Sachsens Meldeämter kassieren eine Menge Geld für die Daten der Bürger. Auch wenn die Sächsische Staatsregierung nicht wirklich beziffern kann, wie viel genau. Wohl auch nicht will. Und so ist die Antwort, die der Grünen-Abgeordnete Johannes Lichdi am 6. August auf seine Frage nach den "Einnahmen durch Handel mit Meldedaten" bekam, nicht einmal eine halbe.

Denn nicht einmal die Hälfte der sächsischen Meldebehörden sah sich überhaupt in der Lage, Zahlen zu liefern. Was auch ein Effekt der sächsischen Sparwut sein kann. Es fehlen in vielen Kommunen die Ressourcen, um das Datenmaterial entsprechend aufzubereiten. Sachsen befindet sich zwar zeitweise in einem wahren Rausch der digitalen Service-Freude: Nur hat das augenscheinlich die Arbeit in den Behörden nicht die Spur vereinfacht. Und simple Möglichkeiten, die ja im Grunde digital existierenden Daten abrufbereit zu sammeln, fehlen.

Die 147 von den 299 sächsischen Meldebehörden, die ihre Angaben meldeten, nahmen im Jahr 2011 etwa 1 Million Euro durch Melderegistereinkünfte an Private, Parteien, Adressbuchverlage und den Mitteldeutschen Rundfunk ein. So geht es aus der Antwort der Staatsregierung auf die kleine Anfrage des Abgeordneten Johannes Lichdi (Grüne) hervor.

“Das wahre Ausmaß der Einnahmen durch den Verkauf von Meldedaten verschleiert Innenminister Markus Ulbig, weil in seiner Antwort die Angaben von der Hälfte der Meldebehörden und von der SAKD fehlen”, kritisiert Lichdi. “Werden die Fragen von der Staatsregierung nicht beantwortet, um den Meldedatenhandel zu decken?”

SAKD ist die Sächsische Anstalt für kommunale Datenverarbeitung, Anstalt des Öffentlichen Rechts, und damit just die Einrichtung, die das Erfassen und Sammeln kommunaler Daten erleichtert und wesentlicher Teil der sächsischen E-Government-Strategie ist. Aber wo E-Government drauf steht, steckt oft E-Commerce dahinter.

“Die Einnahmen der Sächsischen Anstalt für kommunale Datenverarbeitung (SAKD), die das sogenannte Kommunale Kernmelderegister (KKM) betreibt und seit Anfang 2009 auch Privaten und Unternehmen der Privat- und Werbewirtschaft zur Verfolgung von Eigeninteressen den erleichterten Abruf von Meldedaten wie Wohnanschriften via Internet ermöglicht, fallen bei der Beantwortung der Anfrage gleich ganz unter den Tisch”, benennt Lichdi eine der wichtigsten Fehlstellen in der Regierungsantwort. “Dabei sei die Zahl der Auskünfte im Jahr 2011 im Vergleich zum Vorjahr laut Antwort der Staatsregierung ‘deutlich gestiegen’.

Der Grund: Die Nutzerfreundlichkeit für Internetabrufe wurde im vergangenen Jahr gesteigert und die Gebühren für Auskünfte gesenkt.”Immer wieder sind Verstöße gegen Datenschutzvorschriften der Meldeämter und der SAKD Anlass für Rügen des Sächsischen Datenschutzbeauftragten. In seinem aktuellen Tätigkeitsbericht weist er zum Beispiel darauf hin, dass er bei Kontrollen der Meldebehörden immer wieder ähnliche Probleme vorfindet, zum Beispiel die fehlende Verpflichtung der Mitarbeiter auf das Meldegeheimnis, Seite 51 im 15. Tätigkeitsbericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten. Auch beim automatischen Abruf des KKM haben unbefugte Mitarbeiter Daten abgerufen – Seite 48.

“Der Innenminister muss den Datenhandel als Problem ernster nehmen, zumal der sächsische Datenschutzbeauftragte die Meldeämter immer wieder wegen Verstößen gegen Datenschutzvorschriften rügen muss. Die gesetzlich vorgesehenen Meldepflichten der Bürgerinnen und Bürger und deren Verarbeitung durch die Meldebehörden schränken das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein (Paragraf 37, Sächsisches Meldegesetz (SächsMG))”, betont Lichdi. “Mit der Erhöhung der Nutzerfreundlichkeit für Auskunftssuchende werden gleichzeitig auch Grundrechtseingriffe intensiviert. Die durch die Datenübermittlung Betroffenen erhalten davon keine Kenntnis. Wer den Abruf für Dritte attraktiver macht und damit Einnahmen erzielt, verfolgt nicht die Interessen der durch die Datenübermittlung Betroffenen.”

Noch deutlicher gesagt: Er verfolgt nicht die Interessen der Bürger. Im Grunde wechselt ein Staat in so einem Moment die Seiten. Er kümmert sich nicht mehr um den Schutz der Bürger, sondern wird zum Handlanger privater Interessen gegenüber den Bürgern, die er eigentlich schützen soll.

“Der Handel mit den zwangsweise erhobenen Meldedaten darf gerade der Werbewirtschaft durch Meldebehörden und SAKD nicht im Interesse der Einnahmeerzielung erleichtert werden. Vielmehr müssen die Behörden die Bürgerinnen und Bürger über ihre Widerspruchsrechte aufklären. Die Rechtslage muss so geändert werden, dass Meldedaten gerade zu Werbezwecken der Auskunftssuchenden nur noch erfolgen, wenn die Betroffenen ausdrücklich eingewilligt haben”, fordert der Abgeordnete.

Genau das, was bei dem zur Fußball-EM so peinlich spätabends abgestimmten Meldegesetz nicht mehr gewährleistet wird.

Die Anzahl der Widersprüche gegen die Weitergabe von Daten gibt die Staatsregierung für knapp die Hälfte der Meldebehörden mit 351.542 an. “Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass über 90 Prozent mit der Weitergabe ihrer Daten für einen geringen Geldaufwand des Auskunftssuchenden an Dritte einverstanden sind”, betont Lichdi.

“Die Beantwortung basiert auf Rückmeldungen von knapp 50 Prozent der sächsischen Meldebehörden”, heißt es in der Vorbemerkung der Antwort auf die kleine Anfrage. Dass die Staatsregierung damit die Fragen selbst unvollständig beantwortet sieht, wird in Beantwortung der ersten Einzelfrage deutlich: “Hinsichtlich der Aussagekraft der Daten wird auf die Vorbemerkung verwiesen.”

Oder noch deutlich gesagt: Der Innenminister weiß nicht, was in seinem ureigensten Verantwortungsfeld mit den Meldedaten der Bürger passiert.

Die Aufgaben der Meldebehörden nach sächsischem Meldegesetz sind nämlich Pflichtaufgaben nach Weisung (§2 Abs. 2 S. 1 SächsMG). Das Staatsministerium des Innern ist die zuständige oberste Aufsichtsbehörde der Meldeämter und des SAKD (§2 Abs. 2 S. 2 SächsMG, §4a Abs. 1 S. 2 des Gesetzes über die Sächsische Anstalt für kommunale Datenverarbeitung in Verbindung mit § 112 Abs. 1 S. 2 SächsGemO). Das fachliche Weisungsrecht ist unbeschränkt (§2 Abs. 2 S. 3 SächsMG). Heißt also: Das Innenministerium trägt auch Verantwortung dafür, dass der Datenschutz für die Meldedaten der Bürger jederzeit gewährleistet wird.

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Der letzte Bericht des Datenschutzbeauftragten aber zeigt, dass die zuständigen Behörden diesen Schutz nicht sichern oder schlicht nicht ernst nehmen. Und die “halbe” Auskunft der Staatsregierung zeigt, dass man im Innenministerium nicht einmal “zur Hälfte” weiß, was in den Meldebehörden mit den Daten der Bürger passiert.

Noch eine wichtige Aussage der Antworten zur Kleinen Anfrage: 990.779,63 Euro von den eingenommenen 1.059.014,02 Euro Einnahmen gehen auf “Melderegisterauskünfte für Private” zurück, also genau die Registerabfragen von Privatunternehmen, die die erfragten Daten für ihre Geschäfte brauchen. Runde 94 Prozent also.

In den ersten sechs Monaten 2012 lag dieser Wert bei 472.970,73 Euro von insgesamt 494.910,68 Euro (96 Prozent). Die Datenabfragerei ist also unübersehbar zuallererst ein Geschäft.

15. Tätigkeitsbericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten: http://edas.landtag.sachsen.de

Kleine Anfrage ‘Einnahmen durch Handel mit Meldedaten im Freistaat Sachsen – Aktualisierung der Anfrage Drs. 5/4003’ (Drs 5/9651): http://edas.landtag.sachsen.de

Kampagnenseite “Meine Meldedaten gehören mir!”: www.gruene-fraktion-sachsen.de

Gesetzentwurf Grüne-Landtagsfraktion ?Zweites Gesetz zur Änderung des Sächsischen Meldegesetzes’ (Drs. 5/1533): www.gruene-fraktion-sachsen.de

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