterlingspopulation. Man zählt die Mitglieder der NPD, registriert die Zeitungsberichte über erlaubte und nichterlaubte Umzüge von diversen Freien und parteigebundenen Rechten, beobachtet die einschlägigen Internetauftritte und sieht zu, wie sich die Szene chamäleonartig verwandelt – man sieht das Ganze aber nicht als eine Struktur, innerhalb derer eben nicht nur Feste gefeiert werden, T-Shirts und Musik-CDs gehandelt. Das Wort Waffenfunde kommt im Inhaltsverzeichnis nicht einmal vor, obwohl die anonymen Autoren der Broschüre durchaus eingestehen, dass die verbalen Drohungen während der diversen Auftritte von Rechtsextremen ernst gemeint sind.Nur scheinen sie sich in der Interpretation der Verfassungsschützer vorrangig gegen den “politischen Gegner” der Rechten zu richten – die Linksextremen. Womit man dann beim seltsamen Klipp-Klapp in dieser Broschüre ist – auf jedes Kapitel zu Rechtsextremen kommt ein ebenso langes Kapitel zu “Linksextremen”. Nur wer den Text liest, bekommt mit, dass die scheinbar so gewaltig anschwellende Zahl von linksextremen Gewalttaten auf die Demonstrationsereignisse im Februar 2011 in Dresden zurückgeht. Aus jedem Vorgang, den die Polizei aus dem von ihr selbst angerichteten Chaos gemeldet hat, wurde ohne Federlesens eine linksextremistische Straftat.

Was dann zur Folge hat, dass Dresden im 2011er Bericht des Verfassungsschutzes zur Hochburg linksextremistischer Straf- und Gewalttaten wird. Und wer jetzt denkt, diese ganzen 3.500 Linksextremisten, die da am 19. Februar 2011 der Polizei das Leben so schwer machten, müssten doch eigentlich auch ordentlich viele Straftaten produziert haben (was sind denn das sonst für gewaltbereite Linksextremisten?), der sieht sich enttäuscht: 149 Gewalttaten verzeichnet der Bericht für die “Linksextremisten” in Dresden. Unter der Grafik steht dann trotzdem wieder die Behauptung von den “3.500 gewaltbereiten Linksextremisten”.

Für Leipzig wurden für 2011 übrigens 24 “linksextremistische Straftaten” gezählt. Auch hier mit der Frage dahinter: Woher kommt diese Einordnung? Denn die meisten dieser Straftaten wurden bei Demonstrationen gegen das NPD-Zentrum in der Odermannstraße gezählt. Es sind andere Zusammenhänge und andere Handlungsmuster, als sie dem Phänomen Rechtsextremismus zugrunde liegen. Denn dahinter stecken in der Regel wirklich gewalttätige Angriffe auf Andersdenkende, Andersaussehende, auf Parteibüros der Linken. Und dementsprechend tauchen keine Ballungen der gezählten Straftaten bei Demonstrationsgeschehen in den Großstädten auf. Die Gewalttaten de Rechten verteilen sich übers ganze Land.

Und das Verblüffende: Der Bericht nimmt tatsächlich Bezug auf die Diskussion um die Verwendung des Begriffspaars Rechts-/Linksextremismus. Aber da man als Verfassungsschützer Staatsdiener ist, ist man natürlich per se auf der Seite der Guten und kann diese Kritik von links nur verurteilen. Aber ein Wort ist recht deutlich: “Linksextremisten stellen verstärkt das Konzept der wehrhaften Demokratie … in Frage.” Als wenn man es hier mit einem wissenschaftlich untermauerten Konzept zu tun hätte und nicht mit einer ganz speziellen sächsischen Staatsdoktrin, die lieber jedes Engagement gegen Rechts diskriminiert (Stichwort: “Extremismusklausel”), als die rechtsextremen Entwicklungen tatsächlich einmal so ernst zu nehmen, wie es notwendig wäre.

Doch diese Arbeit wurde in Sachsen über Jahrzehnte geschwänzt. Und die Verfassungsschützer sind Teil dieser Unterlassung. Der Bericht ist eigentlich noch ein Bericht aus der Zeit dieser Unterlassungen und der Selbst-Benebelungen mit einem scheinbar ausgewogenen Rechts-Links-Klippklapp. Dass er in dieser Form noch veröffentlicht wurde, lässt freilich befürchten, dass es auch künftig so weitergeht.

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